Interview mit Friedrich Rau:
Dies ist mein Weg
Die Musik war immer Teil seines Lebens, aber zum Musical kam Friedrich Rau erst auf Umwegen. Inzwischen hat er sich längst als Darsteller etabliert und spielt nun die Titelrolle in „Der Medicus“. Viele Gedanken hat er sich zu seiner Rolle und zu den Botschaften gemacht, die das Stück gerade auch für die heutige Zeit vermittelt. Wir trafen Friedrich Rau in Fulda zu einem bemerkenswerten Gespräch.
Vor der Premiere hatten Sie auf Ihrer Facebook-Seite geschrieben, dass es ein Geschenk sei, die Titelrolle in „Der Medicus“ spielen zu dürfen. Warum empfinden Sie das so?
Weil es nicht selbstverständlich ist, dass man als Darsteller zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, dann noch das richtige Alter für die Rolle hat und der richtige Typ ist. Dann muss auch noch just in diesem Moment ein Stück uraufgeführt werden, in dem es eine Rolle gibt, die so gut passt. Das ist einfach Schicksal. Das ist Glück.
Wie viel von Rob Cole steckt in Friedrich Rau?
Ich finde mich da schon sehr wieder. Man macht sich jede Rolle zu eigen, aber schon beim Lesen des Buches dachte ich, das würde doch ganz gut passen. Rob Cole ist auf der Suche nach seiner wahren Bestimmung. Ich bin ja auch auf Umwegen dahin gekommen, wo ich heute bin. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich eigentlich auf die Bühne gehöre, aber lange Zeit habe ich mir das gar nicht so richtig zugetraut und sehr an mir gezweifelt. Dann war es irgendwie schicksalhaft, dass mir Verschiedenes sozusagen vor die Füße gefallen ist. Der Unterschied ist aber, dass Rob seine Gabe zunächst als Fluch empfindet. Es ist für ihn eine große Belastung, dass er den Tod eines Menschen spüren kann, wenn er dessen Hände berührt. Er will das nicht, aber irgendwie muss er damit umgehen. Erst als er erfährt, dass es eine Ärzteschule und einen „Arzt aller Ärzte“ gibt, der ihm die Möglichkeit eröffnet, mit dieser Gabe wirklich etwas anfangen zu können, ändert sich Robs Einstellung. Ab dem Moment ist er entschlossen, um jeden Preis an dieser Schule aufgenommen zu werden.
Was treibt Rob an?
Im Grunde genommen ist sein größter Antrieb der Wunsch, den Tod zu verhindern. Sowohl den Tod seines Vaters als auch den Tod seiner Mutter hat er im Voraus gespürt. Das möchte er nicht mehr. Es kommt aber noch ein entscheidender Aspekt hinzu: Seine Mutter starb an der Seitenkrankheit. Rob hat nicht nur ihren Tod gespürt, sondern auch geahnt, dass er diesen mit mehr Wissen vielleicht hätte verhindern können. Es ist sein großer Traum, diese und andere Krankheiten wirklich heilen zu können. Im Musical taucht dieses Motiv immer wieder auf. Letztlich gelingt es ihm ja auch, denn sein unbedingter Wille gibt Rob die Kraft, sich über religiöse Gesetze hinwegzusetzen. Es ist ja streng verboten, eine Leiche aufzuschneiden…
Es ist auch verboten, dass ein Christ sich als Jude ausgibt. Um in Isfahan an der Madrassa aufgenommen zu werden, hat Rob aber keine andere Wahl. Heißt das, Religion ist ihm unwichtig?
Er setzt für sich die Prioritäten anders. Aber er hadert sehr mit seiner Situation und fragt sich, warum das alles so passieren musste. „Hab‘ ich zu viel gewagt“ heißt es im Song, aber auch „ich muss es tun“. Gott hat ihm diese Gabe gegeben, nun will er bitteschön auch von ihm wissen, was er damit anfangen soll. Rob vertritt die Meinung, dass es nicht Gottes Wille sein kann, das Aufschneiden Gestorbener im Dienste der Medizin zu verbieten, weil diese sonst angeblich nicht ins Himmelreich eintreten können. Es müsste doch vielmehr in Gottes Sinne sein, dass die Menschen sich gegenseitig helfen und heilen. Oder besser gesagt, im Sinne jeder Gottheit, denn hier spielt als zentrales Thema das Miteinander der Religionen hinein. Es mag ja sein, dass bei den Muslimen, bei den Christen und den Juden das Öffnen eines Körpers verboten ist, aber er ist davon überzeugt, dass Gott selbst das anders sieht und nur die Menschen es falsch interpretiert haben. Darüber gerät er in einen heftigen Streit mit seinem Lehrer Ibn Sina. Der Schah zieht gegen die Seldschuken in den Krieg, wo sich junge Männer im Namen Allahs gegenseitig die Bäuche aufschlitzen. Andererseits soll es aber nicht möglich sein, einen Körper im Dienste der Medizin - im Dienste der Schöpfung - zu öffnen, um die Ursache von Krankheiten zu erkennen. Rob ist überzeugt, dass diese Doppelmoral nicht im Sinne Allahs sein kann.
Er widersetzt sich also nicht Gottes oder Allahs Gebot, sondern den Interpretationen durch die Menschen?
Genau. Das war doch schon bei den Kreuzzügen der Punkt: In der Bibel steht, wir sollen einander helfen und unseren Nächsten lieben. Du sollst nicht töten. Gleichzeitig wird aber behauptet, es sei Gottes Wille, dass wir missionierend um die Welt ziehen und alle, die unseren Glauben nicht teilen, einfach abschlachten. Das ist ein klarer Widerspruch. Dieser Widerspruch ist aktueller denn je. Es gibt Muslime, die überzeugt davon sind, dass alle Andersgläubigen abgemurkst werden müssen. Ich habe den Koran nicht gelesen, aber ich weiß, dass es Leute gibt, die ihn genau so auslegen. Natürlich gibt es auch Muslime, die das völlig anders sehen und sagen, jeder könne doch glauben, was er möchte. Fanatische Christen gibt es genauso. Bei uns im Stück hat es keine Relevanz, aber das kann man ja fortführen, wenn es beispielsweise um Homosexualität geht. Was ist erlaubt? Was möchte Gott? Das ist Auslegung der Menschen, denn so genau steht das in der Bibel nicht drin. Damit zumindest kenne ich mich aus. Ich bin Christ. Außerdem hat ja Jesus die Bibel nicht persönlich verfasst, und ich bin der Meinung, auch das Alte Testament kann nicht einfach vom Himmel gefallen sein. Die Menschen haben versucht, das gesellschaftliche Leben in Bahnen und Regeln zu bringen, damit es friedlicher abläuft. Ich denke, die Menschen haben auch das Alte Testament aufgeschrieben. Aber gut, darüber kann man sich vortrefflich streiten, niemand kann es beweisen, also wird es immer unterschiedliche Meinungen geben.
Würden Sie sagen, dass „Der Medicus“ eine besondere Botschaft hat?
Auf jeden Fall. Wir transportieren sogar mehrere Botschaften. Eine zentrale Botschaft ist, dass es sich lohnt, gemeinsam für eine gute Sache - in dem Fall für den Fortschritt in der Medizin - zu kämpfen, unabhängig von Herkunft, Stand und Religion. So ein gemeinsames Ziel sollte uns alle zusammenbringen. Heutzutage treffen ja beispielsweise bei „Ärzte ohne Grenzen“ auch Mediziner verschiedener Glaubensrichtungen aufeinander, die das Heilen von Menschen als verbindendes Element sehen, als höheres Ziel, das definitiv wichtiger ist als kriegerische Auseinandersetzungen wegen irgendwelcher Unstimmigkeiten. Eine weitere Botschaft haben wir im Vergleich zum Buch durch einen wie ich finde echt genialen Schachzug sogar noch präzisiert. Im Musical wie im Buch ist Karim zunächst ein Mitstudent an der Madrassa, mit dem Rob Freundschaft schließt. Der Schah ist eine ganz andere Person. Im Musical ist Karim ein Neffe des Schahs, also Mitglied der Herrscherfamilie. Als der Schah und sämtliche Thronfolger durch die Pest dahingerafft werden, steigt Karim selbst zum Schah auf. Jetzt bieten sich unheimlich tolle dramaturgische Möglichkeiten. Denn Karims Verhalten ändert sich, er wird zunehmend zum A…. – nein, den Ausdruck kann ich jetzt nicht benutzen (grinst). Auf jeden Fall wird er zunehmend unsympathisch und verhält sich nicht wie ein Freund. Aber nicht unbedingt, weil er das will, sondern weil er als Herrscher einigen Regeln folgen muss. So ist er beispielsweise ein Stück weit auch gezwungen, gegen die Seldschuken zu Felde zu ziehen.
Im Song „Alles nur ein Spiel“ treffen dann zwei Ansichten aufeinander: Schah Karim sagt, wir sind nur Figuren in einem Spiel, dessen Regeln wir befolgen müssen. Wir sind fremdbestimmt. Und ich als Rob Cole sage, nein, so ist das nicht. Wir haben es selbst in der Hand. Jeder muss für sich selbst entscheiden, welchen Zielen er nachfolgt. Und wenn zum Beispiel die Religion ein Gesetz aufstellt das es verbietet, Körper von toten Menschen zu öffnen, dann ist es die Pflicht eines jeden einzelnen, dies zu hinterfragen und sich selbst eine Meinung zu bilden. Rob ist da ganz konsequent und alles andere als ein Mitläufer. Das einzige, was ihn von seinem Ziel abbringen könnte ist Mary, seine große Liebe, die er auf der Reise nach Persien kennengelernt hat. Völlig unerwartet treffen sich die beiden in Isfahan wieder, als Rob zu Gast am Hof des neuen Schahs Karim ist. Mary ist entsetzt und wirft Rob vor, eine Lüge zu leben. Der Rob, den ich kennengelernt habe - so sagt sie - der war Christ, der hatte ein Ziel, der wollte Medicus werden und heilen. Und nun sitzt eben dieser Mann als Jude verkleidet neben dem Schah und wählt sich eine Sklavin aus. Du bist nicht mehr du selbst, du spielst die Regeln, du hast dich angepasst. Das bringt Rob zum Nachdenken und er gibt ihr recht. In diesem Moment ist für ihn die Liebe und die Verheißung von Heimat, die Mary ihm bietet, stärker als alles andere. Deshalb ist er bereit, seinen Traum aufzugeben und mit ihr heimzukehren. Sie aber – und das ist eine ganz große Geste - sie lehnt das ab und erinnert ihn an sein Ziel. Sie sagt, solange er sein Werk nicht vollendet hat, kann er Persien nicht verlassen. Mary verspricht Rob, so lange bei ihm in Isfahan zu bleiben, bis er die Seitenkrankheit heilen kann. Und dann würden sie gemeinsam nach Hause gehen. Das zeigt aber, dass das einzige, was ihn von seinem Ziel abbringen könnte, die Macht der Liebe ist.
Rob Cole liebt also die Medizin, aber Mary liebt er auch.
So ist es. Und ich bin endlos glücklich, dass ich hier in „Der Medicus“ zusammen mit Sabrina (Anm. der Redaktion: Sabrina Weckerlin, sie spielt die Rolle der Mary Cullen) auf der Bühne stehen darf. Auch das ist ein Geschenk. Persönlich hatte ich Sabrina vor der Produktion noch nicht getroffen, aber natürlich kannte ich sie von diversen CD-Aufnahmen. Ich war vor allem fest davon überzeugt, dass wir musikalisch sehr gut harmonieren. Wir haben ein sehr ähnliches Timbre und kommen, was die Phrasierung angeht, beide eher aus der Pop-Richtung. Das ist toll. Aber auch persönlich funktioniert es super. Da muss ich auch gar nicht um den Brei herumreden: Sabrina ist ein Musicalstar. Ich habe mir inzwischen auch schon ein bisschen was erarbeitet, aber im Vergleich zu ihr bin ich noch nicht oben, sondern – hoffentlich – auf dem aufsteigenden Ast. Dass ich nun die Chance habe, mit ihr zu spielen, ist einfach toll.
Ist der Part in „Der Medicus“ Ihre bisher größte Rolle?
Ich würde sagen ja. Das Gesamtpensum ist hier echt abgefahren, irgendwann habe ich aufgehört, die Soli zu zählen. Manchmal sind es auch nur kurze Passagen, aber insgesamt ist es einfach unglaublich viel und vor allem auch ganz unterschiedlich. Anfangs ist Rob ja noch ein junger, dynamischer Badergeselle. Das drückt sich in der poppig-rockigen Musik aus. Auch darstellerisch muss man den jugendlichen Charakter rüberbringen. Im Verlauf des Stücks wird es dramatischer, Rob wirkt zunehmend besessen, wenn er die Leiche aufschneidet fast schon ein bisschen wahnsinnig. Michael Reed hat die Szene auch so richtig düster arrangiert, so kann ich auch mal eine tiefere, baritonalere Farbe ins Spiel bringen. Die Rolle ist eine große Aufgabe, auch emotional. Ständig stirbt wieder einer, von einer Szene zur nächsten verliere ich Freunde, dann kommt meine große Liebe als Sklavin rein – alles geht zack-zack, viel Zeit zum Innehalten bleibt da nicht. Auf einer halben Arschbacke kann man das nicht abdrücken, absolut nicht.
Also tragen Sie eine große Verantwortung für das Stück?
Ja, auf jeden Fall. Es ist echt ein Riesending und diese immense Verantwortung spüre ich natürlich auch. Ich glaube auch, dass man sich so eine Rolle nicht wirklich erkämpfen kann. Letztes Jahr war ich ja hier in Fulda schon in „Die Schatzinsel“ als R. L. Stevenson mit von der Partie, hatte also Gelegenheit, mich zu profilieren und dem Produktionsteam zu beweisen, dass ich in der Lage bin, Herausforderungen zu meistern. Oft ist nach einer Solonummer mal zehn Minuten Zeit, um sich hinter der Bühne umzuziehen oder so. Aber als Rob Cole habe ich ja nicht nur abgefahrenste Songs, sondern ziehe mich während ich singe auch noch auf der Bühne direkt vor dem Publikum um. Aber mehr verrate ich da jetzt mal nicht (lacht).
Wir sprachen vorhin über die Botschaften, die „Der Medicus“ vermittelt. Eigene Songs sind ja auch ein guter Weg, Gedanken zu transportieren. Neben Ihren Musicalrollen singen Sie in einer A-cappella-Band.
Genau. 2015 haben wir die Band von Tonalrausch in VOXID umbenannt, gegründet wurde unser A-cappella-Quintett im Jahr 2006, ich bin seit 2011 dabei. Dort singe ich nicht nur, sondern arrangiere, komponiere und texte eigene Songs. Der Stil geht in Richtung R&B und anspruchsvolle Popmusik. VOXID ist etabliert, wir haben schon viele Konzerte gegeben, waren schon drei Mal in Taiwan auf Tour. VOXID ist so etwas wie mein künstlerischer Dreh- und Angelpunkt, hier kann ich mich kreativ einbringen.
Das ist bei Musicalrollen nicht der Fall?
Doch, natürlich. Aber es ist eine ganz andere Form der Kreativität. Wenn ich nicht gerade selbst Musicals komponiere, was ich ja mit „Schneeweißchen und Rosenrot“ für die Brüder Grimm Festspiele Hanau schon gemacht habe, bin ich Ausführender. Ich versuche das, was der Komponist und der Autor mir an Material geben, so gut wie möglich umzusetzen, während ich bei VOXID das Material selbst erschaffe. Ich denke auch über ein Soloprojekt nach, aber das wird noch ein wenig dauern. Jetzt freue ich mich erst einmal über die Aufgabe hier bei "Der Medicus" in Fulda.
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