Ewige Verführung:
Rezension "Tanz der Vampire" in Stuttgart
Herbert will Alfred. Alfred will Sarah. Sarah will Alfred auch – aber nur bis der Graf auftaucht, der natürlich ungleich faszinierender ist als der "patente, dezente, resistente Assistent" des trotteligen Vampirjägers Professor Abronsius. So treulos wie Sarah ist das Stuttgarter Publikum keineswegs, nach wie vor liebt es die Vampire, die nach der Deutschen Erstaufführung im Jahr 2000 und der Wiederaufnahme 2010 nun erneut im Stuttgarter Stage Palladium Theater ihr Unwesen treiben. Vielleicht sind sie heuer sogar besonders ausgelassen, gibt es doch zwei Jubiläen zu feiern:
1967, also vor 50 Jahren, kam Roman Polanskis Horrorparodie "Tanz der Vampire" in die Kinos. Den Sprung auf die Musicalbühne machten die Blutsauger dann vor 20 Jahren - 1997 - in Wien. Regie führte auch hier Roman Polanski. Inzwischen gilt "Tanz der Vampire" mit der Musik von Jim Steinman und den Texten von Michael Kunze als absolutes Kult-Musical.
Schade, dass man den zeitlos guten Rocksongs und Powerballaden auch im Jubiläumsjahr kein richtig großes Orchester gönnt. Auch für Nichtmusiker ist im Palladium Theater deutlich hörbar, dass digitale Einspielungen die Livemusik ergänzen. Samples sind heutzutage üblich und auch gar nicht per se abzulehnen, aber wenn sie so wie hier zu häufig eingesetzt werden, fehlt es an orchestraler Opulenz, vor allem bei den Streichern und beim Schlagzeug.
Beim Bühnenbild sind die bekannten Elemente der Tourproduktion unverändert: Die von links hereinfahrende Wendeltreppe, das um sich selbst drehbare Wirtshaus, die Särge, die sich bei "Die unstillbare Gier" senkrecht stellen und das große Himmelbett, in dem der Professor und Alfred die Nacht verbringen, während die Vampire mit ihrem "Carpe Noctem" durch Alfreds Alpträume geistern. Ergänzt werden die Szenenbilder durch Projektionen. Das mächtige Gruselschloss des Grafen wird gelungen visualisiert. Nicht besonders ausgefeilt wirkt es dagegen, wenn sich die Darsteller abwechselnd von links und rechts durch den sturmgepeitschten Wald mühen, sich die Bäume aber immer in die gleiche Richtung neigen. Mit ein wenig mehr Liebe zum Detail hätte man hier sicher effektvollere Verbindungen ausarbeiten können. Dies gilt auch für das insgesamt recht karge Bühnenbild, dem ein paar zusätzliche Requisiten deutlich mehr Atmosphäre verliehen hätten.
Von zu wenig Atmosphäre kann man dagegen nicht sprechen, wenn Mathias Edenborn als Graf von Krolock die Szenerie betritt, ganz im Gegenteil: Majestätisch schreitet er durchs Publikum zur Bühne, gebieterisch breitet er die Arme aus. In perfektem Timing mit der Textzeile "ich hüll‘ dich ein in meinen Schatten" wird sein Umriss überdimensional auf die Leinwand projiziert, jede Handbewegung erscheint überdeutlich bis in die Fingerspitzen. Seine Stimme fesselt vom ersten Ton an, charaktervoll, mit einem Timbre, das mal gefährlich, mal gespenstisch, aber immer äußerst verführerisch klingt. Edenborns Krolock ist weniger ein blutrünstiges Monster, als vielmehr ein jahrhundertealtes, einsames Wesen, das an seinem Dasein verzweifelt. "Gott ist tot" und "Einladung zum Ball" singt er ebenso packend wie "Die unstillbare Gier". Schauspielerisch sauber herausgearbeitet ist auch die Schlussszene, in der fast gegen seinen Willen der Graf seiner eigenen Gier nach Blut erliegt. Mathias Edenborns Interpretation des Grafen von Krolock ist mit Sicherheit ein Grund, eine Runde mit den Stuttgarter Vampiren zu tanzen.
Bei so viel Ausstrahlung wird auch klar, dass Sarah sich gegen die gräfliche Anziehungskraft nicht wehren kann – und auch gar nicht will, was Veronica Appeddu glaubhaft vermittelt. Im Duett mit Edenborn bei "Totale Finsternis" gefällt sie auch stimmlich, wogegen die Szenen mit Tom van der Ven als Alfred eher zurückgenommen wirken. Auch van der Vens Solo "Für Sarah" bleibt emotional verhalten, ist aber mit klarer Stimme solide gesungen.
Besonders gut gelingen Tom van der Ven die komischen Momente. Herrlich seine angstvoll aufgerissenen Augen, als der Professor ihn vehement in die Gruft befiehlt, seine zögerlichen Schritte und sein ungeschicktes Hantieren mit Holzpflock und Hammer. Die aufgesetzte Selbstsicherheit angesichts der Avancen des überdrehten Herbert, dem schwulen Sohn des Grafen, lässt im Publikum so einige Lacher laut werden. Milan van Waardenburg gibt einen sehr bedrohlichen Herbert, der im Gegensatz zu Papa Krolock ziemlich Spaß am Morden hat und seine bösen Absichten nur minimal mit tuntig-überzogenem Gehabe kaschiert. Van Waardenburgs Interpretation ist schlüssig, sein Gesang von kraftvoller Brillanz.
Ebenso überzeugend singt und spielt Victor Petersen den Professor Abronsius, selbstverständlich nicht kraftvoll sondern ausgesprochen zittrig. Er versteht es vortrefflich, seine Stimme dem Rollencharakter anzupassen, lässt sie immer wieder bewusst wegbrechen oder unnatürlich hoch klingen. Auch mit seiner Körperhaltung und Gestik zeichnet Petersen ein gelungenes Bild des zerstreuten Professors, der in seiner eigenen Welt lebt, sich der Gefahren gar nicht bewusst scheint, aber vorsichtshalber doch lieber Assistent Alfred in die Gruft zu den Vampiren schickt. Den seltsamen nächtlichen Geräuschen in Chagals Wirtshaus geht er dagegen selbst auf den Grund und bekommt von der resoluten Wirtin prompt eins übergebraten.
Yvonne Köstler als Rebecca und Nicolas Tenerani als Chagal gefallen als zwar verschlagenes und nicht gerade gepflegtes, aber doch irgendwie sympathisches Wirtspaar. Ohne einen Ton zu singen oder auch nur ein verständliches Wort zu sprechen, schafft es Paolo Bianca, als buckliger Diener des Grafen enorme Bühnenpräsenz aufzubauen. Koukol schwenkt nur einmal bedrohlich die Lampe, schon eilt Chagal sich, seine Wünsche zu erfüllen.
Eine hervorragende Leistung liefert Merel Zeeman als Magda ab. Mit martialisch dröhnender Rockröhre lässt sie bei "Tot zu sein ist komisch" dem Widerwillen freien Lauf, mit dem die Wirtshausmagd zu Chagals Lebzeiten dessen ständige Nachstellungen ertragen musste. Auch die Verwandlung von der sittsamen Bediensteten mit blondem Zopf zur zügellosen Vampirin mit wirrem Haar meistert Zeeman aufs Beste.
"Tanz der Vampire" lebt auch von großartigen Ensemblenummern und Choreografien. Die Tanzsolisten Kevin Schmid, Csaba Nagy und Alessandra Bizzarri wirbeln in atemberaubender Schnelligkeit und mit exzellenter Haltung durch die Nacht. Wenn am Ende die Bühne in blutrotes Licht getaucht ist und die Vampire ihren Sieg feiern, wird man mitgerissen, auch wenn der Stuttgarter Vampirtanz insgesamt noch etwas mehr Dynamik vertragen könnte.
Text: Sylke Wohlschiess
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