Interview mit Sebastian Lohse:
„…wie ein Kind das ernsthaft spielt.“
15.07.2017 - Sebastian Lohnse im Interview zu seinen Rollen im Musical „Der Medicus“ - Musicalsommer in Fulda - produziert von Spotlight Musicals
Seit vielen Jahren steht Sebastian Lohse auf der Bühne. Sein künstlerisches Schaffen ist geprägt von höchst außergewöhnlichen Projekten: Er verbindet Gemälde von Caspar David Friedrich mit der Musik von Robert Schumann, schreibt Rocksongs voller Poesie und Tiefe und leiht auch schon mal einem Baum seine Stimme. Im Musical „Der Medicus“ steht Sebastian Lohse im Sommer 2017 erneut in der Rolle des Baders auf der Bühne im Schlosstheater Fulda. Wir wollten wissen, wie das mit der „Mischung aus Magie und Medizin“ genau funktioniert…
Ein Jahr liegt zwischen der letzten Reise des Medicus und der Wiederaufnahme des Musicals. Hat der Bader inzwischen sein Universalspezifikum verfeinert?
Aber selbstverständlich (grinst). Es sind noch ein paar spezielle Heilwirkungen entstanden, man fühlt sich nach der Einnahme noch besser als früher. Das Spezifikum fördert jetzt auch das Sehvermögen, wirklich sensationell. Und dabei ist der Preis fast der selbe, nur ein bisschen inflationsbereinigt. Es lohnt sich, denn „ich heile und tröste“ auch in dieser Spielzeit wieder.
Wann stand fest, dass Sie bei der Wiederaufnahme wieder dabei sind?
Ich wurde relativ früh gefragt, aber weil ich aufgrund von Terminüberschneidungen nur bis Ende Juli zusagen konnte, war nicht gleich klar, ob es auch wirklich klappt. Man wollte mich sehr gerne wieder engagieren und ich wollte ja auch wieder dabei sein. So haben wir dann gemeinsam eine Lösung gefunden: Ab Anfang August übernimmt mein Kollege Frank Bahrenberg, der auch schon in mehreren Spotlight-Produktionen gespielt hat.
Vorbereitungen für die zweite Spielzeit im Musical „Der Medicus“
Wenn Sie trotz dieser Terminprobleme wieder den Bader und Quandrasseh spielen wollten, muss Ihnen viel an der Produktion liegen, oder?
Es sind zwei schöne Rollen und „Der Medicus“ erzählt eine interessante, entwicklungsreiche Story. Außerdem ist die Musik abwechslungsreich. Es gibt keine ständigen Wiederholungen, die einem irgendwann auf den Nerv gehen. Das war meine Hauptmotivation. Auch die Arbeitsatmosphäre hier im Team ist wirklich ausgesprochen angenehm. Die Spotlight-Mitarbeiter - nicht etwa nur die Geschäftsführer Peter Scholz und Dennis Martin, sondern wirklich alle - kümmern sich mit großer Freundlichkeit um uns Darsteller. Wenn irgendeine Schwierigkeit oder Frage auftaucht, ist immer jemand für uns da. Hier gibt es keine eingefahrenen Strukturen und Hierarchien, man läuft nicht Gefahr, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu stolpern, sondern man ist willkommen. Das ist ein sehr schönes Gefühl.
Da vergisst man schnell, wie anstrengend es vor allem im Sommer werden kann, neun oder zehn Shows pro Woche zu spielen. Auf und hinter der Bühne kann es ziemlich heiß und stickig werden. Das schlaucht und da waren wir alle schon durch die Bank weg echt fertig. Aber mit der Zeit denkt man daran gar nicht mehr. Die vielen positiven Aspekte der Arbeit hier bei „Der Medicus“ bleiben viel präsenter im Gedächtnis und deshalb bin ich sehr gerne in diesem Jahr wieder hier. Außerdem ist Fulda eine tolle Stadt und es ist sehr angenehm, hier den Sommer zu verbringen.
War auch der kommerzielle Erfolg von „Der Medicus“ wichtig für Sie?
Natürlich verdiene ich auch Geld dabei, aber das steht für mich nicht so sehr im Vordergrund, sondern eher mein Interesse an künstlerischer Verwirklichung und Verbesserung. Gerade weil wir die Show so oft in kurzer Zeit spielen, ist es mir ein echtes Anliegen und auch eine Herausforderung, meine Rollen immer weiter zu entwickeln und zu differenzieren, um so immer besser zu werden.
Fällt es nicht schwer, sich immer wieder neu zu motivieren?
Nein, eben nicht. Das ist wie im Sport: Wenn sich ein Hochspringer das Ziel setzt, über 2,20 Meter zu kommen, trainiert er immer weiter. Er probiert es wieder und wieder, bis es ihm gelingt. Und sobald er die Höhe geschafft hat, legt er die Latte nochmal fünf Zentimeter höher. So ist das bei mir auch. So zu arbeiten macht die meiste Freude und ist zugleich immer wieder eine gute Motivation. Natürlich auch, dass man alles gleich am Publikum ausprobieren kann.
Inwiefern?
Wir haben quasi eine Laborsituation mit echten Menschen. Man merkt sofort, ob etwas ankommt oder nicht. Diese unmittelbare Wirkung ist ja das Tolle an Livetheater. In unserem Beruf hat man, ähnlich wie bei einem Vortrag, die volle Aufmerksamkeit. Darum geht es letztlich, denn wir möchten ja etwas erzählen. Je aufmerksamer, je offener das Publikum für unsere Geschichte ist, desto mehr kann sich entwickeln. Es ist nicht nur der Applaus, es geht um so viel mehr. Man kann auch ohne Worte kommunizieren und zwischenmenschliche Reaktionen auslösen. In den Augen der Zuschauer sieht man, ob jemand wirklich zuhört.
Bekommen Sie das auf der Bühne mit?
Es liegt im Raum. Jemand, der sensibel dafür ist, spürt es. Aufmerksam zu sein ist eigentlich einer unserer Urinstinkte, den wir mittlerweile vielleicht etwas zu gering schätzen. Früher hat der Mensch in der Natur nur durch Aufmerksamkeit überlebt. Sonst konnte das böse enden.
Das stimmt. Wenn Sie an die Vorbereitungsphase für die 2017er-Spielzeit denken: Wie haben Sie sich nach der einjährigen Pause Ihren Rollen wieder genähert?
Zuerst habe ich mich wieder mit dem Text auseinander gesetzt und darüber nachgedacht, was ich mir beim ersten Mal alles dazu angeeignet hatte. Meistens ist das noch im Gedächtnis gespeichert. Als nächstes überlege ich, welche Facetten ich bisher vielleicht noch nicht gesehen habe, die ich in die Rolle neu einspeisen könnte. Dafür suche ich auch nach Parallelen aus meinem Leben. Was ist aktuell passiert, das in mein Spiel einfließen könnte, damit es wieder lebendig wird? Es geht ja nicht nur darum, den Text zu lernen, sondern es geht darum, einer Rolle Leben zu geben.
Aber man muss darauf achten, nicht zu persönlich zu werden, oder?
Ja. Das darf man natürlich auch nicht. Eigentlich darf man auf der Bühne nie persönlich sein, sondern muss immer in der Rolle bleiben. Aber dennoch entsteht auch eine Mischung, denn dass man sich mit einer Rolle auch identifiziert, bleibt ja nicht aus. Meine Schauspiellehrerin sagte immer, man muss sich in die Rolle verlieben. Etwas muss in deiner eigenen Persönlichkeit sein, das dir für die Rolle im Jetzt und Hier etwas gibt. Nur so kannst du dich verlieben. Sonst schwärmt man vielleicht für die Rolle. Aber verlieben, das ist schon eine kompliziertere Angelegenheit. Man muss gleichzeitig Nähe aufbauen und Distanz wahren.
Sie stellen in „Der Medicus“ zwei ganz unterschiedliche Charaktere dar. Wie gelingt es Ihnen, so schnell umzuschalten?
Ich habe beide Charaktere von Anfang an sehr stark getrennt. Der Bader und Quandrasseh sind eher konträre Personen, es gibt nur wenige Gemeinsamkeiten. Sie kommen ja auch aus ganz verschiedenen Kulturkreisen. Für meine Darstellung helfen natürlich auch die völlig unterschiedlichen Kostüme. Ich muss eigentlich nur einmal den Schalter richtig umlegen.
Aber wie schaffen Sie das innerhalb einer Show?
Es ist im Prinzip eine Umstellung der Haltung. So, als würde ich in guter Stimmung zur Arbeit kommen, dann passiert irgend etwas und meine Laune schlägt um.
Muss Sie dafür jemand hinter der Bühne ärgern?
Ich finde da schon immer was (lacht). Nein, im Ernst: Man hat ja seinen Text, die Untertexte und alles andere, was man braucht, um die Sache zu entwickeln. Das muss man eben einfach immer wieder machen. Als Schauspieler trainiert man die Fähigkeit, den größtmöglichen Wandel auch innerlich zu vollziehen. Ein bisschen legt man den darzustellenden Charakter mit der Maske und dem Kostüm an, aber bei mir ist es auch so, dass sich meine Gedankengänge an die Rolle anpassen, sobald ich im Theater bin. Ich bin dann schon sehr konzentriert. Wenn mir jemand doof kommt, reagiere ich als Quandrasseh ganz anders. Aber nicht sofort, sondern erst auf der Bühne. Es ist wichtig, dass man glaubt, was man auf der Bühne darstellt. Dazu muss man innerlich bereit sein.
Auch der Klang Ihrer Stimme unterscheidet sich in beiden Rollen. Was verändern Sie von Bader zu Quandrasseh?
Stimme hat viel mit Resonanz zu tun. Geänderte Resonanzräume verändern auch den Klang. Wenn flüstere, klingt es ganz anders, als wenn ich laut und drohend spreche. Dabei mache ich aber gar nicht viel anders, sondern verändere nur Resonanzen. Diese wiederum ergeben sich aus der Haltung. Der Bader gibt sich total lässig. Quandrasseh erlaubt sich das gar nicht, sondern hält sich immer kerzengerade und wirkt allein dadurch viel strenger. Der unterschiedliche Klang entsteht also nicht durch eine bewusste Tonveränderung, sondern aus der Veränderung der Figur. Ich will ja meine Stimme auf keinen Fall verstellen, sondern einfach nur so variieren, dass sie zum Charakter passt. Aber es bleibt meine Stimme.
Und jeder Besucher erkennt, dass Sie auch Quandrasseh spielen?
Naja. Nein. Ohne Blick ins Programmheft wissen das die meisten erstmal nicht. Es gibt auch Leute, die es beim zweiten Besuch noch nicht kapiert haben, dass ich das bin (lacht). Es gibt sogar einen Teamkollegen, der echt ins Schleudern kam. Er hatte das Stück nie selbst gesehen, sondern immer backstage gearbeitet. Nach vielen, vielen Auftritten, kurz vor Ende der Spielzeit im letzten Jahr, unterhielten wir uns, bis ich mit Blick auf die Uhr sagte „oh, ich muss gleich wieder auf die Bühne“. Sein Blick war unbezahlbar.
Das spricht für einen gelungenen Wechsel der Charaktere.
Offensichtlich (lacht).
Die Unterschiede liegen auf der Hand – aber gibt es vielleicht auch Ähnlichkeiten bei Bader und Quandrasseh?
In einem Punkt ähneln sie sich tatsächlich ein bisschen: Beide sind in ihrer Gesellschaft eher Außenseiter. Der Bader zwar mehr als Quandrasseh, der als Mullah ja ein Vertreter seiner Gesellschaft ist. Aber dennoch steht er am Rand. Auch Quandrasseh erlebt eine Welt, die ihm zuwider ist, wenn auch aus anderen Gründen. Er muss sich gegen etwas wehren, das von außen her auf ihn eindringt – gegen die Wissenschaft. Für Quandrasseh ist es ziemlich gewöhnungsbedürftig, dass Karim als ehemaliger Schüler an der Madrassa plötzlich als Schah sein Chef ist. Und dann unterstützt der mit seinem Geld auch noch die Wissenschaft – dafür ist Quandrasseh ja eigentlich nicht Mullah geworden.
Das wird jetzt durch eine neue Szene noch deutlicher: Bei der Untersuchung eines Patienten erkennt Rob durch seine Gabe, dass dieser todkrank ist. Er erschrickt so, dass ihm ein „er wird sterben“ mehr oder weniger herausrutscht. Da schaltet sich jetzt sofort Quandrasseh ein und weist ihn zurecht. Denn solches Wissen kann nur Allah haben und Robs Aussage ist Frevel in Quandrassehs Augen. Eine neue Facette Quandrassehs möchte ich auch noch mehr herausarbeiten, nämlich seine Verunsicherung beim Sieg über die Pest. Quandrasseh triumphiert die ganze Zeit: Er lässt Rob verprügeln, er fährt ihm bei jedem halbwegs kritischen Satz sofort in die Parade und als die Pest über die Stadt hereinbricht, klingt er ja fast schon zufrieden, kam alles doch genau so, wie es seiner Meinung nach kommen musste. Aber dann besiegen die Ärzte die Seuche. Das war so nicht der Plan. Nach Quandrassehs Religionsverständnis hätte Allah eigentlich alle an der Pest sterben lassen müssen. Die Seuche hat aber nicht so ganz ihre Wirkung getan. Das wirft ihn ein wenig aus der Bahn und er muss sich neu orientieren.
Ist es eigentlich schwer, die Änderungen mit dem bereits Gelernten in Einklang zu bringen?
Im ersten Moment haben Änderungen natürlich gewisse Tücken. Der Text und der ganze Ablauf geht einem in Fleisch und Blut über. Bei den neuen Stellen muss man sich die Sicherheit erst wieder erarbeiten und sich während der Show sehr konzentrieren. Deshalb ist man zuerst noch nicht so frei im Spiel, wie man wird, wenn man gar nicht mehr nachdenken muss. Aber ich glaube, es ist uns allen sehr schnell gelungen, die neuen Elemente in unsere Darstellung einzufügen. Die Szenen wurden weniger verändert als vielmehr verfeinert, sie machen vieles klarer.
Welchen Einfluss hatte das auf Ihre Arbeit?
Die Autoren wollten Robs Motivation klarer herausarbeiten. Dass der Tod seiner Mutter für Rob eine ganz schlimme Erfahrung war, wird im Stück jetzt immer wieder aufgegriffen. Deshalb habe ich über die Rolle des Baders noch intensiver nachgedacht. Da gibt es die Szene, in der Rob mit einer jungen Frau herumschäkert und durch seine Gabe erkennt, dass sie sterben wird. Wie damals bei seiner Mutter. „Ich hab‘ Dir schon 1.000 Mal gesagt, dass du nichts für sie tun konntest“: Und der Bader hat Rob das wirklich schon 1.000 Mal erzählt. Er hat damals diesen völlig verstörten kleinen Jungen aufgenommen. Seither hat der Bader wieder und wieder versucht, Rob davon abzuhalten, sich die Schuld am Tod seiner Mutter zu geben und ständig darüber nachzudenken. Das kommt im Stück gar nicht vor, aber es erzählt sich in der Story zwischen uns beiden. Man sieht Rob als vielleicht zehnjähriges Kind und dann wieder als jungen Mann. Wir haben also mindestens zehn, zwölf Jahre miteinander verbracht. Und jeden zweiten Tag ging es um Robs Mutter. Der Bader hätte ihn auch schon längst rausschmeißen können. Aber ihm liegt wirklich etwas an Rob. Und genau das versuche ich, noch mehr zu zeigen. Es wäre natürlich schön gewesen, wenn auch etwas aus diesen Jahren Eingang ins Musical gefunden hätte, aber es passiert im Stück ja sowieso schon sehr viel. Also habe ich versucht, die Beziehung zwischen dem Bader und Rob mit dem bestehenden Skript eigens intensiver zu entwickeln. Das ist das Gute an dieser Neuauflage: Man denkt über die Situationen noch einmal nach und erreicht dadurch mehr Genauigkeit. Das ist wichtig für die emotionale Tiefe, die ich auf die Bühne bringen möchte.
Beeinflussen die Änderungen auch das Zusammenspiel auf der Bühne?
Das ist wie in jeder beliebigen Alltagssituation. Man trifft beispielsweise jemanden im Park, es entsteht im Prinzip eine einzigartige Situation. Wenn derjenige aus einer anderen Richtung kommt oder eine andere Person auftaucht, verändert sich die Situation automatisch. Auf der Bühne ist das ähnlich. Man muss in der Rolle die eigenen Gedankengänge und Handlungen der neuen Situation anpassen. Meine direkten Spielpartner sind die gleichen Kollegen wie beim letzten Mal, dadurch wird das einfacher. Auch viele der Kinderdarsteller sind in diesem Jahr wieder dabei.
Mit den Kindern hat der Bader ja einige direkte Szenen. Was ist bei der Arbeit mit Kinderdarstellern wichtig?
Es gibt Kinder, die intuitiv auf der Bühne auch reagieren. Aber meistens spielen die Jungen und Mädchen ihre Rollen genau so, wie sie es gelernt haben. Als Erwachsener muss man dann ihre Reaktion spielen, deshalb muss man immer gut auf die kleinen Bühnenpartner achten und sie auch unterstützen. Die wichtigste Voraussetzung ist neben Talent, dass ein Kind auch wirklich Spaß auf der Bühne hat. Dann ist es für das Kind eine schöne Erfahrung. Wenn man sein Kind ständig zwingen muss, jetzt wieder ins Theater zu rennen, ist das weder für das Kind noch für die anderen eine angenehme Situation. Aber hier in Fulda sind alle mit großer Begeisterung bei der Sache.
Sebastian Lohse: Später Einstieg ins Musicalgenre
Vor „Der Medicus“ waren Sie 2015 in Fulda auch bei „Die Päpstin“ dabei. Davor gab es aber noch keine Musicalrollen, oder?
Ich bin tatsächlich relativ spät zum Musicalgenre gekommen. Natürlich war ich Teil einiger Theaterproduktionen und habe auch oft Musicalsongs gesungen, schon ganz am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, als meine damalige Gesangslehrerin eine Art Musical-AG gegründet hat. Mir ist das nicht komplett neu. Aber mir fehlte es an Zeit, denn ich habe immer viele eigene Sachen gemacht. Das fand ich spannender. Es hat mich nie sonderlich gereizt, Lieder zu singen, die andere geschrieben haben. Bis ich damals auf das Musical „Die Päpstin“ aufmerksam wurde. Dieses Stück und auch die ganze Herangehensweise des Spotlight-Teams an historische Stoffe hat mein Interesse geweckt. So kam der Kontakt zustande. Und es war – und ist immer noch – eine gute Erfahrung, Teil eines solchen Musicals zu sein.
Bei „Die Päpstin“ hatten Sie auch schon zwei Rollen, ebenso 2013 bei den Richard-Wagner-Spielen in Graupa Haben Sie so etwas wie ein Doppelrollen-Abo?
(lacht) Nur eine kleine Rolle wäre mir zu wenig Herausforderung. Aber das hat sich dann eher zufällig so ergeben. Richard Wagner hat ja eine Weile in Dresden gelebt. Deshalb wurden ganz in der Nähe, im Jagdschloss Graupa, diese Festspiele gegründet. Im Stück haben sich reale Persönlichkeiten und fiktive Figuren aus seinen Werken getroffen. Ich spielte Michail Bakunin, einen russischen Revolutionär, der am Dresdner Maiaufstand beteiligt war, und Loki, eine nordische Gottheit. Das war die beste Rolle, der Ur-Bösewicht. Solche Rollen mochte ich immer schon.
Wenn Sie Ihre bisherige Laufbahn betrachten, gab es eine besonders wichtige Phase oder ein besonders einschneidendes Erlebnis?
Meine prägendsten Jahren waren meine Ausbildungsjahre. Ich hatte mir viele Freiräume geschaffen, damit ich mich dem Lernprozess ganz hingeben konnte. Das war sehr schön und ich hatte tolle Lehrer. Diese Zeit, in der man die Freiheit hat zu lernen und noch nicht unter dem Druck steht, Geld verdienen zu müssen, ist als Basis so wichtig.
Und ein einschneidendes Erlebnis – da fällt mir eine Begegnung ein, die auch schon viele Jahre zurück liegt. Mit Anfang 20 stand ich als Sänger der Rockband Letzte Instanz auf großen Bühnen, wir hatten damals viele Fans. Nach einem Konzert hat sich ein Mann bei mir für den Song „Kopfkino“ bedankt. Er sagte, das Lied habe ihm wirklich etwas bedeutet. Dieses Feedback von einem Erwachsenen, der bestimmt doppelt so alt war wie ich damals, hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Ich fand, das war eine gute Ernte für das, was ich selber wollte und noch heute will. Ich möchte meine Arbeit als Schauspieler, Musiker und Sänger ernst nehmen. Wie ein Kind, das ernsthaft spielt. Meine Arbeit ist Erfüllung und macht Freude, aber sie ist kein lockerer Spaß für mich, sondern ernsthafte Beschäftigung. Ich möchte meine eigenen Qualitätsansprüche erfüllen. Wenn ich mit anderen zusammenarbeite, muss deren Anteil am gemeinsamen Projekt auch mit mir übereinstimmen. Bei dem Titel „Adieu“ aus dem Album „Erfolg“, das 2010 erschienen ist, habe ich beispielsweise nur den Text geschrieben, die Musik stammt von einem Kollegen. Aber da hat es einfach gepasst. Genau wie bei einem aktuellen Projekt, an dem ich zusammen mit einem Dichter aus Frankfurt an der Oder arbeite. Das ist aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht spruchreif.
Dann lassen Sie uns doch noch über ein besonders außergewöhnliches Ihrer zahlreichen Projekte sprechen: „Futurum“. Worum geht es dabei?
Während meiner Ausbildung habe ich mich auch mit Klassik beschäftigt, unter anderem mit den Liedern von Schubert und Schumann, in meinen Augen die größten deutschen Liederkomponisten überhaupt. Persönlich konnte ich nie viel mit Klassik anfangen, mir erschien das oftmals zu gekünstelt. Ich habe aber versucht, mich ohne die üblichen E-und-U-Musik-Scheuklappen der Thematik zu nähern und mich intensiv mit den Texten befasst: Was sagen mir die Worte? Was kann ich nachempfinden?
Daraus habe ich Rockmusik gemacht. Vor dem Künstler Robert Schumann empfinde ich unglaubliche Hochachtung. Ich habe versucht, seine Intention zu erhalten und zugleich mit meiner Interpretation zu intensivieren. „Futurum“ thematisiert die Romantik insgesamt, deshalb sind auch die Bilder Caspar David Friedrichs und die Gedichte Heinrich Heines Teil des Konzepts. Das Programm ist als Zeitreise gestaltet. Wir starten im 18./19. Jahrhundert in Caspar David Friedrichs Atelier und verwandeln die Bühne mit Projektionen und Schwarzlichteffekten in eine futuristische Welt. Musikalisch schlagen wir eine Brücke zwischen Klassik, Rock und Elektro.
Hinter der Produktion steht die Frage, was von dieser Romantik im Menschen künftig wohl bleibt. Was können wir in die Zukunft retten? Im Opernbetrieb taucht immer wieder die Frage auf, wer noch in die Theaterhäuser kommt, wenn die ganzen Grauhaarigen gestorben sind. Auch darum geht es. Was trägt unsere Kultur weiter? Was ist es wert, näher betrachtet zu werden? Es liegt nicht an mir, diese Fragen zu beantworten - sie zu stellen aber vielleicht schon. Ich habe mich wirklich intensiv mit der Thematik beschäftigt. Die Romantik, die ja mit der Industrialisierung einsetzte, hat große Fragen gestellt. So vieles, was unsere Literatur und Kultur prägt, ist in der Romantik verwurzelt. Nicht nur das Kunstlied, sondern auch Romane und Märchen, Grimms Hausmärchen beispielsweise. Mit „Futurum“ möchten wir auch ein wenig die menschlichen Sehnsüchte offenbaren.
Das klingt faszinierend und zugleich ein wenig düster.
Das hat mit der Sache per se zu tun, es wurde einfach so. Die Grundstimmung der Romantik ist düster, geheimnisvoll, fast mystisch. Viel Dunkel und wenig Licht. Auch viele Zukunftsfilme sind so gehalten. Und Hänsel und Gretel gehen auch nicht über eine Blümchenwiese, sondern in den Wald.
Mit Märchen haben Sie auch noch in ganz anderem Zusammenhang zu tun.
Das ist richtig. Meine Frau und ich führen seit 2014 einen Kinderbuchverlag, den Wunderhaus Verlag. In der Reihe „Unendliche Welten“ veröffentlichen wir klassische Märchen als Illustrationsbücher, die diese bekannten Geschichten ganz neu erzählen. „Die kleine Meerjungfrau“ und „Das tapfere Schneiderlein“ sind schon erschienen, demnächst folgt „Rotkäppchen“. Hörbücher sind in Planung und ich möchte auch noch passende Lieder komponieren. Auf der Leipziger Buchmesse im März 2017 haben wir das Programm erstmals der Öffentlichkeit präsentiert, auch mit einer musikalischen Lesung, bei der die Illustrationen auf eine Leinwand projiziert wurden. Das war richtig toll.
Eine weitere Serie nennt sich „Holly Pond Hill“. Susan Wheeler, eine bekannte Künstlerin aus den USA, hat diese gemütliche Kleintierwelt erschaffen. Dazu passen auch Tier-Weihnachtslieder. Wenn man einen Verlag hat, eröffnet sich ein breites Feld an Möglichkeiten. Für mich ist das noch Neuland und dadurch eine sehr aufregende Sache.
Was sehen Sie als verbindendes Element bei allen Ihren Projekten?
Ich versuche immer, meinen aktuellen „Menschwerdungsgang“ mit meiner Musik und auch mit allen anderen künstlerischen Aktivitäten zu projizieren. Manchmal gelingt das weniger, manchmal mehr. Aber ganz egal, was ich mache, ich möchte immer etwas ausdrücken, etwas mitteilen. Das gilt sogar für Aufträge, die ich als Sprecher annehme.
Aber das ist dann schon eher Broterwerb als Kunst, oder?
Das schon. Aber trotzdem bedeutet es nicht nur Runterlesen, sondern auch hier muss ich mich mit dem Produkt oder der Firma identifizieren können. Werbung als solches ist ja nichts Schlechtes. Ich versuche immer, eine Substanz zu entwickeln, die dem Adressaten wirklich etwas bringt. Wenn ich selbst gar keinen Zugang habe, lehne ich den Auftrag ab, denn dann könnte ich die Botschaft nicht hundertprozentig glaubhaft vermitteln. Es ist sinnlos, einen Text nur runterzusprechen. Auch, wenn es nur darum geht, die Funktionsweise eines Staubsaugers zu erklären.
Das gilt auch dann?
Ja. Denn dann muss mein Gegenüber davon überzeugt sein, dass das mein Staubsauger ist und der total klasse funktioniert. Ok, ein Staubsauger kam noch nicht vor (grinst). Aber prinzipiell sind auch Werbe- und Unternehmensfilme kleine Rollen, so ganz unkünstlerisch ist das gar nicht. Es bleibt natürlich keine Erinnerung, solche Aufträge erledige ich möglichst gut und dann war’s das. Aber es gibt auch sehr spannende Sprecherrollen, beispielsweise habe ich für die Botanische Nacht in Berlin Bäume synchronisiert. Das war wirklich fast eine Theaterrolle. Auf die Bäume wurden Gesichter projiziert, die zu den Besuchern sprachen und Gedichte rezitierten.
Gibt es auch ein aktuelles Theaterprojekt?
Im Stadttheater Minden läuft ab März 2018 „The Crazy Antiwar History Rallye - Wilhelm II.“. Das ist ein Stück mit vielen Sprechsequenzen, aber auch mit zahlreichen Rocksongs, die ich geschrieben habe. Es ist kein Musical, sondern Musiktheater. Die Musik ist sehr facettenreich, ich habe relativ stilübergreifend gearbeitet. Assoziationen gibt es weniger zu Kaiser Wilhelm, als zur Geschichte der Rock- und Popmusik. Nach den Voraufführungen in Minden geht es weiter zu den Ruhrfestspielen, dann nach Luxemburg und später schließt sich eventuell noch eine Tournee an. Ob ich selbst auch auf der Bühne stehen werde, ist noch nicht entschieden. Reizen würde es mich auf jeden Fall.
Wenn wir zum Schluss noch einen Blick auf Ihre Webseite werfen, fallen mehrere Zitate auf, unter anderem „Andere erkennen ist weise. Sich selbst erkennen ist Erleuchtung.“ von Lao Tse. Auf welche Figur in „Der Medicus“ passt diese Aussage am besten?
Für mich passt das eigentlich mehr auf das Publikum. Schon seit Aristoteles und Euripides dient das Theater immer als Spiegel. Spiegel zu sein, ist auch mein Ziel. Erkenne dich selbst als Wahlspruch. Der Sinn der Veranstaltung könnte sein, dass die Zuschauer durch die Beobachtung der handelnden Personen selbst zu besseren Menschen werden. Die Griechen nannten dies Katharsis, eine Art Erleuchtung. Der Bader würde es als Wundermittel bezeichnen (lacht). Aber ganz ernsthaft gemeint: Man kann aus Situationen lernen, die einem vorgeführt werden. Wenn es uns gelingt, mit „Der Medicus“ eine Konstellation zu schaffen, aus der die Besucher für ihr eigenes Leben etwas gewinnen können, wäre das sehr schön. Ich wünsche mir, dass das Publikum etwas mitnimmt. Ich hoffe auf Aufmerksamkeit. Wenn uns diese geschenkt wird, haben wir die Möglichkeit, den Zuschauern nahe zu kommen und aus dieser Nähe heraus eine Unterhaltung zu entwickeln, die bewegt oder sogar konkret etwas auslöst. Vielleicht ändert der eine oder andere etwas in seinem Leben, vielleicht gelingt es uns, Denkanstöße zu geben oder zum besseren Verständnis beizutragen. Als Künstler war und ist genau das immer mein Ziel.
Interview: Sylke Wohlschiess
Mehr zu Sebastian Lohse auf MusicalSpot.de:
Rezension „Der Medicus“, mit Sebastian Lohse als Bader und Quandrasseh, Juni 2017
Fotogalerie „Der Medicus“ 2016
Rezension „Der Medicus“, mit Sebastian Lohse als Bader und Quandrasseh, Juni 2016