Rezension Cast-CD:
„Chicago"
Live-Aufnahme aus dem Palladium Theater in Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2015
Spieldauer: 78 Minuten
Eng verwoben sind im nahezu durchkomponierten Musical „Chicago" die Handlung (Buch und Liedtexte: Fred Ebb), die Musik von John Kander und Bob Fosses Original-Choreographie, die als eigenständiger Tanzstil weltbekannt ist. Damit auch ohne optische Komponente die rauchige Jazzclub-Atmosphäre entstehen kann, braucht es Sänger, die allein durch ihre stimmliche Ausdruckskraft Emotionen vermitteln.
Dies gelingt Lana Gordon bestens. Ihre soulige Stimme klingt verrucht bei „All that Jazz" und kindlich-unschuldig, wenn sie als Velma Kelly ihrem Anwalt vorspielt, wie es „Mit Velma vor Gericht" laufen soll. Komödiantisches Talent beweist sie beim Nachäffen ihrer Knastschwester Roxie und förmlich vor sich sieht man den Schwestern-Doppelakt bei „Leider geht's nicht allein". Leider hapert es gewaltig mit der Textverständlichkeit.
Es ist nicht allein der sehr starke Akzent. Vor allem bei schnellen Passagen verschluckt Lana Gordon immer wieder Endsilben, intoniert undeutlich und betont falsch. Auch mit extremer Konzentration versteht man kaum den gesungenen Text, was es nicht gerade einfacher macht, der Handlung zu folgen. Dadurch wird der Hörgenuss trotz überzeugender Stimme leider sehr eingeschränkt. Besser verständlich singt Carien Keizer den Part der Roxie Hart. Allerdings scheint sie sich so sehr auf die korrekte Aussprache zu konzentrieren, dass ihr Gesang vor allem beim Solo „Roxie" recht einstudiert wirkt und vom Rollencharakter nicht viel vermittelt wird. Auch Nigel Casey bleibt eher farblos. Während er bei „Ich bin nur für Liebe da" mit seiner sonoren Stimme gefällt, fehlt es bei „Hokuspokus" seinem zwielichtigen Anwalt Billy Flynn doch deutlich an Drive.
Ganz anders dagegen Isabel Dörfler als „Mama" Morton. Ihr gelingt es, ihre Stimme so einzusetzen, dass sich der berechnende Charakter der Knastchefin sofort erschließt. Dörfler betont gekonnt, singt abwechselnd rotzig-dreckig und sanft. „Bist du gut zu Mama" ist rundum gelungen. Stimmlich wunderbar harmonieren Isabel Dörfler und Lana Gordon im Duett „Stil", das wie auch der „Zellen Block Tango" (trotz teils ebenfalls schwer verständlicher Texte) ein Anspieltipp ist.
Eine solide Leistung liefert Volker Metzger als Amos Hart ab. Er singt mit angenehmer Stimme, bleibt zurückhaltend, was dem schüchternen, fast verklemmten Rollencharakter gerecht wird. Mit viel Vibrato und Überzeugung schmettert Martin Schäffner als Klatschreporterin Mary Sunshine, dass an jedem etwas Gutes dran ist. Sein Falsettgesang erreicht erstaunliche Höhen, klingt allerdings in der Abmischung stellenweise zu schrill.
Ansonsten ist die Tonqualität einwandfrei. Deutlich akzentuieren instrumentale Soloparts den immer wieder eingesetzten Sprechgesang. Das 14-köpfige Orchester unter Klaus Wilhelms musikalischer Leitung überzeugt mit perfektem Timing. Glasklar gespielte Parts wechseln sich ab mit Passagen, die durch verschliffene Töne perfekt die Klangkulisse eines verqualmten Jazzclubs entstehen lassen. Zuschauerreaktionen unterstreichen das Live-Gefühl und sind auf der „Chicago"-CD im richtigen Maß zu hören.
Besser wäre natürlich, man würde den Text einfach beim Zuhören verstehen, aber zumindest ist das komplette Libretto im schwarz-rot gestalteten Booklet abgedruckt und trotz kleiner Schrift auch gut lesbar. Szenenfotos, teils schwarz-weiß, teils farbig, sind ansprechend ins Textlayout eingepasst.
Trotz deutlicher Schwächen weist die „Chicago"-CD Hörenswertes auf. Dass überhaupt eine aktuelle Live-Aufnahme produziert wurde, ist auf jeden Fall zu begrüßen.
Text: Sylke Wohlschiess
CD-Tracklist
- Overture
- All' der Jazz
- Schusseldussel
- Zellen Block Tango
- Bist du gut zu Mama
- Ich bin nur für Liebe da
- Etwas Gutes ist an jedem dran
- Wir beide griffen nach dem Colt
- Roxie
- Leider geht's nicht allein
- Leider geht's nicht allein / Reprise
- Ich bin mein bester Freund
- Entr'acte
- Ich kenn' ein Mädchen
- Ich und mein Baby
- Mister Zellophan
- Mit Velma vor Gericht
- Hokuspokus
- Stil
- Uns're Zeit
- Honey Rag
- Finale
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