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Interview mit Julian Tovey:
Ich gebe immer volle Kraft

Am 7. April 2000 fand in Füssen die Weltpremiere des ersten Ludwig-Musicals „Ludwig II – Sehnsucht nach dem Paradies" statt. In der Titelrolle: Julian Tovey. Wie der britische Opernsänger zum bayerischen Märchenkönig wurde, warum er bei der Neuinszenierung des Stücks in München nicht mehr dabei sein wollte und wie er die Situation der Opern- und Musicalszene damals und heute bewertet, verrät er im Interview.

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Fast 14 Jahre, nachdem Sie bei der Weltpremiere des Musicals „Ludwig II – Sehnsucht nach dem Paradies" in der Titelrolle auf der Bühne standen, waren Sie für die Silvestergala 2013 erstmals wieder zu Gast im Festspielhaus in Füssen. Wie ging es Ihnen dabei?

Als ich angereist bin, war mir im ersten Moment alles sehr fremd. Aus allen Ecken der Welt kamen wir nach Füssen, haben uns kennengelernt und gut zusammen gearbeitet. Es gab zwar viele Probleme, aber auf der zwischenmenschlichen Ebene lief alles wunderbar. Wir waren eine tolle Truppe und es war eine schöne Zeit. Ich habe viele sehr glückliche Erinnerungen an damals und war schon bisschen traurig, das Gebäude jetzt ohne die Kollegen und Freunde von früher zu sehen. Aber nach ein paar Stunden war es ok und ein paar Leute, die hinter der Bühne arbeiten, kannte ich sogar noch. Mir hat die Idee eines Konzerts mit Melodien aus beiden Füssener Ludwig-Musicals gefallen und ich habe mich über die Einladung der Veranstalter Marc Gremm und Janet Chvatal sehr gefreut. Es berührt mich sehr, dass unser Stück immer noch eine so große Bedeutung für viele Menschen hier hat. Auf der Bühne habe ich mich schnell wieder heimisch gefühlt und es war sehr emotional, diese Lieder hier wieder zu singen. Was übrigens ganz lustig ist: Ich gebe fast nie Interviews und wenn, dann komischerweise nie in meiner Muttersprache englisch, sondern immer nur auf deutsch. Damals, als ich hier den Ludwig spielte, war ich oft für Promotionauftritte unterwegs, auch das erste Mal in meinem Leben im Fernsehen. Mein Deutsch war damals noch nicht so gut – ich hatte es drei Jahre lang in der Schule gelernt aber danach 15 Jahre nicht mehr gebraucht – aber trotzdem habe ich auch bei den Livesendungen immer deutsch gesprochen. Und trotzdem war für mich alles recht entspannt. Die meisten Prominenten, die in die gleiche Sendung eingeladen waren, kannte ich nämlich gar nicht. Erst an den Reaktionen meiner Freunde („Was? Du warst mit XY im Fernsehen?") habe ich gemerkt, dass diese Leute hier in Deutschland echt bekannt waren. So blieb mir aber viel Nervosität erspart. Wäre das in Großbritannien gewesen, hätte das sicher anders ausgesehen.

Wie kam es eigentlich, dass Sie als britischer Opernsänger in Deutschland in einem Musical dem bayerischen Märchenkönig gespielt haben?
Ja, das war ungewöhnlich. Ich hatte vorher zwar schon einige Operetten gemacht, aber noch nie ein Musical. Ein Agent, der mich kannte, hat damals den Musikalischen Leiter der Ludwig-Produktion getroffen. Dieser klagte darüber, wie schwer es sei, jemanden zu finden, der die Hauptrolle übernehmen könne. Die Musik war sehr kompliziert, sehr opernmäßig und facettenreich, zudem mit vielen wagnerschen Elementen. Außerdem wollten sie jemanden, der auch vom Typ her passte und flexibel auf der Bühne agieren konnte. Er sollte beispielsweise auch tanzen können. Für mich war das eine wunderbare Aufgabe. Wenn ich auf der Bühne viel zu tun habe, bin ich immer sehr glücklich. Was im Musicalbereich ganz anders ist als in der Oper, ist die Häufigkeit der Vorstellungen. Normalerweise gibt es in der Oper vielleicht zehn Vorstellungen eines Stücks. So viele hatte ich bei „Ludwig II" innerhalb von knapp zwei Wochen. Das war für mich ein gutes Training, bei dem ich viel gelernt habe. Zum Beispiel, wie man auf der Bühne Energie spart und trotzdem den Fokus auf das Publikum behält. Oder wie man schwache Momente überbrücken kann. Natürlich muss man immer alles geben, immer ganz dabei sein. Aber man muss sich eine Technik erarbeiten, die es einem ermöglicht, in Balance zu bleiben, damit man wirklich jedes Mal die volle stimmliche Leistung bringen kann. Das ist schon anstrengend, aber meine Stimme ist zum Glück relativ stark und ich bin auch körperlich recht fit. Außerdem singe ich jeden Tag. Ob man übt – und ich übe täglich – oder auf der Bühne singt, macht für die Stimme keinen großen Unterschied. Eigentlich muss man auch im Proberaum immer genauso gut singen, wie bei einer Vorstellung und nicht etwa nur mit halber Kraft. Ich gebe immer volle Kraft.

Sie als klassischer Sänger kennen sich natürlich auch mit der Musik von Richard Wagner aus. Wie beurteilen Sie die Einbindung der wagnerschen Motive bei „Ludwig II"?
Franz Hummels Kompositionen fand ich sehr interessant. Für mich war es sehr wichtig, dass die Musik die Welt von König Ludwig II widerspiegelt. Das Musical vermittelt König Ludwigs Phantasien und auch seine Bewunderung für Richard Wagner. Hummel hat im Stück eine gute Atmosphäre aufgebaut. Man merkt vor allem in den Harmonien, dass Wagners Musik eine Rolle spielt. Auch die Themen ähneln sich. Vor allem in der Füssener Gegend, wo man sich ja wirklich in der Welt von König Ludwig befindet, hat natürlich alles sehr gut zusammengepasst. Das Bühnenbild war herrlich. Ich finde es fantastisch, dass es in Deutschland noch Bühnenbildner gibt, die die Begabung und das handwerkliche Können haben, solche Kulissen von Hand zu erschaffen. Für mich als Darsteller des Königs war die Trauer im Stück eine Herausforderung. Es geht immer darum, dass Ludwig ganz alleine durchs Leben geht und keiner Verständnis für ihn und seine Visionen hat. Es ist kein Wunder, dass sich auch heute noch viele Menschen mit ihm identifizieren können, denn wenn wir deprimiert sind, haben wir alle ähnliche Gedanken. Leider war sein Leben wohl fast immer so.

Glauben Sie, dass das Stück für das breite Musicalpublikum zu schwer war?
Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Vielleicht war es ein bisschen anders als das, was das Publikum normalerweise in einem Musicaltheater erwartet. Aber das Stück und die Musik waren kein Problem, weil die Leute mit offenem Herzen auf eine Reise gingen. Meiner Meinung nach war das Stück zu lang; es war gutes Material, aber einfach zu viel. Ich denke das oft auch bei Musik von Stephen Sondheim. Was man hört und sieht, ist fantastisch, aber ab und zu wird es zu viel. Das Problem bei „Ludwig II" war meiner Meinung nach aber geschäftlicher Natur. Anfangs war das Musical fast zu erfolgreich. Es lief von selbst, die Leute kamen in Scharen nach Füssen. Es war ständig ausverkauft und man dachte, es würde immer so weitergehen. Theoretisch hatten die Leute viel Ahnung, aber die Praxis hat dann leider gezeigt, dass sie es eben doch nicht gut gemacht haben. Es gab eine Mitarbeiterin im Marketing, die den absolut richtigen Ansatz hatte. Sie hat sofort verstanden, dass man den Kultstatus des wirklichen Königs ausnutzen und das Marketing für das Musical danach ausrichten sollte. Aber sie wurde immer abgeblockt. Es gab da viele seltsame Leute im Team. Ich dachte oft, dass die eigentlich vom Theater keine Ahnung haben. Vielleicht von Werbung und der geschäftlichen Seite, aber nicht generell vom Theater. Beides muss aber vorhanden sein, um ein Stück dauerhaft zum Erfolg zu führen. Ich war für das Stück weltweit auf Promotionreisen und habe die unterschiedlichsten Leute und Sponsoren kennen gelernt. In Japan habe ich Geschäftsführer von Fluglinien und Reiseveranstaltern getroffen, die sehr interessiert waren. Die Japaner sind große Ludwig- und Sisi-Fans, aber sie besuchen niemals spontan ein Musical in Deutschland, sondern es muss ein langfristig eingeplanter Programmpunkt der Reise sein. Diese Geschäftsleute wussten sehr genau, wie sie vorgehen müssen. Die Idee war, durch Fernsehauftritte in Japan dem Publikum zu zeigen, dass es über den Märchenkönig ein Musical gibt. Neuschwanstein steht sowieso bei jeder Europareise auf dem Plan, die Besucher wären auf jeden Fall gekommen. Aber irgendwie kam es nie zur zweiten Phase der Arbeit, die Fernsehauftritte wurden nicht realisiert, alles war immer zu kompliziert. Ich denke, dass so ein Projekt eine langfristige, strategische Planung benötigt. Und das war nicht der Fall, es wurde viel zu kurzfristig gedacht. Hinzu kamen häufige Personalwechsel. Auch, dass die Meinung von uns Künstlern wenig zählte, war nicht gerade förderlich. Ich bin so viel für das Stück gereist und habe so viele Ansichten von möglichen Geschäftspartnern gehört. Aber als ich wieder zurück war, hatten die Verantwortlichen gar kein Interesse an einem Gedankenaustausch und haben all meine Eindrücke gar nicht genutzt.

thovey02Bei der Neuinszenierung 2005 in München waren Sie dann nicht mehr dabei.
Nein. Ich wurde gar nicht gefragt und ich hatte ehrlich gesagt auch wenig Lust auf einen zweiten Versuch. So, wie in Füssen zum Schluss alles lief, war es ärgerlich und enttäuschend. Niemand wollte die Verantwortung übernehmen, es wurde einfach immer weiter gemacht, als wäre alles in bester Ordnung. Aber Fakt ist, dass wir Künstler monatelang ohne Gage gespielt haben. Immer wieder wurden wir vertröstet, immer wieder hieß es, dass wir es schon schaffen. Im Theater herrschte Anspannung und Druck. Wir geben alles für das Publikum, sind aber ohne jegliche Mitspracherechte. Viele arbeiten freiberuflich, und haben deshalb keinen Anspruch auf Unterstützung. Wenn man einen guten Agenten hat, ist es einfacher. Dann muss man sich keine Sorgen machen, sondern nur seine Arbeit. Aber wenn man dieses Glück nicht hat, muss man viele zusätzliche Aufgaben erledigen, um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Die meisten Künstler sind sehr praktische Menschen. Die großen Diven stehen nicht auf der Bühne, sondern sitzen in den Führungsgremien. In den Medien wird oft die heile schöne Theaterwelt heraufbeschworen, aber eigentlich funktioniert die Theaterbranche weltweit gerade nicht besonders gut. Viele Künstler fühlen sich erpresst und unterdrückt. In Großbritannien beispielsweise gab es erst kürzlich den Fall, dass viele Leute sichere Jobs aufgegeben haben, um in einem großen neuen Theater zu arbeiten. Ein paar Wochen später wurde es geschlossen. Die Künstler sind dann überhaupt nicht wichtig. Es gibt einen englischen Ausdruck: Sänger sind „ten a penny". Für einen Penny kann man zehn kaufen, sie sind praktisch wertlos. Es gibt immer wieder andere, sie sind austauschbare Ware. Das Publikum sieht das völlig anders. Aber für die Geschäftemacher der Branche sind wir Künstler nichts als Ware. Auch die Stars. Nicht einmal die werden wirklich als Menschen mit Emotionen betrachtet, obwohl durch sie immens viel Geld verdient wird. Jegliche Wertschätzung fehlt. Aber das ist leider nicht nur in der Musik- und Theaterbranche so. Das gleiche gilt auch für völlig andere Lebensbereiche, beispielsweise Universitäten oder Krankenhäuser. Alles ist nur noch auf Profit ausgerichtet, immer weniger auf Qualität. Dabei funktioniert das oft gar nicht. In den Chefetagen glaubt man, dass so ein besseres Geschäft gemacht wird, aber die Realität ist oft anders.

Wie schätzen Sie den Stellenwert von Musical im Vergleich zu Oper ein?
Mit geht es immer um die Qualität der Musik, weniger um die Zuordnung zu einem Genre. Es gibt große Komponisten, die Musicals geschrieben haben, und es gibt andere, die weniger Ahnung haben. Da wird dann schnell-schnell irgend etwas gemacht, das keinen großen Tiefgang hat. Aber diese Trennung zwischen Unterhaltungsmusik und ernster Musik kennt man eigentlich so nur in Deutschland, in anderen Ländern hat das keine Bedeutung. Die meisten Musiker haben keine Vorurteile, sie erkennen und bewerten die Qualität, nicht die Stilrichtung.

Sie sind viele Jahre nicht mehr in Musicals aufgetreten, aber im Oktober 2013 waren Sie Gastsolist bei einer konzertanten Aufführung von „South Pacific" unter Leitung von Dirigent John Wilson.
Richtig. Ein Orchesterleiter, den ich kenne, hat mich für diese Aufführungen vorgeschlagen. Er wusste, dass ich ab und zu schon Sondheim oder Bernstein gesungen habe. Ich fand das Projekt sehr spannend und da zudem kurz danach das Konzert in Füssen anstand, erschien es mir passend, wieder etwas im Musicalbereich zu machen. John Wilson ist ein relativ junger, klassischer Dirigent. Wie die meisten klassischen Musiker hat er keinerlei Vorbehalte gegenüber Unterhaltungsmusik. Er hat sein eigenes Orchester und 22 Konzertmeister, die immer für ihn arbeiten, wenn er sie braucht. Im Rahmen der Promenadenkonzerte der Londoner Royal Albert Hall dirigiert er immer ein großes Konzert, das binnen zehn Minuten ausverkauft ist. Wilson hat die Partituren alter MGM-Musicals rekonstruiert. Damals, in den 1930er und 1940er Jahren wurden die Partituren nach Drehende vernichtet, denn niemand dachte, dass die noch interessant sein könnten. John Wilson hat die Musik angehört und aufgeschrieben, pro Tag nur jeweils ca. fünf Sekunden, so schwierig war es. Nachdem ein paar wichtige Lieder fertig rekonstruiert waren, gab es das erste Konzert. Dann ging es immer weiter und inzwischen gibt sind viele Musicals fertig, alle aus der Zeit von Cole Porter, Oscar Hammerstein II, George Gershwin und so weiter. Diese Konzerte finden immer mit großen Symphonieorchester statt. Die Musik entfaltet so eine ganz andere Wirkung, man spürt sie im ganzen Körper. Das hat auch nichts mit der Lautstärke zu tun, sondern mit der Klangqualität. Nichts kommt vom Band, alles wird live gespielt. Auch bei „South Pacific" war die Musik deshalb unglaublich intensiv. Wilson verlangt sehr viel von den Musikern und Sängern, aber alle haben große Freude an der Arbeit. Eine große Welttournee mit semi-konzertanten Aufführungen von „South Pacific" war sehr erfolgreich. Aber da Wilson bei der Orchestergröße keine Kompromisse eingehen möchte, wäre eine voll inszenierte En-Suite-Produktion viel zu teuer. Aber wenn man Tonband-Einspielungen nutzt, bedeutet das, am falschen Platz zu sparen. John Wilsons Konzerte sind ja so beliebt, weil alles live gespielt wird. Das Publikum weiß das zu schätzen und seine Konzerte besuchen auch viele Leute, die normalerweise keine Musicalliebhaber sind.

Sie haben an der Mailänder Scala schon eine Hauptrolle gesungen. Welche Ziele hat man als Opernsänger danach noch?
Ja, das war die Rolle des Winston in der Oper „1984", die auf George Orwells gleichnamigem Roman beruht. Die Scala ist wahrscheinlich das renommierteste Opernhaus der Welt, natürlich ist es eine große Ehre und ein großes Erlebnis, dort aufzutreten. Aber die Ziele, die ich habe, sind eher unspektakulär: Ich möchte einfach weiterhin als Sänger arbeiten, mit interessanten Menschen und an tollen Projekten. Mir ist nicht wichtig, reich oder berühmt zu werden. Überhaupt nicht. Die Arbeit muss Freude machen und mein Leben bereichern. Ich kann mir durchaus auch vorstellen, wieder im Bereich Musical zu arbeiten. Viele zeitgenössische Musicals mag ich aber nicht so sehr. Ich möchte zumindest richtige Melodien haben, nicht nur Sprechgesang. Es muss nicht klassisch, aber es muss handwerklich gut gemacht sein, so, dass man es auf der Bühne ehrlich spielen kann. Ich mag Geschichten, die etwas Wichtiges vermitteln, eine gewisse Tiefe haben. Es soll zu Herzen gehen. Solange die Qualität stimmt, bin ich für alles offen.

 

Interview: Sylke Wohlschiess

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