Wenig Musical, viel Gala:
Rezension "Musicalgala 2013" in Ludwigsburg
Eine reine Musicalgala war es trotz der so lautenden Ankündigung nicht, was am 10. Mai 2013 auf die Bühne des Ludwigsburger Forums gebracht wurde. Nicht einmal die Hälfte der ausgewählten Titel gehörten zum Musicalgenre. Die vier renommierten Solisten Kaatje Dierks, Kristin Hölck, Kasper Holmboe und Kevin Tarte und das hervorragend aufspielende Kreisjugendorchester Ludwigsburg (KJO) unter Leitung von Stadtmusikdirektor Roland Haug überzeugten jedoch auch mit Pop, Filmmusik und Instrumentalstücken.
Der instrumentale Einstieg in das ca. zweieinhalbstündige Programm ist passend gewählt:
John Williams komponierte 1988 „Olympic Spirit“ für die Olympiade in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, ein Land, in das bereits zwei Konzertreisen des KJO führten. Dieses Stück und vor allem auch das von Michael Zeh eigens für das KJO geschriebene „Jeju Impressions“ spielen die jungen Musiker nicht nur gewohnt präzise, sondern auch mit sehr viel Gefühl für die Stimmungen des Landes. Die Atmosphäre wird mit einer Fotoshow zusätzlich visualisiert. Gekonnt interpretiert das Orchester auch die lautmalerische Umsetzung einer Seereise bei „Voyage to the End of the Earth“, und die Tuba-Spieler beeindrucken beim Solopart „Let the Tubas swing“. Die Orchesterstücke verteilen sich gut im Gesamtablauf, die Strandimpressionen von Kees Vlaks „Las Playas de Rio“ geraten als Opener des zweiten Teils aber deutlich zu lang.
Der Aufbau des Programms erscheint insgesamt eher konzeptionslos. Sorgt im ersten Teil noch ein zwar gewagter aber abwechlsungsreicher Genremix aus deutscher Popmusik, italienischem Volkslied, Soul, Musicalklassikern und neueren Produktionen wie „Elisabeth“ oder „Mamma Mia!“ für manche Überraschung, bleibt nach der Pause der Bereich Musical fast komplett außen vor. Erst kurz vor Schluss geht es recht einfalls- und lieblos zurück zum eigentlichen Thema des Abends: Weitere drei Abba-Songs beschließen den regulären Teil, auch die Zugaben stammen ausnahmslos aus diesem Compilation-Stück. Die „Mamma Mia!“-erfahrenen Kasper Holmboe und Kaatje Dierks hört man mit ihren Interpretationen aus dem Stück immer wieder gerne, aber die Vielfalt des Musicaltheaters kommt bei dieser Programmzusammenstellung nicht zur Geltung.
Gelungen sind die energiegeladenen Auftritte von Kaatje Dierks aber auf jeden Fall. Ausstaffiert als Putzfrau in Kittelschürze spricht sie das versehentlich schon eingelassene Publikum direkt an und gesteht verschämt „so ein bisschen für den Dirigenten zu schwärmen“. Als sie sich mit „Komm und wag’s mit mir“ dem verblüfften Roland Haug schüchtern nähert, hat sie die Lacher auf ihrer Seite. Auch mit der genau richtig dosierten Imitation von Tanzstil und Gestik der Rockröhre Tina Turner trifft Dierks voll ins Schwarze. Ihr kräftiger Belt-Sopran bringt die nötige Stimmpower für „Simply the best“ und „Ich bin ich“ von Rosenstolz allemal. Kaatje Dierks zeigt sich als souveräne, stimmsichere Entertainerin, deren sympathische, natürliche Ausstrahlung sofort für Stimmung sorgt.
Die zweite Solistin des Abends, Kristin Hölck, glänzt ebenfalls: Mit „Diamonds are forever“ bringt sie Bond-Feeling nach Ludwigsburg. Anfangs klingt sie vor allem in den kraftvollen Passagen von „If my Friends could see me now“ unangenehm schrill. Dass sie im Duett „When you tell me that you love me“ auch Kevin Tarte fast völlig übertönt, legt dann aber den Schluss nahe, dass dies weniger an Kölcks Stimme als am anfangs sehr schlecht ausbalancierten Ton liegt. Das Orchester, vor allem auch das Schlagwerk, sind so dominant, dass die Solisten nur mit mehr Lautstärke gegenhalten können. Gegen Ende des ersten Teils wird die Tonqualität deutlich besser. So überzeugt Kristin Hölck mit einer einwandfreien Interpretation und bravourös gehaltenem Schlusston als Elisabeth mit „Ich gehör nur mir“.
Emotionen sind mit „Bring ihn heim“ aus „Les Misérables“ ebenfalls verbunden. Mit großer Leichtigkeit lässt Kasper Holmboe die Töne fließen. Ob in den sanften oder den voluminösen Passagen, sein klarer Tenor erreicht unglaubliche Höhen. Seine Darbietung des großen Solos von Jean Valjean wird zu einem der bewegendsten Momente des Konzerts. Dass der gebürtige Däne aber auch ganz wilde Seiten hat, zeigt sich im Tom-Jones-Block. Nachdem er mit Kevin Tarte die Frage geklärt hat, wie viele offene Hemdknöpfe das Publikum wohl verträgt – „keine Sorge, das sind Party Animals, die Leute hier“ – lässt er den Tiger los und bringt eine deutschsprachige Version von „It’s not unusual“, die auch auf seiner Solo-CD zu hören ist. Das Medley aus Tom-Jones- und Neil-Diamond-Songs im Bläserarrangement von Eric Morena teilt er sich mit Kevin Tarte. Beide geben den schon etwas angestaubten Songs einen frischen Touch und haben sichtlich Spaß daran, diese Lieder zu singen.
Kevin Tarte überrascht mit seinen Solostücken, die wider Erwarten weder mit Vampiren noch mit durchgeknallten Barbieren zu tun haben. Es geht zurück zum Beginn des 20. Jahrhunderts: Der Tango „Jealousy“ wurde 1925 vom dänischen Komponisten Jacob Gade zur musikalischen Untermalung eines Stummfilms geschrieben; erst später nahmen sich verschiedene Textdichter des Liedes an. Tarte zeigt hier einmal mehr seine musikalische Bandbreite. Die italienische Volksweise „Torna a Surriento“ von 1901 wurde Mitte der 1960er Jahre für den Elvis-Hit „Surrender“ adaptiert. Tarte singt die sehr lyrische Originalversion und überzeugt auf ganzer Linie. Schmeichelnd und sanft intoniert, vermittelt Tarte hier lebendige Wärme und gleichzeitig grandioses Stimmvolumen. Eine fantastische Leistung, die zu Recht lang anhaltenden Beifall erhält.
Das Können und das perfekte Zusammenspiel von Orchester und Dirigent und die überzeugenden Stimmen der Solisten machen auch die diesjährige Gala in Ludwigsburg wieder zu einem Musikerlebnis von hoher Qualität, obwohl das Thema Musical deutlich zu kurz kommt und das Programm einen roten Faden vermissen lässt. Vielleicht sollte man der Veranstaltung nächstes Jahr einfach einen neuen Namen geben .
Text: Sylke Wohlschiess
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