Interview mit Sabrina Weckerlin:
Meine Stimme ist meine Seele und mein Herz
Wenn man mit Sabrina Weckerlin über ihren Beruf spricht, spürt man sofort, wie viel das Singen ihr bedeutet. Wir trafen sie im Schlosstheater Fulda, bei den Showvorbereitungen zu „Der Medicus“ und führten ein spannendes Interview über Mary Cullen, Beziehungen und Wünsche ans Universum.
Sie haben bisher fast in jedem von Spotlight-Musicals produzierten Stück mitgewirkt. Wie kam es dazu?
So genau kann ich das gar nicht sagen. Ich wurde schon für „Bonifatius“ angefragt, damals konnte ich aber nicht. Für „Elisabeth – Legende einer Heiligen“ hat es im Jahr 2007 dann geklappt. Dem Kreativteam hat meine Arbeit wohl gefallen und wir haben gemerkt, dass wir gut miteinander auskommen. Dennis Martin komponiert einfach unglaubliche Musik, ich bin ein Riesenfan seiner Arbeit. Meine Stimme passt auch gut zu seinem Stil und so bin ich da irgendwie hängengeblieben.
Nun ist die Rolle der Mary Cullen in „Der Medicus“ im Vergleich zu vielen anderen Ihrer Rollen eher klein. Warum haben Sie trotzdem zugesagt?
Bei einer Uraufführung kauft man schon manchmal die Katze im Sack, denn man weiß ja nicht im Voraus, wie das Stück am Ende sein wird. Ich bin ein Workaholic und arbeite unfassbar gerne. Singen, spielen, tanzen – ich liebe es einfach. Dadurch macht es mir auch nichts aus, zwölf Shows die Woche zu spielen, wie es im ersten Jahr bei der „Päpstin“ der Fall war. Jetzt habe ich mal eine kleinere Rolle und viele sagten mir schon, nun könne ich ja mal ein bisschen entspannen. Aber das ist immer schlecht für mich (lacht), weil ich so gerne auf der Bühne stehe. Für mich ist zweitrangig, wie groß die Rolle ist. Wichtig ist, dass sie eine Aussage hat, die ich rüberbringen kann. Das wird um so schwieriger, je kleiner die Rolle ist. Es wäre sicher einfacher, wenn beispielsweise Mary und Rob im zweiten Akt noch eine Auseinandersetzung hätten. In einem Dialog bringt man sich auch gemeinsam zu einer Emotion und mit einem weiteren Song könnte ich Marys Gefühlswelt noch mehr verdeutlichen. Aber ich nehme diese Situation als besondere Herausforderung. Gerade im zweiten Akt spiele ich als Mary viele kleine Details und muss innerhalb von 20 Sekunden eine Emotion erzeugen, was eigentlich viel länger braucht. Ich habe aber keine Zehn-Minuten-Szene, sondern bin nur zwei Minuten auf der Bühne, also muss es da richtig sein.
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Bevor die Proben hier in Fulda losgingen, hatte ich kaum Zeit, das Libretto anzuschauen, weil ich so dermaßen viel zu tun und ein echtes Zeitproblem hatte. Aber ich habe das Buch gelesen und nach Parallelen gesucht. Letztlich findet man sich im Probenprozess in die Rolle hinein. Wir können ja Noah Gordons Roman auch nicht 1:1 auf die Bühne bringen und zwölf Stunden am Stück Musical spielen. Manche Dinge mussten natürlich für die Bühne verändert werden, damit sie funktionieren.
Sind diese Unterschiede dann nicht ein wenig verwirrend?
Nein, eigentlich nicht. Man behandelt das Buch respektvoll, aber argumentiert nicht immer damit, sondern sucht nach einem Handlungsstrang, der eben nicht noch zehn weitere Charaktere ins Spiel bringt. Da könnte man ja keinem mehr richtig folgen. Es ist schon schwierig genug, Mary gefühlsmäßig zu folgen. Meine Rolle ist ja deshalb etwas kleiner, weil einfach der Rahmen nicht da ist. Man muss sich auf die Bedeutung der Figuren konzentrieren: Welche sorgt für mehr Spannung, welche steht für ein bisschen Herz-Schmerz? Ich glaube, Mary ist sehr unterstützend für Rob. Sie zeigt eine seiner Gefühlswelten, sein Hin- und Hergerissen sein zwischen der Liebe zu ihr und dem Drang, Verstorbene aufzuschneiden, um endlich zu erfahren, wie man die Seitenkrankheit heilen kann. Dass es zwischen Mary und Rob ein Happy End gibt, ist ja nicht vorhersehbar, finde ich.
Genau.
Obwohl… wenn man sich die Fotos im Foyer angeschaut hat, rechnet man ja doch ein bisschen damit, dass Mary und Rob sich wiedersehen. Sie hat doch ein anderes Kostüm an (lacht). Aber sonst glaube ich schon, dass man als Zuschauer nach der Trennung einfach bangt und hofft, dass sie sich nochmal treffen.
Aber Rob geht doch ganz in seiner Berufung auf und stellt alles andere hinten an, auch seine Liebe zu Mary.
Das empfinde ich eigentlich nicht so. Oder anders gesagt: Mary richtet sich doch auch nicht nur nach ihm. Als die Karawane im ersten Akt weiterzieht, bleibt sie bei ihrem Vater. Sie lässt Rob alleine weiter nach Isfahan ziehen, obwohl es ihr schwer fällt. Aber sie versteht und akzeptiert Robs Wunsch, ein Medicus zu werden. Sie könnte ja auch sagen „Du Blödmann willst nicht mit mir gehen, also komm‘ mir ja nicht mehr unter die Augen“. Und auch Rob zieht nicht beleidigt von dannen, weil sie ihn nicht begleitet, sondern versteht und akzeptiert auch Marys Situation. Das ist eine sehr erwachsene Begegnung. Beide haben sich verliebt, beide glauben, jetzt den Partner fürs Leben gefunden zu haben – und dennoch bleiben beide auch sich selbst und ihren Zielen treu. Ich finde das toll und glaube, dass es auch in realen Beziehungen so funktionieren kann. Es ist wichtig, dass man den Partner auch gehen lassen kann, wenn man erkennt, dass ihm etwas wirklich viel bedeutet und deshalb eine Trennung unvermeidlich ist.
Im zweiten Akt treffen sich die beiden dann tatsächlich wieder, allerdings unter ungewöhnlichen Umständen.
Oh ja. Mary wird als Sklavin dem Schah vorgeführt – und sieht plötzlich Rob neben diesem fremden Herrscher stehen. Ich als Mary bin natürlich vollkommen verwirrt: Wieso steht der da als Jude? Der ist doch Christ. Warum sucht der sich hier Frauen aus? Was ist bloß aus ihm geworden? In der Gefangenschaft hat Mary ganz viel Schlimmes durchmachen müssen. Jetzt steht da Rob, aber er ist nicht mehr der Mann, in den sie sich verliebt hat. Sie ist völlig überfordert mit der Situation, sie weiß ja nicht, ob Rob sich nicht jeden Tag Sklavinnen auswählt. Robs Wiedersehensfreude kann sie zuerst gar nicht erwidern. Das alles muss ich in nur einem Blick spielen. Es ist total spannend, denn jetzt haben wir ja erstmal diesen Clinch. Mary konfrontiert Rob mit der Frage, was eigentlich aus seinen Wünschen und Zielen geworden ist. Im Liebesduett bleiben zwei Minuten Zeit, es so zu drehen, dass wir am Ende gemeinsam in Isfahan bleiben. Rob reflektiert seine Situation und bietet Mary an, mit ihr zu kommen. Aber – und das finde ich auch sehr erwachsen von ihr – Mary macht ihm klar, dass er zuerst seine Studien beenden muss. Aber dann, so sagt sie, dann möchte sie heim nach Schottland. Sie geben sich ein tolles Versprechen.
Das ist der einzige Moment, bei dem ich manchmal denke, es wäre schön, mehr Zeit zu haben, das als Figur zu entwickeln. Aber so ist es auch eine besondere Herausforderung. Es ist eine schöne Szene mit unglaublich vielen Emotionen, die man innerhalb von zehn Sekunden erzeugen muss. Aber ich glaube, das gelingt Friedrich (Anm. der Redaktion: Friedrich Rau, er spielt die Titelrolle) und mir sehr gut. Wir haben viel daran gefeilt und gearbeitet, uns oft getroffen und darüber gesprochen, wie wir es am besten umsetzen. Bei der Liebesszene im ersten Akt ist es einfacher: man lernt sich kennen, verliebt sich und dann muss man sich trennen. Es ist ziemlich klar, welche Emotionen man da spielt. An den zweiten Akt haben wir uns gemeinsam Stück für Stück herangetastet. Wir sind das Libretto Satz für Satz durchgegangen und haben ganz klar für uns festgesteckt, wer wann was fühlt und wie sich das Gefühl verändert. Diesen Bogen in fünf Minuten zu spielen, ist jeden Tag eine neue Herausforderung und wahnsinnig spannend.
Ist das einfacher, wenn man sich mit den Kollegen gut versteht?
Ich glaube, da kommt ganz viel zusammen. Am Ende muss ich auf der Bühne jeden Charakter gleich gut verkaufen, egal, ob ich jemanden mehr oder weniger sympathisch finde. Das ist mein Beruf. Hier herrscht echt eine tolle Arbeitsatmosphäre, wir verstehen uns alle großartig. Ich lese ja eigentlich keine Kritiken, aber meine Freunde sagen, das könne ich beim „Medicus“ ruhig tun (lacht). Diese Harmonie kommt wohl bei den Zuschauern an und das zeigt, dass wir es offensichtlich richtig machen. Friedrich und ich sind gesanglich auf der selben Wellenlänge und ergänzen auch schauspielerisch. Beide sind wir Perfektionisten. „Dein Ruf eilt dir voraus“, sagte Friedrich zu mir. Ja, es stimmt schon: Ich kenne kein Stopp und bin der Mega-Perfektionist. Aber er ist genauso. Das ist echt ein Glück und ich hoffe, dass wir noch viele Produktionen zusammen spielen werden.
StehenSie und Friedrich Rau das erste Mal gemeinsam auf der Bühne?
Ja. Und ich sehe Parallelen zwischen seiner Rolle als Rob und meiner als Johanna in „Die Päpstin“. Genau wie Rob will auch Johanna immer mehr lernen und weiterkommen. Beide haben diesen inneren Drang zu Wissen und Wahrheit und brauchen ihre ganze Kraft, um alle Hindernisse zu überwinden. Mary ist auch eine ganz starke, intelligente Frau. Aber sie bleibt in ihrer Frauenrolle. Sie knetet Teig in ihrem Haus in Isfahan und will nicht plötzlich auch mehr über die Gedärme der Menschen wissen.
Was würde Sie denn mehr reizen?
In jede Rolle bringt man Persönliches mit ein, aber ich spiele Mary natürlich so, wie es dem Rollencharakter entspricht. Als Sabrina bin ich anders. Wie Rob bin ich sehr wissbegierig, vermutlich würde ich ihn um ein Skalpell bitten, um mitzuschnippeln.
Sie trennen also strikt zwischen Rolle und Realität?
Voll. Das sehe ich als Teil meines Berufs. Ich bin auch sehr uneitel. Wenn ich eine schöne Frau spielen soll, eine Geliebte zum Beispiel, dann ist ein tolles Kostüm, in dem man sich dann auch so fühlt, schon wichtig. Aber wenn ich eine Bettlerin spiele, wie Margrid Arnaud in „Marie Antoinette“, ist es mir total egal, wie ich aussehe. Man muss sich der Rolle beugen, auch gesanglich. Da kann ich nicht eben mal mein Whitney-Houston-Riff bringen. Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob ich bei der „Sommernacht des Musicals“ stehe und einen Popsong singe oder ob ich im Musical „Blind vom Licht“ oder „Kilmarnock“ singe. Ich selektiere schon sehr, wie ich was singe. In einem Stück steht immer der Charakter an erster Stelle, man muss in diesem bleiben. Meine Eitelkeit als Sabrina hat da nichts verloren. Klar habe ich einen bestimmten Stil. Die Art, wie ich singe ist aber nichts, was ich mir aufsetze. Ich singe, wie es aus mir herauskommt. Wenn ich mich etwas belastet, geht es auch meiner Stimme nicht so gut, denn das ist meine Seele und mein Herz. Dem einen gefällt das, dem anderen nicht. Ich kann es nicht steuern. Und das ist vielleicht auch der Grund, warum ich das gar nicht weitergeben kann. So viele kommen zu mir und wollen, dass ich ihnen beibringen, wie ich zu singen. Aber das kann ich nicht. Ich denke gar nicht darüber nach – ich singe einfach. Mir macht es Riesenspaß, Rollen zu interpretieren, aber ich bin schon gerne auch mal einfach Sängerin. Ich mag meinen schwarzen Nagellack und ich liebe es, meine Haare offen zu tragen. Deshalb freue ich mich auf alle meine Konzerte – da bin ich ich, keine Rolle, und das macht mich dann schon sehr glücklich.
Gutes Stichwort – es soll ja eine Solo-CD geben.
Ja, daran arbeite ich zusammen mit Frank Wildhorn in New York. Er hat 30 Songs für mich komponiert, von denen ich sechs auswählen durfte. Diese haben wir schon aufgenommen und produziert.. Ich habe ihn 2010 kennengelernt und wir haben sofort gewusst, dass wir zusammen Musik machen möchten. Er hat mir damals gesagt, dass er an einem neuen Stück für das Theater St. Gallen arbeitet - „Artus excalibur“ - und mich gefragt, welche Rolle er für mich schreiben soll. Ob ich lieber die Gute oder lieber die Böse sein will. Naja, klar, lieber die Böse. Nun ist es in unserem Beruf oft so, dass die Leute sehr enthusiastisch sind, nachdem sie dich auf der Bühne gesehen haben, da wird dann unheimlich viel geredet. Anfangs dachte ich in meiner Schwarzwaldnaivität immer „oh toll“ – und dann ist gar nichts dabei rausgekommen. Inzwischen bin ich gelassener und warte ich einfach ab.
Ich hätte niemals geglaubt, dass Frank Wildhorn mir wirklich eine Rolle schreibt, dass er am Klavier sitzt und Songs schreibt, die für meine Stimme gemacht sind. Das ist ein unglaublich tolles Gefühl. Und dann sagte er, dass er auch gerne Popsongs für mich schreiben möchte. Bingo. Das hatte ich mir als kleines Mädchen vom Universum gewünscht. Whitney Houston war ja mein großes Vorbild. Ich wollte immer jemanden finden, der für mich auch solche Songs schreibt. Dass ich genau denjenigen dann tatsächlich getroffen habe, ist ein großes Glück für mich. Von Frank stammt ja Whitney Houstons Nummer-1-Hit „Where do broken Hearts go“. Ich habe jetzt in New York ein Konzert mit ihm singen dürfen, mit Sängern vom Broadway. Das war eine unglaubliche Erfahrung.
In welche Richtung wird das Album gehen?
Es wird ein Pop-Soul-Album sein, genau so, wie ich es mir immer gewünscht habe. Einen genauen Termin gibt es noch nicht, aber wir machen uns da auch gar keinen Stress. Ich möchte kein Popstar sein und ich habe auch keine Plattenfirma im Hintergrund, die mir einen Minirock anziehen und mich irgendwie vermarkten will. Ich möchte einfach meine eigene Musik machen und ich wünsche mir, dass die Leute sich das anhören.
Schreiben Sie auch selbst?
Ja, ich schreibe selbst. Aber dazu brauche ich mehr Zeit, als ich im Moment habe. Ich habe lange keine long-run-Produktion mehr gespielt, sondern hüpfe überall hin. Zum Songs schreiben muss man aber auch ein bisschen kreative Zeit haben und die habe ich gerade nicht.
Was glauben Sie wird sich für Sie emotional verändern, wenn Sie mit eigenen Songs auf der Bühne stehen?
Die Veränderung ist gar nicht so groß, es ist nur eine andere Art von Emotion. Wie ich schon sagte, es ist einfach eine andere Art zu singen, weil ich keiner Rolle gerecht werden muss. Eine Frau im Mittelalter steht halt nicht da und macht irgendwelche abgefahrenen Riffs, sondern die erzählt eine Geschichte. Mit meinen Songs erzähle ich auch eine Geschichte, aber auf meine eigene Art. Ich kann so aussehen wie ich aussehe, ich kann sein, wie ich bin. Es ist eine andere Gefühlswelt. Aber ich liebe beides – meine Konzerte und meine Rollen. Ich liebe das Singen einfach so sehr.
Interview: Sylke Wohlschiess
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