Empfehlenswert mit Abstrichen:
Rezension „Aida" in Ettlingen
Ganz einfach ist es nicht, sich vom verregneten Ettlingen im Juli des Jahres 2012 unter die heiße Sonne Ägyptens in die Zeit der Pharaonen zu denken. Liegt es daran, dass es der Ettlinger "Aida"-Produktion erst im Lauf des zweiten Aktes gelingt, die Handlung atmosphärisch zu verdichten und Stimmung aufkommen zu lassen? Im Ettlinger Schlosshof erleben die Zuschauer eine Inszenierung mit Licht- und Schattenseiten.
Helden, große Gefühle und eine Liebe ohne Chance. Basierend auf Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper haben Elton John (Musik) und Tim Rice (Liedtexte) ein Musical geschaffen, dessen Stoff eigentlich der Garant für einen spannenden Abend ist:
Radames (Jesper Tydén), der ruhmreiche ägyptische Heerführer, findet sich nach erfolgreichem Feldzug zurück in der Heimat – und zwischen zwei Frauen. Auf der einen Seite Amneris (Dorothée Kahler), die Tochter des todkranken Pharao, die er heiraten und mit der er das Ägyptische Reich regieren soll. Und auf der anderen Seite Aida (Julia Gámez Martin), vermeintlich ein einfaches Nubiermädchen, das er gefangen nimmt ohne um ihre königliche Herkunft zu wissen. Als er sich in Aida verliebt, erkennt er, dass er für Amneris keine wirklichen Gefühle hat und will alles opfern, um mit Aida zu leben. Sie erwidert seine Liebe, aber eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft gibt es nicht. Dass dennoch letztlich die Liebe den Sieg davonträgt, lässt die Rahmenhandlung ahnen, die geschickt den ersten Akt eröffnet.
Vor dem tatsächlichen Beginn betreten nach und nach Besucher ein Museum. Das Personal trifft Vorbereitungen, ein Exponat zu enthüllen – die letzten Regenpfützen werden dabei von der Bühne gewischt – dann bewundert das interessierte Publikum die neue Statue der Pharaonin Amneris. Mit "Jede Geschichte handelt von der Liebe" erwacht diese zum Leben.
Die Szenerie entsteht vor einem angenehm schlichten Bühnenbild: Dreieckige weiße Stoffbahnen, die an hellen Holzrahmen befestigt sind, versinnbildlichen Pyramiden oder Segel. Goldene Säulen dienen als Gebäudeteile oder – dann ebenfalls mit weißen Stoffdreiecken – Schiffsmasten. Variable Schiebeelemente vervollständigen die Kulisse, die erfreulicherweise ohne Schnickschnack auskommt und so einen unaufdringlichen Rahmen für eine bunte Handlung bietet.
Doch der erste Akt will zunächst nicht richtig zünden. Es fehlt an Esprit und Schwung, die Sprechszenen muten langatmig und zäh an, die Dialoge packen nicht. Erst im Lauf des Abends gewinnt das Stück an Fahrt.
Dorothée Kahler versteht es, die Entwicklung ihrer Bühnenfigur glaubhaft zu vermitteln. Bei "Sinn für Stil" fehlt es ihrer Stimme zwar etwas an Volumen, der rockig-schrille Klang passt dagegen perfekt. Schauspielerisch agiert sie hier grandios überdreht, lässt aber gleichzeitig erahnen, dass mehr in Amneris steckt, als ein oberflächliches Modepüppchen. Die allmähliche Wandlung zu einer Frau, die ihre Verantwortung erkennt und ihre Pflichten annimmt, vermittelt Kahler durch ruhigeres Auftreten, das immer würdevoller wird und einhergeht mit einer weicher eingesetzten Stimme.
Julia Gámez Martin überzeugt als Aida. Ihrem frischen, frechen Schauspiel nimmt man die nubische Prinzessin ab, der es unendlich schwer fällt, sich als demütige Sklavin zu geben. Auch stimmlich punktet die junge Darstellerin und überzeugt mit klangschönem Mezzosopran sowohl bei den Soli als auch in den Duetten.
Bemerkenswert, dass der erste wirklich emotionale Moment einer Coverbesetzung zu verdanken ist: Sebastian Römer, der als Mereb für den erkrankten Darryll B. Smith eingesprungen ist. Bei "Ich kenn dich" im Duett mit Julia Gámez Martin ist seine Gestik eindringlich, die Stimme sicher, volltönend und der erste wirkliche "Hinhörer" des Abends.
Hans Neblung, der als Zoser den Pharao vergiftet, um so seinen Sohn Radames auf den Thron zu bringen, könnte noch etwas verschlagener spielen. Stimmlich zeigt er eine solide Leistung. Als Nehebka fällt Annette Potempa positiv auf – dass der erste Akt mit einem überzeugenden "Die Sonne Nubiens" endet, ist nicht zuletzt ihrem Gesangspart zu verdanken.
Jesper Tydén bleibt hinter seinen Fähigkeiten zurück: Farblos, fast schwerfällig zieht sich sein Schauspiel im ersten Akt, seinem Radames nimmt man weder den Kriegshelden noch den Verliebten wirklich ab. Das bessert sich erst im zweiten Teil, als die Emotionen nicht mehr nur gespielt sondern gefühlt wirken. Auch stimmlich klingt Tydén eher dünn und kann seine klangreine Tenorstimme nicht in gewohntem Umfang einsetzen, was aber wohl zumindest teilweise auch an technischen Problemen liegt. In den Duetten "Durch das Dunkel der Welt" und "Sind die Sterne gegen uns" harmoniert er mit Julia Gámez Martin, wobei die Frauenstimme aber auch hier deutlich dominiert. Ganz offensichtlich hat man die Tontechnik nicht komplett im Griff, was sich vor allem in den lauteren Passagen zeigt, in denen auch die Stimmen von Kahler und Gámez Martin bisweilen mehr schlecht als recht ausgesteuert klingen. Auch die Textverständlichkeit lässt dadurch stellenweise zu wünschen übrig.
Wenig Punkte auch für die Kostüme: Nubier, die mit amateurhaft wirkenden Kleidern und schlecht sitzenden Perücken fast zum Lachen reizen, obwohl gerade diese Szenen alles andere als lustig sind. In dieser Gruppe wirkt einzig das Bühnenoutfit der Nehebka stimmig.
Minister in Glitzerjacken, die zudem in einer eher albernen Choreografie alles andere als synchron umherhüpfen und Radames in Lederjacke sind dagegen genauso unpassend wie ein Zoser, der in schwarzem Anzug eher wie ein verkappter Mafiaboss daherkommt, denn wie ein Würdenträger des alten Ägypten. Mit einfachen Mitteln wie weißem Stoff und Goldfolie hätte man wesentlich stimmigere Kostüme schneidern können, die vermutlich mehr Atmosphäre in das Stück getragen hätten. Daran fehlt es anfangs.
Die deutliche Steigerung im zweiten Akt wurde mit viel Beifall belohnt, und da in Ettlingen das Preis-Leistungs-Verhältnis absolut in Ordnung ist, kann man einen Besuch trotz einiger Schattenseiten empfehlen.
Text: Sylke Wohlschiess