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Visionen, ein Märchenkönig und der Ring der Macht

fuessen festspielhaus 0404.10.2018 - Das Festspielhaus in Füssen. Für viele ist es ein geradezu magischer Ort. Die wechselvolle Geschichte des Hauses und des „Ludwig²“-Musicals wäre fast selbst Stoff für ein Musical. Sieben Tage im November entschieden über den Fortbestand des Theaters und somit über die Zukunft des Musicals „Ludwig²“.

Dass am Forggensee wieder Kunst und Kultur eingezogen sind, ist einem Mann zu verdanken, der „lieber Schaltpläne als Romane“ liest und auch sonst „leider gar nicht künstlerisch veranlagt“ ist: Manfred Rietzler.

Visionen allerdings – und da ist er dem Märchenkönig gar nicht so unähnlich – hat der gebürtige Ostallgäuer, der seit vielen Jahren mit seiner Familie in Bangkok lebt, schon seit seiner Jugend. Er studierte an der Technischen Universität München und setzte sehr früh auf digitale Identifikationstechnik. In eine gute Zeit hineingeraten sei er, so Manfred Rietzler, denn als 2003 die US-Regierung weltweit nach Spezialisten für die Einführung des elektronischen Reisepasses Ausschau hielt, war er einer der wenigen, die Entwicklungen für diese Technologie vorweisen konnten. „Ich bin mit meinen Mustern von Bangkok nach Washington geflogen“, erinnert er sich, „und war im Rennen“.

Nach zehn Jahren, in denen sein Ein-Mann-Garagenbetrieb zu einem Großunternehmen aus zehn Fabriken mit insgesamt mehr als 3.000 Mitarbeitern anwuchs, verkaufte Rietzler die Mehrheitsanteile an eine US-Bank. Der erfolgreiche Unternehmer und Elektroingenieur, der selbst ca. 300 Patente hält, wollte sich neuen Herausforderungen stellen, die er u.a. in der Immobilienentwicklung und der Starthilfe für neu gegründete Unternehmen fand. So schließt sich der Kreis zum Festspielhaus.

pressekoferenz festspielhaus fuessen 2018 02Rietzlers Engagement hat zwar nichts mit Romantik zu tun, aber an Dramatik fehlt es keineswegs:

„Im Oktober 2016 erhielt ich einen Anruf des Münchner Insolvenzverwalters, der mir die Probleme des Füssener Festspielhauses schilderte. Ich sei doch aus dem Allgäu und würde das Theater ja sicher kennen. Das wohl, aber Bangkok ist weit weg. Also erklärte ich ihm, dass ich da leider nichts unternehmen kann. Zwei Wochen später rief er wieder an, dieses Mal deutlich dringlicher. Das Geld gehe aus, ohne Investor müsse das Haus zum 1. Dezember geschlossen werden. Ich lehnte wieder ab. In der dritten Novemberwoche schließlich kam der dritte Anruf und die Botschaft, dass ohne Hilfe das Haus in sieben Tagen zu sein würde, dann vermutlich für immer. Aus viel Idealismus habe ich schließlich zugesagt und sofort Geld überwiesen, damit die Heizung weiter betrieben werden konnte. Anfang 2017 sind wir in die Grundsanierung eingestiegen. Mein persönlicher Ehrgeiz war geweckt und Angst vor großen Projekten habe ich nie gehabt. Jetzt wollte ich das Haus nachhaltig ins Laufen bringen.“

Das erste Halbjahr 2017 war geprägt von Basisarbeit: Businessplan, technische Sanierung, Verpachtung der Gastronomie und vieles mehr. Im zweiten Halbjahr ging es an eine zukunftssichere Strategie für Ludwigs Festspielhaus, wie der Name des Hauses mittlerweile lautet. Schnell war klar: Man setzt auf Eigenproduktionen im Musicalbereich, ergänzt durch geplant ca. 100 Fremdveranstaltungen von privaten Feiern bis hin zu riesigen Open-Air-Konzerten, die schon im vergangenen Sommer Weltstars wie Sting nach Füssen lockten.

pressekoferenz festspielhaus fuessen 2018 04Das Musical „Ludwig²“ wird mit genauem Blick auf Kosten und Auslastung als Kernveranstaltung etabliert. Sind es im Jahr 2018 ca. 60 Shows, strebt man im Lauf der nächsten drei Jahre eine Ausweitung auf etwa 100 Vorstellungen an. Auch „Die Päpstin“ und „Der Ring“ sollen als weitere Musicalproduktionen ihren festen Platz am Forggensee bekommen. Die richtige Aufgabe für Benjamin Sahler, der im Oktober 2017 zum Theaterdirektor berufen wurde.

Benjamin Sahler hat Opernregie studiert, war zunächst Spielleiter am Stadttheater Passau, später am Anhaltischen Theater Dessau, bevor er als freiberuflicher Regisseur u.a. für die Konzertdirektion Landgraf arbeitete. Sahler inszenierte Opern und Operetten, darunter Gastspiele am Deutschen Theater München und am Prinzregententheater. Er blickt zurück: „Das Theater Dessau pflegte gute Kontakte zur benachbarten Lutherstadt Wittenberg. Dort wollte man im Hinblick auf das 500-Jahre-Jubiläum schon anfangs der Dekade, also im Jahr 2007, ein Musical über Luther auf die Bühne bringen und war deshalb mit Rolf Rettberg in Kontakt.

Aus Etatgründen wurde das Musical nicht realisiert, aber so lernte ich den Textdichter des „Ludwig²“-Musicals kennen. Rolf erzählte von diesem „schönsten Theater der Welt am schönsten Standort der Welt“ und von der noch ganz frischen erneuten Insolvenz des Musicals. Uns lies der Gedanke nicht mehr los, dass man „Ludwig²“ wieder an seinen Ursprungsort zurückholen sollte. Es gab unzählige Gespräche mit potenziellen Investoren, mit Produzenten und Ideengebern, aber nie hat es geklappt. Und irgendwann stellt man sich die Frage: Warum auf andere warten? Warum machen wir das nicht einfach selber?“.

ludwig musical fuessen 2018 023aGesagt – getan: Sahler trotzte allen Bedenken und initiierte im Oktober 2015 ein Crowdfunding, das zum erfolgreichsten der Europäischen Theatergeschichte avancierte: Das Ergebnis von Euro 165.947,- überschritt die Zielsumme von Euro 75.000,- um mehr als das Doppelte.

Den Grund dieses Erfolgs sieht Benjamin Sahler im Musical selbst: „Das Musical „Ludwig²“ hat eine unglaublich berührende, geradezu spirituelle Botschaft. In gewisser Weise gibt es fast eine Wagner’sche Jüngerschaft für das Stück. Unzählige Menschen sind davon so bewegt, dass sie es immer wieder und wieder erleben wollen. Es tut der Seele gut. All‘ diese Leute haben bewiesen, dass sie ihr Stück zurück im Festspielhaus haben wollen und ihren Teil beigetragen.“

Mit großen Namen aus der Musicalszene, u.a. Matthias Stockinger in der Titelrolle und Uwe Kröger als Dr. Gudden, ging man 2016 mit 30 Shows an den Start. Mehr als 1.000 Besucher pro Show sorgten für eine hervorragende Auslastung, obwohl die Rahmenbedingungen alles andere als optimal waren. Denn ausgerechnet zehn Tage vor der Premiere musste das Gebäude selbst Insolvenz anmelden. Dazu Sahler: „Wir hatten es geschafft, den König mit schwarzen Zahlen auf die Bühne zu bringen, da macht im gleichen Atemzug unser Vermieter pleite. Das war für uns alle keine einfache Situation, zumal kaum jemand differenzierte. Überall war nur zu lesen, dass der „Kini wieder pleite“ sei.“

pressekoferenz festspielhaus fuessen 2018 06Nichtsdestotrotz konnten alle Shows plangemäß stattfinden und Manfred Rietzler als neuer Investor gewonnen werden. Durch die Insolvenz des Hauses verzögerte sich lediglich der Beginn des Vorverkaufs für 2017. Man plante deshalb umsichtig nur mit 20 Shows, die wieder hervorragend verkauften, nicht zuletzt wegen des Besetzungs-Coups, der Benjamin Sahler geglückt ist: Mit Jan Ammann holte man den Ur-Kini zurück. Bei der Uraufführung 2005 spielte der damals noch recht unbekannte Darsteller seine erste große Rolle, heute gehört Jan Ammann unbestritten zu den gefragtesten Musicaldarstellern im deutschsprachigen Raum. Mit ihm kamen viele seiner Fans nach Füssen, um ihn erstmals (und dann womöglich noch öfter) als Märchenkönig zu bewundern.

Inzwischen wurden das Theatergebäude und die Produktionsfirma verschmolzen, die Personalsituation deutlich verbessert und in Technik, Marketing und Kommunikation investiert. Das Interesse zieht weiter an: Bislang sahen im Jahr 2018 rund 40.000 Besucher „Ludwig²“, der dritte Spielzeitblock beginnt im Dezember. Die Aufführungsrechte hat man sich bis zum Jahr 2029 gesichert, laut Sahler soll immer weiter am Stück und am Gesamtprogramm des Festspielhauses gefeilt werden: „Musicals haben so viel mehr zu bieten als nur Entertainment. Wir wollen dazu beitragen, den Stellenwert dieser Kunstform als kulturelles Ereignis auch am deutschen Markt zu festigen.“

„Der Ring - Das Musical“ ist ein weiterer Baustein, um Füssen langfristig als Musicalstadt zu etablieren.

König Ludwig II. war Richard Wagners größter Verehrer und Förderer. Die Räume von Schloss Neuschwanstein zieren Bilder aus der Nibelungensage, das Prinzregententheater ließ er als Spielstätte für die Opern des verehrten Genies bauen. Ludwigs Festspielhaus ist ein speziell für Musical konzipiertes Theater, was könnte also näher liegen, als die Musicalversion der Nibelungensage ins Haus zu holen?

pressekoferenz festspielhaus fuessen 2018 21Komponist Frank Nimsgern, Sohn des Opernsängers Siegmund Nimsgern, erinnert sich an seine Kindheit in der Welt des Theaters: „Als Kind habe ich meinen Vater oft in seinen Rollen erlebt. 18 Stunden Wagner verteilt auf vier Abende, das ist schon heftig für einen Elfjährigen. Schon damals dachte ich, es sollte doch möglich sein, das ein bisschen zu kürzen. Als ich Jahre später von der Oper Bonn den Auftrag erhielt, den Ring des Nibelungen als Musical umzusetzen, dachte ich „es gibt einen Gott“.

Das Musical – und das ist mir wirklich wichtig – ist kein Ersatz und schon gar keine Verballhornung von Wagners Werk, sondern eine Hommage. Ich bin der größte Wagner-Fan. Deshalb wollte ich diesen hochdramatischen, archaischen Stoff mit Mitteln der heutigen Musik einem neuen Publikum näherbringen, komprimiert auf zweieinhalb Stunden. Wenn auch jüngere Leute dadurch einen Zugang zur Thematik finden, sich vielleicht mal „Das Rheingold“ anschauen, dann ist schon viel erreicht. König Ludwig II. hat Richard Wagner nicht nur finanziell gefördert, sondern auch künstlerisch inspiriert. So passt das Musical ideal ins Festspielhaus, das mit seiner Lage am Forggensee, direkt gegenüber von Schloss Neuschwanstein, selber fast eine Inszenierung und eine unglaubliche Inspiration ist.“

Statt 90 Personen gibt es in „Der Ring – Das Musical“ nur noch zehn Hauptprotagonisten, allen voran Drachentöter Siegfried, Göttervater Wotan und Zwerg Alberich. Den Alberich spielt mit Chris Murray nicht nur einer der gefragtesten Musicaldarsteller, sondern wohl auch der einzige, der zugleich Wagnertenor ist. Auch Chris Murray schnupperte schon als Kind Theaterluft, denn auch sein Vater William B. Murray war Opernsänger.

ring musical fuessen michi 03„Ich freue mich besonders“, so Chris Murray, „Teil dieses Projekts zu sein, weil es eine Neudeutung einer bekannten Geschichte ist. Es wurden nicht einfach nur die Themen geklaut, heruntergedampft und als billige Beatboxversion verkauft – nein! Für das Musical wurden Urfassungen herangezogen, die neue Sichtweisen ermöglichen. Die Erzählstruktur wurde klarer und das Musical überrascht mit Wendungen, die es bei Wagner so nicht gibt. Frank Nimsgern hat seine eigene frische Musiksprache benutzt. Wagner hat ja auch nicht historisierend irgendwelche keltischen Klänge verarbeitet, sondern mit der Klangsprache seiner Zeit ehrliches Musiktheater gemacht.“

Stilistisch bietet „Der Ring – das Musical“ in erster Linie fetzige Rocksongs, aber auch ausladende Balladen, die, so Chris Murray, sein Kollege Jan Ammann in der Rolle des Wotan „sensationell schön“ singt.

Ein Titel, der Richtung Folkrock geht, ist „Kleiner Mann“, ein eher ruhiger Song inmitten all‘ der Dramatik. Alberich hat Siegfried als „Ringrückholmaschine“ erschaffen. Indem Alberich der Liebe entsagt, hat er den Preis für den Ring bezahlt. Wotan holt ihn sich aber mit einer List zurück, damit er die Riesen ausbezahlen kann, die ihm seinen Göttersitz Walhall gebaut haben. Als Alberich nun Siegfried nach dem Ring ausschickt, wird der „eklige Zwerg“ fast sentimental: Könnte dieser Sohn das sein, was er selbst nicht ist? Mutig? Ohne Furcht vor dem Tod? Ein Held?

In „Nie mehr geschlagen“ besingt Alberich gleich anfangs seinen großen Triumph: Mit Hilfe des Ringes hat er sich grenzenlose Macht verschafft. Chris Murray erklärt die Bedeutung: „Was wäre, wenn hier jetzt ein Ring liegen würde, mit dem alle Probleme gelöst werden könnten? Alle Hungersnöte der Welt würde er beenden, alle Gewehre in Luft auflösen? Das alles – aber der Besitzer des Rings müsste der Liebe entsagen. Da hätten wir vermutlich alle ein wenig mit uns zu kämpfen. Die Frage ist, wie man mit Macht umgeht.“

Große Themen also, die in „Der Ring – Das Musical“ zur Sprache kommen. Wer wissen möchte, wie der Kampf um Ring und Macht endet, kommt ins Festspielhaus nach Füssen.

Die Spieltermine sind wie folgt:
Freitag, 05.10.2018 um 19:30 Uhr
Samstag, 06.10.2018 um 19:30 Uhr
Sonntag, 07.10.2018 um 14:30 Uhr
Freitag, 12.10.2018 um 19:30 Uhr
Samstag, 13.10.2018 um 19:30 Uhr
Sonntag, 14.10.2018 um 14:30 Uhr

Text: Sylke Wohlschiess


 

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