Interview mit Uwe Kröger:
Eine Rolle muss mich berühren
Bei der Besetzung des Dr. Gudden im Musical „Ludwig²“ ist es dem Produktionsteam gelungen, einen der größten Namen der deutschsprachigen Musicalszene ins Boot zu holen: Uwe Kröger. Unzähligen Bühnenfiguren gab er in seiner langen erfolgreichen Bühnenkarriere schon Stimme und Gesicht. In einem ausführlichen Gespräch hat Uwe Kröger uns nicht nur geschildert, was für ihn an der Rolle des Dr. Gudden besonders spannend ist, sondern auch Einblicke in seine Arbeitsweise gewährt.
Nach der Füssener Uraufführung 2005 und einer Neuauflage 2011 in Kempten kehrt das Musical „Ludwig²“ 2016 ins Festspielhaus Füssen zurück. Was hat Sie dazu bewogen, dabei zu sein?
Mein Kollege Matthias Stockinger, den ich seit meiner Wiener Zeit bei „Rebecca“ kenne, hat mich vor einigen Monaten gefragt, ob ich nicht Lust hätte, im Sommer hier dabei zu sein. Ich habe mir also das Buch angeschaut und fand die Rolle des Dr. Gudden gleich wahnsinnig spannend. Ich habe „Ludwig²“ selbst nicht gesehen, sondern nur gehört, dass es eher Richtung Operette gehen soll. Das stimmt aber nicht – dafür ist es nicht lustig genug. Es ist ja ein sehr dramatisches Thema. Als ich die Musik angehört habe, war mir klar, dass „Ludwig²“ gesanglich schon eher als moderne Oper bezeichnet werden könnte. Es wird klassisch gesungen, typische Musicalstimmen sind nur wenige dabei. Aber es gibt auch sehr viele gesprochene Szenen. Alle Ereignisse entwickeln sich vor dem Hintergrund der Zeit. Es wird nichts versüßlicht, aber es entstehen unheimlich berührende Szenen.
Die Thematik hat mich interessiert, nur war es zunächst nicht sicher, ob ich es terminlich schaffen kann. Während der kurzen Spielzeit laufen auch die Proben für „Spamalot“ am Landestheater Salzburg. Es war eine lange Diskussion, ob das so möglich ist, ob es jemanden gibt, der hier an den anderen drei Tagen meine Rolle übernehmen kann. Es ging sich so aus, dass ich montags bis Freitag mittags in Salzburg probe, dann direkt hierher nach Füssen fahre und von Freitag bis Sonntag den Dr. Gudden spiele.
Was hat Sie an der Rolle interessiert?
Die Rolle hat einen sehr guten Faden, vom Anfang bis zum Schluss. Ich finde es auch bezeichnend, dass Gudden die letzte Bezugsperson für König Ludwig ist, dass man beide am Ende zusammen sieht und sehr zentrale Dinge gesagt werden. Im Stück geht es um einen König, der seine Visionen und Träume umgesetzt hat, aber vielleicht zur falschen Zeit am falschen Ort war, der in seiner Zeit vielleicht nicht unbedingt lebensfähig war, ganz ähnlich wie Kaiserin Elisabeth. In der damaligen Zeit waren psychisch kranke Menschen „verrückt“ und wurden wie Gefangene gehalten. Es ist historisch belegt, dass Dr. Gudden hier die ersten Neuerungen vorgenommen hat. Er hat in seiner Klinik ehemalige Soldaten eingestellt, die im Krieg in den Lazaretten gearbeitet haben und sich in der Krankenpflege auskannten, damit diese sich um die Patienten kümmern. Das war damals ein völlig neuer Ansatz, aber für einen bahnbrechenden Durchbruch in der Psychiatrie noch nicht genug. Wir gehen im Stück einen Schritt weiter in Richtung Psychotherapie und arbeiten mit diesen Bildern. So entstehen unter der Regie von Benjamin Sahler sehr intensive Szenen, in denen man in die Traumwelten und die ganzen Irrwege der Psyche eines Patienten – in dem Fall des Königs – mitgenommen wird. So hat die Rolle des Dr. Gudden etwas mehr Format bekommen.
Welche Aspekte waren für Sie bei der Erarbeitung der Rolle besonders wichtig?
Ich habe Dr. Gudden als Prototypen eines Arztes genommen, der versucht, für seine Arbeit und seine Forschung einen neuen Weg einzuschlagen. Dieser neue Weg ist, sich auf die psychisch Kranken einzustellen, mit ihnen Gespräche zu führen, versuchen sie zu verstehen und durch genaue Beobachtung und auch beispielsweise Hypnose nach dem Warum zu forschen. Was ist schon normal? Vor dieser Frage steht man dann auch sehr schnell. Ich gehe in keiner Weise optisch in die Figur, sondern nehme ihn exemplarisch als einen Mediziner, der sich ganz seiner Forschung verschreibt und damit auch in einen Zwiespalt gerät. Damals wie heute ist Forschung von Finanzierung abhängig. Gudden hat sich natürlich schon einlullen und mit Geldern für seine Forschung kaufen lassen. Das erzählen wir ganz klar und so muss es ja auch tatsächlich gewesen sein. Auf Basis von Guddens Gutachten wurde König Ludwig II. entmündigt und durch den Prinzregenten Luitpold von Bayern ersetzt. Auf der anderen Seite war da wirklich das Verständnis für die Patienten. Am Ende geht das sehr schön auf. Ich glaube, dass Dr. Gudden den König am Ende sehr gut versteht und ihm vielleicht dadurch auch sehr nahe gekommen ist. So ist jedenfalls unsere Interpretation..
Ändert sich im Verlauf des Stücks Guddens Einstellung dem König gegenüber?
Ja, auf jeden Fall. Es gibt noch eine andere Figur, Sybille, die auf ihre natürliche Art den König von Anfang an so genommen hat, wie er ist, ohne zu bewerten. Sie ist für König Ludwig eine Vertrauensperson. Die Frage, wo man einen Menschen abholt, ist auch der erste Zugang zu einem Patienten. Das Verhalten des Königs nicht zu bewerten, sondern zu versuchen, es zu verstehen ist ein wichtiger Punkt, an den auch Dr. Gudden kommt. Aber natürlich lastet weiterhin der Verrat auf seinen Schultern.
In welchen Punkten hält sich das Musical in Bezug auf Dr. Gudden an die historischen Fakten?
Immer, wenn Zitate vorkommen, ist das Stück auf jeden Fall historisch korrekt, beispielsweise bei der Verhaftung des Königs. Dr. Gudden wurde der Befehl erteilt, König Ludwig nach Schloss Berg zu begleiten und ihn dort festzusetzen. Er konnte das nicht einfach selbst entscheiden. Aber die Frage ist nicht relevant, denn wir machen keinen Dokumentarfilm, sondern nehmen uns die künstlerische Freiheit, uns vom historisch belegten abzuheben. Es gibt ja auch kaum historisches Material, das vermittelt, auf welche Art und Weise Gudden und König Ludwig miteinander umgegangen sind, wie sie miteinander gesprochen haben. Aber genau das gibt uns die Freiheit, vielleicht einen Erklärungsansatz zu finden, warum man gerade diese beiden am Ende tot aus dem See gefischt hat. Wir versuchen auch, ein bisschen tiefer in den Mythos hineinzublicken. Auf der einen Seite hat man den Krieg und die Politik, auf der anderen die Traumwelt des Königs. Und dann gibt es mit Dr. Gudden noch einen Menschen, der versucht, den König zu verstehen und dadurch sowohl zur Realität der Zeit als auch zur Romantik des Königs einen Gegenpol bildet. Es ergeben sich wunderschöne Szenen, die für mich sehr spannend zu spielen sind.
Wie sehen Sie die Rolle, die Dr. Gudden beim Tod des Königs spielte?
Er hat natürlich Schuld auf sich geladen, weil er das Gutachten unterzeichnet hat. Ich glaube aber nicht, dass er mit dem Tod des Königs gerechnet hat. Dies ist unsere Interpretation, die auch klar zum Ausdruck kommt. Ich bin nicht der Autor, also kann ich die Rolle nur so anlegen, wie es dem Stück entspricht. Gudden ist ein Mensch, der versucht, das Richtige zu tun. Es wohnen aber zwei Seelen in seiner Brust: Um das Richtige tun und weiter forschen zu können, in dem Bereich, in dem seine Expertise gebraucht wird, muss er sich auf einen Geldhandel einlassen, damit er das alles finanzieren kann. Ich glaube nicht, dass er vermutete, seine Unterschrift könnte ein Todesurteil sein, dafür gab es doch zunächst keinerlei Anzeichen. Der König war weggesperrt – da musste man ihn doch nicht umbringen.
Weil man ihn dadurch sowieso dauerhaft von den Regierungsgeschäften ausgeschlossen hatte?
Ganz genau. Vielleicht geht die Interpretation ein bisschen weit, aber im Stück bedauert Gudden am Ende, was er getan hat und würde die Unterschrift unter dem Gutachten am liebsten rückgängig machen. Nur wäre er dem König in dem Fall gar nicht so nahe gekommen, er hätte sich nie so ausführlich mit ihm befasst. Das ist das Dilemma des Dr. Gudden. Im Lied „Soll das die Zukunft sein?“ heißt es „Ist das mein Weg? Ich überleg‘, ja, ja, nein nein!“ Es ist ein sehr nervöses Lied, das genau diesen Zwiespalt ganz klar zum Ausdruck bringt.
Sie haben viele ganz unterschiedliche Rollen gespielt. Nach welchen Kriterien wählen Sie diese aus?
Eine Rolle muss mich berühren. Wenn mich etwas berührt, dann versuche ich, mich hineinzuarbeiten. Es ist dann ein Wust von Dingen, durch die ich durch möchte, die ich erzählen möchte. Ich bin ein Detailfreak. Ich gehe auf jedes Detail ein, arbeite von ganz klein nach ganz groß. Dabei probiere ich sehr viel aus, was natürlich nicht alles funktioniert. Die Probenzeit nutze ich wirklich als Weg zum Ziel. Ich muss die Rolle spüren können. Ich muss die Figur als Uwe nicht mögen, aber als Schauspieler sehr wohl – das ist ein großer Unterschied. Napoleon beispielsweise, den ich am Londoner West End in der Europäischen Erstaufführung von „Napoleon“ gespielt habe, ist ja eine sehr kontrovers diskutierte Persönlichkeit. Es ist spannend, die Motivation so einer Figur herauszuarbeiten. Wenn ich dazu einen Zugang habe, macht es „Klick“. Nur schöne Melodien reichen mir nicht, um ein Stück zu mögen, wunderschöne Songs gibt es viele. Bei „Ludwig²“ passt beides – eine spannende Thematik und großartige Musik.
Dennoch waren die ersten beiden Versuche, den Märchenkönig mit dem Musical „Ludwig²“ auf die Bühne zu bringen, finanziell nicht von Erfolg gekrönt. Und nun hat ausgerechnet jetzt das Festspielhaus Insolvenz angemeldet…
Über den finanziellen Erfolg oder Misserfolg der früheren „Ludwig²“-Produktionen kann ich gar nichts sagen. Ich habe gehört, dass „Ludwig²“ beim Publikum ein Riesenerfolg war. Das Festspielhaus ist ein sehr künstlerisches, liebevoll hergerichtetes Haus, es herrscht eine sehr angenehme Atmosphäre. Der Zuschauerraum ist mit edlen Stoffen und Holz wunderschön gestaltet, außerdem hat man von allen Plätzen eine hervorragende Sicht. Es liegt direkt am See, genau gegenüber von Schloss Neuschwanstein – eine Traumkulisse. Es ist aber immer riskant, Häuser an Orte zu setzen im Versuch, eine Musicallandschaft wie den Broadway oder das West End künstlich herzustellen. Fakt ist, dass die Anreise, egal ob per Auto, Bahn oder Flugzeug, ziemlich kompliziert und dadurch zeit- und kostenintensiv ist. Wenn man hierher kommt, dann wegen der Sehenswürdigkeiten. Diese Touristen müsste man mit dem Haus bedienen. Mein Ansatz wäre, das Land für das Festspielhaus zu interessieren. Es ist die Frage, ob man hier en-Suite spielen kann oder ob es nicht sinnvoller wäre, das Haus mit Subventionen des Landes als Spielstätte für verschiedene Dinge zu betreiben. Man könnte „Ludwig²“ zur Hauptsaison in englischer Sprache oder mit Übertiteln anbieten und einen guten Spielplan für das ganze Jahr ausarbeiten. Es laufen ja hier auch jetzt schon Konzerte und Veranstaltungen – die Leute lieben das Haus doch. Es ist verständlich, dass man es privat nicht stemmen kann, wenn man nicht über eine unendliche Geldbörse verfügt, aber es ist ein tolles Haus mit großen Kapazitäten, das sich für Gastspiele ebenso eignet wie für Eigenproduktionen. Man kann auf dieser riesigen Bühne mit den vielen technischen Möglichkeiten ein Ballett genauso gut aufführen wie ein Schauspiel. Ich hoffe sehr, dass eine gute Lösung gefunden wird.
Können Sie uns noch etwas zu Ihren nach der Füssener Spielzeit anstehenden Projekten sagen? Sie erwähnten bereits „Spamalot“…
Genau. Am Landestheater Salzburg stehe ich ab September als König Artus in „Monty Python‘s Spamalot“ auf der Bühne, zusammen mit Pia Douwes. Parallel spiele ich dort auch erneut Georg von Trapp in „The Sound of Music“. Mit „The Addams Family“ bin ich im November in Wien, im Frühjahr 2017 dann in München und Berlin. Zuvor steht im Dezember am Tiroler Landestheater Innsbruck noch die Premiere in der Titelrolle bei „Nostradamus“ an. Das erfordert natürlich einiges an Organisation, aber mein Management sorgt dafür, dass es reibungslos von A nach B geht. Ich freue mich auf die vielen schönen Aufgaben, die vor mir liegen. Aber zuerst genieße ich die spannende Zeit hier in Füssen.
Interview: Sylke Wohlschiess
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