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Konzert - Rezension „Rock & Romance“ in Ulm

Schwarze Limousinen rollen am 2. Oktober 2014 am Bühneneingang der Ratiopharm-Arena in Ulm vor. Auf zwei großen Leinwänden verfolgen die circa 3.500 Besucher in der Halle, wie sich die Autotüren öffnen und die Solisten der „Rock & Romance"-Benefizgala von Sicherheitspersonal in die Arena eskortiert werden. Der Einmarsch mitten durchs Publikum erinnert an Konzerte großer Rockbands oder Stargeiger. Auch das Aufgebot an Akteuren ist beeindruckend: eine 14-köpfige Band, ein großes Jugendorchester, fünf namhafte Gesangssolisten, Backgroundsängerinnen, zwei Moderatoren, gleich mehrere Musikalische Leiter und – last but not least – ein (Musical-)Komponist von Weltrang. Solch unterschiedliche Komponenten zu einem Gesamtkonzept zu verbinden, ist eine Herausforderung, der man musikalisch voll gerecht wurde. Im konzeptionellen Bereich hingegen bleibt noch Luft nach oben.

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Mit einer Instrumentalversion von Guns N' Roses' „Paradise City" gibt die „Rock & Romance" Band, vom Musikalischen Leiter Matti Klein speziell für diese Gala zusammengestellt, die Marschrichtung vor: querbeet durch Jahrzehnte der Rockmusik und Rockmusicals. So ist auch Rick Belzers Lichtdesign perfekt im Stil großer Rockshows inszeniert, szenisch passende Leinwandprojektionen unterstützen den jeweiligen Songcharakter auch optisch.

Vielleicht liegt es ja an seiner Ankündigung als „Axl Rose der Musicalszene", dass Thomas Borchert temperamentvoll wie Jerry Lee Lewis selbst die „Great Balls of Fire" singt und spielt, und später ein wahrhaft entfesseltes „Sweet Transvestite" aus der „Rocky Horror Show" gibt. Da fehlt es weder an Stimmgewalt noch an wilden Showgebärden oder dem Tänzchen mit einer Dame aus dem Publikum. Borchert-N-Furter meint scherzend: „Ich hab' sie alle im Griff". Da könnte er recht haben. Gleiches gilt für den zweiten Herrn der Solistenriege, Mark Seibert. Ihre gemeinsame Version von „Don't let the Sun go down on me", bei dem Borchert erneut am Klavier sitzt, steht dem Originalduett des Komponisten Elton John mit George Michael in nichts nach und ist unbestritten eine der ganz großen Darbietungen des Abends. Die Stimmen von Thomas Borchert und Mark Seibert ergänzen sich aufs Beste. Gleiches gilt für Seiberts harmonisches Duett mit Sabrina Weckerlin, „Who wants to live forever". Solo zeigt Seibert sich mit „I want to break free" von seiner rockigsten Seite und blickt dann dem Tiger ins Auge. Bei „The Eye of the Tiger" glänzt auch Arto Mäkelä mit einem druckvollen, präzisen Gitarrensolo. Dass der aus Finnland stammende Gitarrist auch weiß, wie man einer Akustikgitarre sanfte Töne entlockt, zeigt er bei „Ain't no Sunshine". Hier hat Sabrina Weckerlin einen ihrer großen gesanglichen Momente: sehr soulig, mit viel Hingabe, intoniert sie den Bill Withers-Song aus dem Jahre 1971. Später folgt ein ebenso faszinierend interpretiertes „Empire State of Mind", in der gefühlvollen Soloversion von Alicia Keys. Zwei weitere Damen vervollständigen die Solistenriege: Seran Bilgi und Coco Fletcher. Während Bilgis „Proud Mary" noch ein wenig antriebslos erscheint, gefällt die aus Istanbul stammende Sängerin dann sehr gut bei Adeles „Rollin' in the Deep" und im Duett mit Coco Fletcher bei „Take me or leave me" aus dem Musical „Rent". Fletcher reicht in den hohen, leisen Tönen bei „I will always love you" nicht an die stimmliche Leichtigkeit einer Whitney Houston heran, aber punktet mit „Baby Love", einem der größten Hits der US-Funkrocker Mother's Finest, zu dem ihre erdige, voluminöse Stimme hervorragend passt. Dieses Rock-Medley zum Ende des ersten Teils enthält mit „We will rock you" einen weiteren Queen-Hit, der vom Programmablauf her vielleicht besser zu den anderen beiden Songs dieser britischen Band gepasst hätte.

Leider wird auch die musikalische Dynamik viel zu häufig von Ansagen gebremst, die teils sehr konstruiert, teils regelrecht albern daherkommen. Das durchaus sympathische Moderatorenduo Tanja Rumm und Arthur Castro hält sich offensichtlich an auswendig Gelerntes, statt mehr in spontane Interaktion mit dem Publikum zu gehen und frei zu sprechen. Wenn Josef Christ, der Musikalische Leiter für die Parts mit der Jungen Bläserphilharmonie Ulm (JBU), mit den Worten „Da bleibt nur zu sagen: Jesus, Maria und Josef" vorgestellt wird, passt dies genauso wenig zum Niveau der Gala, wie die Auftritte von Castro in Freddie-Mercury-Outfit oder in Schuluniform á la Angus Young.

Dass es auch anders geht, beweist niemand geringerer als Frank Wildhorn, der nach der Pause endlich in Aktion tritt. Doch zuerst kommt die JBU zum Zug und eröffnet mit einer Instrumentalversion von „Invincible". Im folgenden Bond-Medley spielen die jungen Musiker unter dem Dirigat von Josef Christ gemeinsam mit der Band, ein musikalisches Experiment mit fantastischem Ergebnis. Das Zusammenspiel ist einwandfrei, die Klangbreite enorm und der Sound klar und sauber, was für das gesamte Konzert gilt. Hier hat Tondesigner Riccardo van Krugten ganze Arbeit geleistet. Der Zusammenschnitt aus sechs James-Bond-Streifen ist etwas lang geraten, gibt aber allen fünf Gesangssolisten - Seran Bilgi, Thomas Borchert, Coco Fletcher, Mark Seibert und Sabrina Weckerlin - die Gelegenheit, sich auch mit Interpretationen von Filmsongs zu präsentieren.

Dann beginnt der hochkarätigste und von vielen sicher mit Spannung erwartete Programmteil: Frank Wildhorn gibt einen Einblick in sein musikalisches Schaffen. In warmherzigen Worten beschreibt der Komponist, wie er vor Jahren Thomas Borchert in Wien kennenlernte und so begeistert von dessen Stimme und Bühnenpräsenz war, dass in ihm damals schon der Wunsch aufkam, eines Tages speziell für ihn eine Musicalrolle zu schreiben. Es ist ein außergewöhnlicher Moment, nicht nur für das Publikum, sondern deutlich spürbar auch für die beiden Künstler selbst. Frank Wildhorn begleitet am Piano Thomas Borcherts hoch emotionales, gesanglich kaum zu übertreffendes „Dies ist die Stunde" aus seinem ersten Musical „Jekyll & Hyde". Aus dem selben Stück singt Seran Bilgi eine überzeugende Version von „Someone like you". Auch Wildhorns „pop decade" kommt nicht zu kurz: Sabrina Weckerlin mit „Gold", dem Eröffnungssong der Olympischen Winterspiele 2002, und Coco Fletcher mit „Where do broken hearts go" – beides hervorragend gesungen und dirigiert von Christoph Wohlleben, der für die Musikalische Leitung des Wildhorn-Parts verantwortlich zeichnet. Zurück zum Musicalgenre erzählt Frank Wildhorn in seiner bescheidenen, freundlichen Art, wie geehrt er sich fühlte, als er vom damaligen US-Präsidenten George Bush gebeten wurde, ein Musical über den amerikanischen Bürgerkrieg zu schreiben. „Civil War" wurde an den Originalschauplätzen aufgeführt, das Lied „Sarah" entstand aus dem authentischen, letzten Brief eines Soldaten an seine Freundin. Mark Seiberts sanfter Tenor und seine Ausdruckskraft wird dieser ernsten Ballade in jeder Hinsicht gerecht. Wildhorns aktuelles Musical „Havana" wartet noch auf seine Uraufführung. So ist es wiederum etwas Besonderes, jetzt schon den gleichnamigen Song im mitreißenden Sambarhythmus zu hören, den Bilgi, Weckerlin und Fletcher mit viel Schwung und Lebendigkeit auf die Bühne bringen. Weckerlin und Borchert beschließen mit „I will be there" – aus dem eigens für Borchert komponierten „Graf von Monte Christo" – diesen grandiosen Teil der „Rock & Romance"-Gala.

Am Programmaufbau und vor allem an der Moderation kann man noch arbeiten, auch wäre es schön gewesen, wenn Produzent und Initiator Walter Feucht neben all' seinen launigen Worten noch die Zeit gefunden hätte, etwas deutlicher zu vermitteln, wer eigentlich vom Erlös der Gala profitiert: „Knallbonbon", eine Veranstaltungsreihe zugunsten der Erforschung kindlicher Leukämie an der Uni-Kinderklinik, die Feucht selbst vor 25 Jahren initiiert hat und die „Aktion 100.000 und Ulmer helft", mit der die Stadt Ulm und die Südwestpresse Ulm in Not geratene Menschen in der Region unterstützen.

Die Zugabe „Seasons of Love" setzt nach fast vier Stunden den Schlusspunkt unter eine Veranstaltung, die in musikalischer Hinsicht keine Wünsche offen lässt. Thomas Borchert, Sabrina Weckerlin und Mark Seibert bei einer Gala dieser Größenordnung zu erleben, noch dazu mit Frank Wildhorn persönlich am Piano, ist auf jeden Fall ein Ereignis, das auch weite Anfahrtswege lohnt.

 

Text: Sylke Wohlschiess

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