Musik verbindet Menschen:
Konzert - Rezension „Musical meets Rock“ in Stuttgart
Die üblichen Kirchenklänge waren es nicht, die am 29.11.2014 durch die Michaelskirche in Stuttgart-Degerloch schallten. Da klatschen zwei Zehnjährige begeistert zu Queen, eine grauhaarige Dame lauscht offensichtlich verzückt dem Stones-Klassiker „Angie“ und so einige Besucher um die 50 singen fröhlich mit bei „Ein graues Haar“ von Pur. Mit der hervorragend zusammengestellten Mischung aus rockigen Musicalsongs und melodiösen Rocksongs gelingt Hannes Staffler und seinen Gastsängern Linda Konrad, Carl van Wegberg und Daniele Nonnis etwas, das in einer Kirche immer Ziel ist: die Menschen zu verbinden.
Das Konzert folgt dem Aufbau von Stafflers Solo-CD „Two Souls“: zuerst Musical, dann Rock. Sehr strukturiert werden mehrere Lieder aus einem Musical en bloc gebracht, zudem umreißen kurze Moderationen die Thematik von Werken wie „Rent“, damit auch weniger musicalerfahrene Besucher die Lieder in den Kontext des Stückes einordnen können. Den fließenden Übergang zum Rockpart schafft das Medley aus „We will rock you“. In diesem zweiten Teil des Abends geht es von Andreas Gabalier über Pink, hin zu den Stones, Bruce Springsteen und Bon Jovi. Die Auswahl aus dem breiten Spektrum der Rockmusik bleibt dem Rahmen stets angemessen, auf zu heftige Drumbeats und zu harte Riffs wird zugunsten von wunderbar arrangierten Akustikversionen und eingängigen Balladen verzichtet.
Die brillant aufspielende Band nimmt sich an den richtigen Stellen zurück, glänzt mit gutem Gespür fürs Ganze und ist für einige Überraschungen gut. Da greift Bassist Christoph Weigold auch mal zum Kontrabass oder Gitarrist Jens Kouros bringt ein gefühlvolles Akustiksolo. Am Schlagzeug gibt Stephan Schuchardt den Takt vor, Silas Schlösser beweist sein Können an den Tasten. Eine Glanzleistung liefert auch Tonmann Nik Reiff ab. Wird in einem überakustischen Raum wie einer Kirche mit Mikrofonen gesungen, ist es gleichermaßen wichtig wie schwierig, die natürlichen Schallreflexionen mit der eingesetzten Technik in Einklang zu bringen. Reiff gelingt dies meisterhaft. Die Textverständlichkeit ist einwandfrei, der natürliche Hall im Kirchenraum klingt am Ende der Lieder noch ganz leicht nach und wird so fast zum Stilmittel.
Auf diesem perfekten Tonteppich können sich die Gesangssolisten denn auch im besten Licht zeigen. Hauptakteur ist natürlich Hannes Staffler. Beim „Mädchen aus Ostberlin“ klingt er ähnlich kratzig-rau wie Udo Lindenberg, als Musicalsänger weiß Staffler aber gleichzeitig Gesangstechniken gezielt einzusetzen, was in Kombination den ganz besonderen Wiedererkennungswert seiner Stimme ausmacht. Auch das oft gehörte „Maria“ aus der “West Side Story“ erfährt dadurch eine neue klangliche Ausrichtung. Voller Hingabe lässt er sich mit geschlossenen Augen ganz in „One Song Glory“ fallen, bei „Gethsemane“ aus „Jesus Christ Superstar“ – nun in weißer Kleidung statt Jeans und Lederjacke – intoniert er ausdrucksstark von den leisen Tönen bis zum energiegeladenen Rockfalsett. Seine Interpretationen der Songs von Springsteen und Bon Jovi überzeugen selbst ausgesprochene Fans der US-Rocker, denn Staffler steht den Originalen gesanglich in nichts nach. Besonders emotional wird es bei „Angel‘s Eyes“. „Das Lied war ein Hochzeitsgeschenk für meine Frau“, so erzählt Hannes Staffler, und er freut sich sichtlich, dass ausgerechnet seine Eigenkomposition das Rocksong-Fanvoting im Vorfeld des Konzerts gewonnen hat, ebenso wie „Gethsemane“ für den Musicalteil gewählt wurde. „Angel’s Eyes“ knüpft an die Tradition der großen Rockballaden der 1980er-Jahre an und weckt den Wunsch nach mehr, nicht nur vom Sänger, sondern auch vom Rockkomponisten Hannes Staffler.
Linda Konrad ist als einzige für die weiblichen Rollen zuständig und tritt entsprechend häufiger in Aktion als Carl van Wegberg und Daniele Nonnis, die neben gemeinsamen Songs aller vier Künstler nur jeweils ein Solo und ein Duett mit Staffler bestreiten. Konrad, die als einzige der Vier nicht bei „Rebecca“ in Stuttgart dabei war, singt mit „Sie ergibt sich nicht“ den einzigen Titel aus diesem in Stuttgart von vielen Genrefreunden sehr vermisstem Musical. Während sie hier in den Höhen noch ein wenig schneidend klingt, gefällt sie mit grandiosem Stimmvolumen bei Pinks Rocksong „Try“ und beweist mit „I don’t know how to love him“, dass sie auch die leisen, eindringlichen Töne beherrscht.
Aus „Jesus Christ Superstar“ ist auch Carl van Wegbergs fantastisch gesungenes Solo „Heaven on their Minds“, dann tritt er leider erst wieder im letzten Teil des Konzerts im Duett mit Staffler bei Bon Jovis “Wanted dead or alive” in Aktion, und übernimmt dabei die hohe Zweitstimme, die in alten Bon-Jovi-Zeiten Gitarrist Richie Samboras Part war. Daniele Nonnis punktet mit italienischem Temperament als absoluter Stimmungsmacher. Im Duett mit dem „halben Italiener – ich bin ja aus Südtirol“ Staffler bringen die beiden mit Zuccheros „Baila Morena“ das Publikum schon zu Anfang des zweiten Teils richtig in Rocklaune. Die Stimmung bleibt vergnügt bis zum Schluss, als bei den letzten Zugaben, das 2005 auf dem Bon-Jovi-Album „Have a nice Day“ veröffentlichte „Who says you can’t go home“ und dem 80er-Kracher „Don’t stop believin‘“ der Rockdinosaurier Journey, alle, egal ob Alt oder Jung, stehend mitsingen und mitklatschen.
Mit Hannes Stafflers Dank an Pfarrer Albrecht Conrad, der Mut zum Experiment bewies und „seine Kirche für Musical und Rock öffnete“, verbindet er den lautstark beklatschten Wunsch, das Konzert zu einer neuen Degerlocher Tradition zu machen. Über mangelnden Zuspruch kann sich die Kirchengemeinde angesichts dieses Projekts jedenfalls nicht beklagen. Und wohl selten sind sich die Menschen generationsübergreifend so nah, wie bei solch einem gemeinsam erlebten, gelungenen Konzert, dem auch weihnachtliche Klänge nicht fehlten.
Text: Sylke Wohlschiess
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