„Wir sind geimpft“
Interview zur Videoaktion von Bergmanns Bühne
29.11.2021: 63 Musicaldarstellerinnen und -darsteller pro Corona-Impfung - präsentiert in einem Video von Bergmanns Bühne
Statt entspannt in fröhliche Wintertage zu starten, sehen wir uns aufgrund der anhaltenden Ausbreitung des Corona-Virus erneut schwierigen Wochen gegenüber. Die Wissenschaft ist sich einig, dass der Weg aus der Pandemie über die Impfung führt. Doch die Impfquote in Deutschland ist noch zu niedrig und so drohen wie schon im ersten „Corona-Winter“ der Kulturszene nun erneut massive Einschränkungen. Das frustriert besonders diejenigen, die sich seit Monaten an alle Regeln halten und Einschränkungen im Kauf nehmen, sowohl im Publikum, als auch in der Branche. Was könnte man in der Musicalszene tun, um mehr positive Aufmerksamkeit für die Impfung zu bekommen? Michael Bergmann, engagierter Betreiber des Video-Blogs Bergmanns Bühne, hatte eine Idee - und wir haben mit ihm darüber gesprochen.
Gestern Abend um 20.00 Uhr ging auf Deinem youtube-Kanal das – ich darf Dich zitieren – „wichtigste Video, das ich je gemacht habe“ live. Worum geht es?
Zahlreiche bekannte Musicaldarstellerinnen und -darsteller geben vor der Kamera ihr persönliches Statement für die Corona-Impfung ab. Die einen in 10 Sekunden, die anderen in etwas längeren Beiträgen – aber alle gleichermaßen emotional, persönlich und eindringlich. Mir war es ein Bedürfnis, den vielen vernünftig Handelnden eine Stimme zu geben.
Was waren Deine Beweggründe?
Letztes Wochenende schwankte meine Stimmung zwischen Wut, Verzweiflung, Trauer und Ohnmacht angesichts der aktuellen Lage. Es kann doch nicht ewig mit diesem „Murmeltiertag“ weitergehen. Als einzelner fühlt man sich aber doch zunehmend hilflos. In den Nachrichten waren die Informationen über die erneuten Theaterschließungen in Österreich zu hören. Das rollt auch auf uns in Deutschland zu. Die Sitzplatzkapazitäten wurden bereits wieder beschränkt, teils – je nach Lage im Bundesland – sind Theater auch schon wieder geschlossen.
Mit dieser Situation ist niemand glücklich. Der lt. Wissenschaft ausschlaggebende Punkt für das Desaster ist die zu niedrige Impfquote. Experten warnen vor der Überlastung des Gesundheitssystems und flehen die Bevölkerung geradezu an, sich einen Ruck und den kleinen Pieks geben zu lassen. Die große Mehrheit ist zwar inzwischen geimpft, aber es sind immer noch zu wenige, um dem Virus Einhalt zu gebieten. Auch an Musicalhäusern gab es Corona-Ausbrüche innerhalb der Cast, weil es auch in Darstellerkreisen leider noch Impfunwillige gibt. Bei dem engen Kontakt, den der Bühnenberuf mit sich bringt, muss man sich nicht wundern, wenn es hier schnell zu Ansteckungen kommt. Mich macht das wütend und traurig zugleich. Und dann kamen mir noch so einige Talkshows in den Sinn.
In welchem Zusammenhang?
Naja, es ist ja nicht immer so, dass Talk-Gäste in ähnlichem prozentualem Verhältnis eingeladen werden, wie es zu einem bestimmten Thema tatsächlich besteht. Wenn sich 99% der Wissenschaftler einig sind, dass Impfung schützt und nur 1% ist anderer Ansicht und es werden dann zwei Gäste eingeladen, je einer für jede Position, entsteht schnell ein falscher fifty-fifty-Eindruck, eine „falsche Balance“. Zudem sind, um das deutlich zu sagen, gerade diejenigen oft am lautesten, die der unvernünftigen Minderheit angehören, die sich nicht um Regeln scheren und keinerlei Rücksicht auf Mitmenschen nehmen.
Ich dachte „Wieso sind eigentlich nur die so laut? Wo ist die große Mehrheit, die sich vernünftig verhält, die versteht, dass es neben Eigenschutz auch um Solidarität und Zusammenstehen geht? Warum hört man die nicht?“ Ich wollte aus meiner Wut und meinem Frust, aus dieser vielen negativen Energie, irgendetwas Positives machen…
…und hattest dann eine Idee?
Genau. Ich habe mich einfach immer öfter gefragt, wieso sich eigentlich nicht auch diejenigen klar und laut positionieren, die seit bald zwei Jahren alle Maßnahmen mittragen, auf Dinge verzichten, berufliche Beschränkungen und finanzielle Einbußen ertragen. Ich habe meinen Kanal zu Beginn der Coronakrise gegründet, um Darstellerinnen und Darstellern eine Stimme zu geben. Warum nicht jetzt der stillen Mehrheit meine Plattform zur Verfügung stellen, um sich zu positionieren und mit einem gemeinsamen Video klar Stellung zu beziehen? Ist es nicht langsam an der Zeit? Ich habe überlegt, ob es wohl Darstellerinnen und Darsteller gibt, die bereit wären, ein kurzes Video-Statement zu drehen und mir zu schicken.
Kraftvolle Aussage, individuelle Gründe
Ich habe dann die Meinung von zwei ehemaligen Kollegen und lieben Freunden eingeholt, denen ich sehr vertraue: Eva Maria Bender und Sascha Krebs. Beide waren begeistert. Sie sagten nicht nur sofort selbst zu, sondern haben auch die Idee weiterverbreitet. Sascha Krebs hat zudem angeboten, den Rahmen zu stellen. Sascha arbeitet seit Pandemiebeginn beim Gesundheitsamt Mannheim, hat Coronatests durchgeführt und an vielen Ecken und Enden mitgeholfen. Wenn dir ein Freund anbietet, das Gesicht der Kampagne zu sein, der das aktuelle Geschehen direkt und ungefiltert erlebt und so eigene Expertise aufweist, sagst du nicht nein. Ich habe mich sehr gefreut und Saschas Vorschlag gerne angenommen. Als ehemaliger Musicaldarsteller bin auch ich in der Branche nach wie vor gut vernetzt. So haben wir es gemeinsam geschafft, dass 45 Videos geschickt wurden. Innerhalb einer Woche!
Wie bitte? In einer Woche? Das ist ja…
… kaum zu glauben, oder? (lacht). Ja, das war in den letzten Tagen zwar sehr viel Arbeit, aber wirklich klasse. Denise Jastraunigs Video war das erste, das bei mir eingetroffen ist, gleich danach kam das von Zodwa Selele. Unsere Anfrage hat sie während eines Konzerts erreicht. Zodwa hat dort spontan noch andere Beteiligte angesprochen. So kam Kevin Tarte in die Runde, dem es ein großes Anliegen war, seine persönliche Geschichte zu erzählen.
Gab es auch Absagen?
Es gab ganz wenige, die sich lieber nicht öffentlich positionieren wollten, weil sie damit bereits schlechte Erfahrungen machen mussten. Dafür haben wir volles Verständnis. Dieses Aufstehen und Öffentlich-Machen der eigenen, privaten Haltung liegt vielleicht auch nicht unbedingt in der Natur des Musicaldarstellers. Aber wenn die Pandemie auch gute Seiten hat, dann auf jeden Fall, dass ein großer Teil der Gemeinschaft der Bühnendarstellerinnen und -darsteller enger zusammengewachsen ist. Die Resonanz war ausgesprochen positiv, sowohl bei mir als auch bei Eva Maria und Sascha. Wenn die Cast von „Ku'damm 56 - Das Musical“ geschlossen vor die Kamera tritt und von Alexander Klaws bis Mark Seibert so viele national und international bekannte Gesichter dabei sind, kann man mit dem Feedback aus der Branche wirklich zufrieden sein. Natürlich gab es auch ein paar, die es einfach nicht geschafft haben, ihr Video rechtzeitig abzuliefern. Aber sonst hat alles super geklappt. Die einzige Vorgabe war, dass die Videos mit den Worten „Ich bin geimpft, weil…“ beginnen. Die Begründung konnte 10 Sekunden oder auch eine Minute lang sein. So entstand eine Aktion mit gemeinsamer kraftvoller Grundaussage und individuellen Begründungen dieser Aussage.
Das Video und die Beteiligten
Das Video: In 45 einzelnen Sequenzen erläutern insgesamt 63 Musicaldarstellerinnen und -darsteller ihre Beweggründe für die Corona-Impfung. Es wurde initiiert und realisiert von Michael Bergmann von Bergmanns Bühne, mit Unterstützung von Sascha Krebs und Eva Maria Bender. Es ist verfügbar auf dem youtube-Kanal von Bergmanns Bühne.
Die Beteiligten in der Reihenfolge des Auftritts im Video: Sascha Krebs, Alexander Klaws, Zodwa Selele, Maximilian Mann, Tamara Peters & Florian Albers, Gerd Achilles, Jens Janke, Gonzalo Campos Lopez, Veronika Hammer, Pieter Tredoux, Die Cast von „Ku'damm 56 - Das Musical“ mit David Jakobs, Sandra Leitner, Katja Uhlig, Tamara Pascual, Isabel Waltsgott, Vanessa Wilcek, Nele Neugebauer, Kiara Brunken, David Nadvornik, Dennis Hupka, Rudi Reschke, Holger Hauer, Thorsten Tinney, Marco Billep, Nico Went, Patrik Cieslik, Sophia Riedl, Hannah Leser, Shari Lynn Stewen, Philipp Nowicki und Albert-Jan Kingma, Felix Martin, Indy Correa, Alexander Auler, Navina Heyne, Tetje Mierendorf, Barbara Raunegger, Rafael van der Maarel, Isabel Dörfler, Nick Körber, Denise Jastraunig, Chris Murray, Tobias Weis, Antonio Calanna, Brigitte Oelke, Mark Seibert, Kevin Tarte, Maik Lohse, Eva Maria Bender, Kevin Reichmann, Barbara Obermeier, Marco Knorz, Mae Ann Jorolan, Alex Melcher, Sascha Littig, Amelie Polak, Nicolas Boris Christal, Katja Berg, Nico Schweers, Paolo Bianca, Martin Berger, Thomas Hohler, Felix Heller, Andrea Viggiano und Uwe Kröger
Interview: Sylke Wohlschiess