Für Britannien!:
Rezension Musical „Artus - Excalibur“ in Leinfelden
16.07.2022 – Musical-Rezension „Artus - Excalibur“ - Frank Wildhorns Musical erstmals an einem Amateurtheater - Theater unter den Kuppeln in Leinfelden-Echterdingen/Stetten
Britannien, 6. Jahrhundert: Wieder einmal tobt ein erbitterter Kampf um die Vorherrschaft im Land. Schwerter klirren, Menschen schreien, Tod und Zerstörung, wohin man auch blickt. Dann senkt sich die Dämmerung über das Schlachtfeld. Nebelschwaden ziehen auf - und aus der Ferne erklingt eine zarte Stimme.
Auf dem „Feld der Ehre“ beginnt Frank Wildhorns musikalische Interpretation der Artus-Sage. Wildhorn bleibt seinem Stil treu und erzählt mit schmelzenden Balladen und druckvollen Rocknummern die Geschichte um den jungen König Artus und das magische Schwert Excalibur, die Errichtung der Burg Camelot und die Gründung der Tafelrunde. Das Buch zum Musical stammt von Ivan Menchell, die Liedtexte von Robin Lerner und die deutsche Übersetzung von Nina Schneider. Nach der Weltpremiere in St. Gallen im Jahr 2014 bekam nun erstmals ein Amateurtheater die Aufführungserlaubnis für „Artus – Excalibur“.
Musical at it's best
Im Theater unter den Kuppeln arbeiten ausgebildete Tanz- und Gesangslehrer, auf der Bühne stehen aber ehrenamtliche Darstellerinnen und Darsteller, die, bis auf eine Ausnahme, in ganz anderen Branchen tätig sind (Anm. der Redaktion: Wer die Cast kennenlernen möchte, klickt hier). Umso größer ist die Herausforderung für das Kreativteam, gleich fünf tragende Rollen ebenbürtig zu besetzen. Ein, zwei auffallend gute Stimmen gibt es unter den Kuppeln seit jeher, aber bei „Artus – Excalibur“ konnte Profi-Regisseur Semjon E. Dolmetsch auch die kleineren Parts an großartige Talente vergeben. Das Gesamtniveau der Produktion wird so nicht nur dem hohen Eigenanspruch gerecht, sondern hält auch dem Vergleich mit Profi-Produktionen stand.
Das beginnt mit dem 15-köpfigen Live-Orchester, das unter der versierten Führung von Peter Pfeiffer eindrucksvoll beweist, dass Livemusik im Musical einen immensen Anteil an der Gesamtdynamik hat. Von einfühlsamer Begleitung der klangvollen Solosongs, über wummernde Rock-Rhythmen bis hin zu keltisch anmutenden Melodien entsteht ein vielschichtiges Klangbild, das Sound-Designer Dave Prikryl bestens zu Gehör bringt. Die Musikalische Leitung liegt einmal mehr in den bewährten Händen von Julia Brückner, dieses Mal unterstützt von Angela Wiedemer. Alle Sängerinnen und Sänger, ob Hauptrolle oder Chorstimme, zeigen bei „Artus – Excalibur“ beeindruckende Leistungen. Auch die Schülerinnen der theatereigenen Tanzschule sind mit von Nina Oelmann und Sara Crouch Rymer schwungvoll choreografierten Tanzszenen wieder mit von der Partie.
Bühnenbild und Beleuchtung sind bewusst ritterlich-karg gehalten und entfalten gerade deshalb eine starke atmosphärische Wirkung. Der Fels, aus dem Artus das Schwert Excalibur befreit, steht auf einem großen Schiebelement, das nach Ende der Szene weggezogen wird. Blickfang ist die anfangs teils abgedeckte Burg Camelot. Die etwas unschöne schwarze Plane fällt analog zur Handlung am Ende des ersten Aktes, als Camelot neu errichtet wird. Dann erst sieht man in voller Pracht, welch‘ imposanter Bühnenaufbau hier geschaffen wurde. Zwei feststehende Türme werden durch ein Element verbunden, das sich mittels der großen Drehbühne von der Außenmauer zur Wand des Burgsaals wandelt. Millimeterarbeit von Harald Rehm und seinem Bühnenbau-Team war hier gefragt. Die Burg ist begehbar und durch eine Treppe mit dem schmalen Gang verbunden, der ganz oben über die gesamte Bühnenbreite führt. Zusätzlich wird der kleine Balkon rechts oben am Bühnenhaus genutzt. Auch beide Gänge im Zuschauerraum dienen als Bühnenauf- und Abgang. So entstehen mehrere Spielebenen, auf denen Szenen weiter- bzw. auslaufen, während auf der Hauptbühne die Handlung fortschreitet.
Fantastische Momente bei „Artus – Excalibur“
Regisseur Semjon E. Dolmetsch steckt für seine hochmotivierte Cast einen breiten künstlerischen Rahmen ab. Wie immer am Theater unter den Kuppeln wird fast jede Rolle doppelt besetzt, um allen Mitwirkenden die Möglichkeit zu geben, auf der großen Bühne ihr Können zu zeigen. Indem er den Darstellerinnen und Darstellern sehr viel Freiraum lässt, geht Dolmetsch ein gewisses Wagnis ein, denn die Ausrichtung der Inszenierung soll natürlich auch im Amateurtheater unabhängig von der Besetzung erhalten bleiben. Doch was in Großproduktionen undenkbar ist, zeigt sich als das ganze große Plus dieses qualitativ herausragenden Amateurtheaters: Ob Artus oder Lancelot, Merlin, Morgana oder Guinevere – die unterschiedlichen Rolleninterpretationen beider Besetzungen ermöglichen auch für das Publikum immer wieder neue Blickwinkel. Egal, ob der Schwerpunkt in der schauspielerischen Ausgestaltung oder auf dem Gesang liegt – alle überzeugen mit fantastischen Leistungen.
Guinevere-Darstellerin* Linda Dambachers klarer Sopran ist durchweg sehr sicher geführt, ihr klassischer Gesangsstil setzt einen interessanten Gegenpart in dem von rockigen Stimmen dominierten Musical. Linda Dambacher hat sich den Charakter ihrer Bühnenfigur genau erarbeitet. Sie zeigt eine vom Wesen her eigentlich sanfte Frau, die sich aber in Augenblicken der Gefahr sehr wohl zur Wehr zu setzen weiß und auch vor dem Gebrauch ihrer Armbrust nicht zurückschreckt. Sie liebt Artus, weist ihn aber in die Schranken, als er sich nur noch von Rachsucht treiben lässt und dadurch ungerecht wird. Als sie in einem kurzen Moment der Schwäche Halt in Lancelots Armen findet, spielt Dambacher Guineveres innere Zerrissenheit mit großer Feinfühligkeit heraus.
Lancelot ist Artus‘ bester Freund und erster Ritter der Tafelrunde. Er steht im Kampf für das Gute stets an vorderster Front. Seit er sich auf den ersten Blick in Guinevere verliebt hat, ohne zu wissen, dass sie Artus‘ Braut ist, tobt in ihm ein innerer Kampf. Christian Reimann zeigt einen sehr emotionalen Lancelot, dessen innere Qual bei der Hochzeit von Guinevere und Artus einem schier das Herz zerreißt. Mit beinahe tränenumflorter Stimme klingen seine Soli wie ein verzweifelter Aufschrei. Reimann weiß aber auch durch die ein oder andere heitere Nuance dieser tragischen Rolle die Schwere zu nehmen. Wenn Lancelot beim Anblick der Ruine ungläubig „DAS ist Camelot?“ fragt, hat er die Lacher auf seiner Seite.
Peter Rinkefeils Lancelot hält seine Gefühle stets im Zaum. Auch in den traurigsten Momenten gesteht er sich selbst keine Schwäche zu, nur an einem Zucken der Mundwinkel und einem traurigen Blick erkennt man, wie viel Selbstbeherrschung es ihn kostet, an Artus‘ Hochzeit mit Guinevere Haltung zu bewahren. Alle Gefühle legt Rinkefeil in eine atemberaubende gesangliche Darbietung. In der Ballade „Nur sie allein“ begeistert er mit klarem Tenor, der auch in den schwierigen Passagen stets leicht und locker bleibt und am Ende des Solos elegant in die Kopfstimme übergeht – ein ganz besonderer Moment, der sich nachhaltig einprägt.
Grandiose Besetzung
Besondere Momente darf man auch stets erwarten, wenn Matthias Tränkle die Bühne betritt. Intensiv in jeglicher Facette seines Schauspiels lässt er das Publikum hautnah miterleben, wie Artus‘ zunächst mit seinem Schicksal hadert, dann aber an seiner Aufgabe wächst und letztlich zum wahren König Britanniens reift. Fassungslos steht er da, als Merlin ihm seine Abstammung als Sohn des Königs Uther Pendragon enthüllt, um Frieden bemüht reicht er seiner Halbschwester Morgana die Hand und geprägt von Vertrauen spürt man die jahrelange Freundschaft, die ihn und Lancelot verbindet. Artus‘ aggressive Seite kommt dabei nicht zu kurz. Wenn er Guinevere wutentbrannt von sich stößt oder Loth von Orkneys Männern mit Vernichtung droht, möchte man dem zornigen König besser nicht in die Quere kommen. Mit variantenreichem Einsatz seiner Stimme weiß Matthias Tränkle Artus‘ Zerrissenheit und den Weg seiner Selbstfindung auch gesanglich auszudrücken. Mal sanft und schmeichelnd, mal rockig-rotzig klingt sein strahlender Bariton. Die lang gehaltenen, kraftvollen Schlusstöne faszinieren ebenso, wie Tränkles wunderschöne Stimmfarbe.
Auch Colin Weitmann liefert in der Titelrolle eine gelungene Vorstellung ab. Artus‘ Emotionen kommen mit jedem Ton und jeder Geste zum Ausdruck. Sein einprägsamer, klarer Tenor passt hervorragend zu Wildhorns rockigen Klängen. Im Duett mit Linda Dambacher zeigt sich zudem eine sehr schöne Harmonie zwischen beiden Stimmen. Weitmann betont die jugendlich-ungestüme, heißblütige Seite des angehenden Königs. Im Streit mit Merlin bricht sich seine Wut hemmungslos ihre Bahn – so wird besonders gut deutlich, wie heftig Artus gegen sein Schicksal aufbegehrt, das sein Leben völlig aus den Angeln hebt. Auch die Auseinandersetzungen zwischen Artus und Morgana sind geprägt von geradezu besessener Leidenschaftlichkeit.
Diese bringt Giacoma Minoia mit fast beängstigender Authentizität auf die Bühne. Von der Beschwörung im Kloster, bei der durch Morganas erwachende Zauberkräfte aus rechtschaffenen Ordensschwestern rot behandschuhte Teufelsanbeterinnen werden, bis zu ihrem Ende durch Guineveres Pfeil lotet Giacoma Minoia alle Facetten ihres Bühnencharakters aus. Mit jeder Geste und jedem Blick lässt sie das Publikum in Morganas von Rachegelüsten und Hass zerfressene Seele schauen. Subtil vermittelt sie zugleich, dass die vor Wut schäumende Morgana ganz tief in ihrem Innersten ein zutiefst verletztes Kind ist, das nie verstanden hat, wieso es vom Vater verstoßen wurde. Gesanglich stellt der Part der Morgana auch erfahrene Profidarstellerinnen vor echte Herausforderungen. Mit Bravour und Stimmpower meistert Giacoma Minoia auch die schwierigsten gesanglichen Passagen, klingt mal aggressiv, mal herausfordernd, mal verführerisch und liefert ohne jeden Zweifel eine Glanzleistung ab.
Irina Kühn gibt ebenfalls eine stimmgewaltige Morgana, singt ohne Fehl und Tadel und glänzt mit absolut professioneller Stimmführung. Mit ausgeprägter Gestik und Körperspannung bis in die Fingerspitzen betont sie die intrigante Seite der Frau, deren Zauberkünste sich bald mit denen eines Merlin messen lassen. Gegen Irinas Kühns Morgana mit ihren geradezu teuflischen Verführungskünsten hat kein noch so mächtiger Zauberer eine Chance.
David Kovacs gibt einen äußerst kraftvollen Merlin. Vehement drängt er Artus, seine ihm von Gott gegebene Aufgabe anzunehmen und Britannien zu einen. Mit martialischer Stimme und starker Bühnenpräsenz lässt Kovacs keinen Zweifel an der Mächtigkeit des „Sehers der Könige“ aufkommen.
Ernst Weissbrodt betont eine ganz andere Seite des Bühnencharakters: Betritt er die Szenerie, umweht ein Hauch von Mystik den weisen Druiden. Mit in die Ferne gerichtetem Blick scheint er Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben. Weissbrodt verfügt zudem über eine Stimme mit ausgesprochen schöner Klangfarbe, die er gekonnt einzusetzen weiß.
Auch im Ensemble und bei den kleineren Rollen erklingen viele wunderbare Stimmen: Emily Koch singt einen bewegenden Solopart auf dem „Feld der Ehre“, Alexander Koch und Dieter Wolf gefallen mit ihren sonoren Stimmen beide gleichermaßen als Ector, Artus‘ Ziehvater. Nicole Graef und Irmgard Kühnle-Lange haben als Mutter Oberin gegen Morgana keine Chance und müssen sich in der dramatischen Beschwörungsszene den dunkeln Mächten geschlagen geben. Würde und ruhige Autorität strahlt Christopher Stengele in der Rolle des Priesters aus. Von seinem wohlklingenden Bariton hätte man sehr gerne noch mehr gehört.
Für die Sprechrollen wurden ebenfalls die richtigen Besetzungen ausgesucht. Die personifizierten Bösewichte sind Vater und Sohn von Orkney – Thomas Baumkircher als Loth, Tom Funk und Luis Koch als Gareth. Funk gefällt mit prägnantem Schauspiel, Koch mit jugendlichem Ungestüm – beiden bereitet der Schwertkampf sichtlich Vergnügen.
Auf die Kampfchoreografien hat Regisseur Semjon E. Dolmetsch viel Wert gelegt, so sind sehr realistisch wirkende Schlachtszenen entstanden. Und wenn mal wieder ein Kopf vom Halse getrennt wird, sieht das teils wirklich beängstigend echt aus. Natürlich wurden insbesondere diese Szenen intensiv geprobt, denn die Sicherheit aller Ritter und Ritterinnen steht an erster Stelle. Ritterinnen – am TudK ist man da ganz auf Gleichberechtigung eingestellt. So wurde Lucan, der jüngste Ritter der Tafelrunde, zu Luca, dargestellt von Theresa Weiß, die Lucas jugendlichen Eifer mit herzerfrischender Natürlichkeit vermittelt. Luca ist bestrebt, ein guter Ritter zu werden und übernimmt ohne Murren auch gefährliche Aufgaben, wenn auch nicht immer ganz ohne mulmiges Gefühl.
Dieses ist bei einem Besuch im Theater unter den Kuppeln zum Glück nicht nötig. „Artus – Excalibur“ am Theater unter den Kuppeln ist Musiktheater, das auf ganzer Linie überzeugt. Regie, Bühnenbild, Orchester und nicht zuletzt das schauspielerische und gesangliche Können der Darstellerinnen und Darsteller erreichen ein Niveau, das weit – sehr weit – über „nur ein Hobby“ oder „Amateur“ hinausragt. Brillant die Leistungen, professionell und motiviert das gesamte Team, das von Einlass bis Catering eine herzliche Wohlfühlatmosphäre entstehen lässt. Jeder Besuch ist pure Freude. Immer wieder.
Text: Sylke Wohlschiess
Fotos: Markus Schwarz Photos
*Marleen Reimann spielt ebenfalls die Rolle der Guinevere. Leider war sie bisher in keiner von uns besuchten Show zu sehen.
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Meet the Cast: „Artus - Excalibur“, Rollen und Besetzung - Kurzinterviews mit Einzelfotos aller Darstellerinnen und Darsteller