Interview mit Oliver Arno:
„Ein Held zu sein“
Er ist Jurist, wie Werther in Goethes Roman und wie Goethe selbst. Vor allem aber ist Oliver Arno seit Jahren ein gefragter Musicaldarsteller, der von „Elisabeth“ bis „Les Misérables“ in vielen Inszenierungen dabei war. Aktuell spielt er in Wetzlar im Musical „Lotte“ den Werther. Nun ist das hessische Städtchen an der Lahn nicht gerade als Musical-Hochburg bekannt. Was Oliver Arno dennoch dorthin führt und wieso Wetzlar für seine erste eigene Single so wichtig war, verrät er im Interview.
Sie standen in vielen renommierten Theatern auf der Bühne, waren Teil bekannter Großproduktionen. Wieso haben Sie für eine kleine, regionale Produktion wie „Lotte“ zugesagt?
Es kommt mir eigentlich gar nicht auf die Größe der Produktion an oder darauf, wie viele Zuschauer kommen. Mir geht es um den Stoff. Als Regisseur Christoph Drewitz mich angerufen und gefragt hat, ob ich zum Vorsingen kommen möchte, musste ich nicht überlegen. Zudem war „Lotte“ 2015 eine Uraufführung. An so einem Projekt mitwirken zu dürfen, ist immer etwas ganz Besonderes. Ich konnte die Rolle des Werther mit entwickeln und eigene Ideen einbringen, was in einer Großproduktion so gar nicht möglich ist. Dort muss man auf eine bestimmte Anweisung hin an einem bestimmten Punkt stehen und in eine bestimmte Richtung schauen. Hier war das etwas völlig anderes, ich war als Künstler viel mehr gefordert. „Lotte“ war echte künstlerische Arbeit.
Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“ haben Sie vor dem Musical vermutlich gekannt.
Ja, noch aus der Schulzeit. Damals hat man sich eher durchgequält (lacht). Für eine Bühnenadaption ist der Roman hervorragend geeignet. Werther geht durch eine unglaubliche Bandbreite an Emotionen, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt, er ist aufbrausend, dann wieder sanft und liebevoll. Dies authentisch darzustellen, ist eine wunderbare Aufgabe, zumal wir ja im Lottehof spielen, also genau dort, wo die realen Personen gelebt haben.
Sie spielen auf den historischen Hintergrund des Musicals an?
Genau. Das Musical basiert auf Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“, der zumindest teilweise autobiographisch ist. Goethe lebte und arbeitete eine Zeit lang auch in Wetzlar. Er lernte tatsächlich auf einem Tanzfest eine Dame namens Charlotte Buff kennen, die er als Lotte im Roman verewigte. Denn Goethe verliebte sich, aber Lotte war bereits mit einem anderen verlobt, was ihm wohl ziemlich zugesetzt hat. Besonders tragisch war, dass ein Freund Goethes, der ebenfalls in eine vergebene Frau verliebt war, sich umgebracht hat. Beides verarbeitet er im Roman. Und „Lotte“ spielt ja nicht einfach nur in der gleichen Stadt, sondern direkt vor dem Haus, in dem Charlotte Buff lebte. Das Haus ist heute ein Museum – und für die Aufführungen Teil des Bühnenbildes. Ich glaube, das ist wirklich einmalig.
Gibt es noch andere Besonderheiten?
Die Rolle hat eine immense stimmliche Range, es geht über zwei Oktaven in der Bruststimme, von tiefem Bariton bis zu hohem Tenor. Zudem habe ich vor allem im ersten Akt viel Bühnenzeit, renne auch viel hin und her. Und das bei dieser Hitze. Wir spielen ja Open-Air. Bei der Wiederaufnahme-Premiere hatten wir abends noch 30 Grad. Ich trage vier Schichten Kleidung. Zwei Mikros habe ich komplett durchgeschwitzt, die mussten ausgetauscht werden, weil sie einfach nicht mehr funktioniert haben.
Bei seinem Erscheinen hat „Die Leiden des jungen Werther“ einen regelrechten Hype ausgelöst, stieß aber gleichzeitig auf harte Kritik, weil es hieß, dass im Roman der Suizid glorifiziert wird. Könnten solche Dinge auch heute noch geschehen?
Das Buch war für die damalige Zeit ziemlich skandalös und es soll ja wirklich Nachahmer gegeben haben, also Menschen, die sich dann, Werthers „Beispiel“ folgend, ebenfalls umgebracht haben. Es entstand eine Art Dominoeffekt. Und da sehe ich schon Parallelen zur heutigen Realität. Es gibt immer wieder Berichte von Massenselbstmorden in Sekten. Oder Selbstmordanschläge von Terroristen, die in der irrigen Annahme, als Held in die Geschichte einzugehen, andere mit in den Tod reißen. Das sind entsetzliche Dinge. Wir Menschen brauchen eine stabile Psyche, in unserer heutigen, schnelllebigen Welt vielleicht noch mehr als zu Goethes Zeiten. Wenn wieder Nachrichten vom Suizid eines Schauspielers oder Sportlers durch die Medien gehen, ist man schockiert, weil man damit niemals gerechnet hätte. Da spielt sicher auch die Frage eine Rolle, wie man mit Ruhm oder auch dem Ende des Ruhms umgeht. Und dann ist es ja auch noch so, dass manche Menschen mit dem Tod eines Nahestehenden sogar besser klarkommen, als mit zurückgewiesener Liebe. Der Tod ist endgültig, man muss die Situation letztlich irgendwann akzeptieren. Aber wenn man abgewiesen wird, kann man sich doch immer wieder Hoffnung machen. So ging es auch Werther. Lotte steht ihm ja nicht ablehnend gegenüber, im Gegenteil. Aber sie entscheidet sich nicht – und das macht ihn fertig.
Ist es schwierig für Sie, nach dem Ende der Vorstellung wieder Abstand zu gewinnen?
Nein, bei mir ist das glücklicherweise nicht so. Ich kenne Kollegen, die brauchen wirklich zwei, drei Stunden, bis sie nach einer Vorstellung wieder runterkommen. Das ist bestimmt für diejenigen nicht einfach. Wenn ich eine Rolle spiele, versuche ich, mich ganz dieser Rolle zu widmen und darin aufzugehen. Aber ich kann nach der Show sehr gut wieder in meinen "ursprünglichen Körper“ zurückwandern. Ok - natürlich mit ein bisschen mehr Adrenalin und Glückseligkeit als vorher.
Aktuell gibt es neben Ihrem Engagement bei „Lotte“ noch ein ganz anderes Projekt, das Ihnen viel bedeutet.
Ja, das stimmt. Kürzlich ist mein erster eigener Song „Ein Held zu sein“ als download-Single erschienen. Auf meinem youtube-Channel gibt es auch das Musikvideo dazu. Ich komponiere und texte schon seit etwa 15 Jahren eigene Songs, aber dies ist jetzt der erste, der veröffentlicht wird. Übrigens habe ich 2015, während der ersten „Lotte“-Spielzeit, hier in Wetzlar angefangen, den Titel zu schreiben.
Tatsächlich?
Ja, das war offensichtlich eine inspirierende Zeit. Wenn man En-suite spielt, hat man quasi kein Leben mehr, für so etwas Intensives wie eigene Songs ist da einfach kein Freiraum. Jedenfalls war das bei mir so. Aber hier habe ich wieder angefangen, an den Songs zu arbeiten.
Wie entstehen Ihre Songs?
Oft kommen meine Ideen im Traum. Wenn ich es irgendwie schaffe aufzuwachen, muss ich sofort die Melodie irgendwo aufsingen, denn sonst ist sie morgens wieder weg. Erst ist immer die Melodie da, dann kommt der Text. Ich schreibe über Themen, die mit meinem Leben zu tun haben, mit Dingen, über die ich nachdenke, die mich bewegen. Es liegen noch ein paar mehr Songs in der Schublade, im Winter plane ich ein Album.
Wie würden Sie Ihren Musikstil beschreiben?
Ich mache Popsongs mit deutschen Texten. „Elton John im 21. Jahrhundert“ – so hat es ein Freund von mir mal bezeichnet. Die Richtung ist schon irgendwo zwischen Elton John und Joshua Kadison, aber es ist einfach mein eigener Stil, meine Musik. Und was den Text von „Ein Held zu sein“ betrifft: Um dieses Thema geht es ja irgendwie auch im Musical „Lotte“. Nicht ständig über alle eventuellen Konsequenzen nachdenken, sondern einfach machen, auch mal etwas wagen, einfach leben. Nicht dass man irgendwann feststellen muss, dass man vor lauter Angst auf zu vieles verzichtet hat.
Interview: Sylke Wohlschiess
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