Blumenkinder auf der Burg:
Rezension „Hair“ in Klingenberg
Längst hat das im Jahr 1968 uraufgeführte Musical von Galt MacDermot (Musik), Gerome Ragni und James Rado (Libretto) Kultstatus erreicht. „Hair“ geht eigentlich immer. Zumal an einem lauen Sommerabend in der fantastischen Kulisse einer Burgruine. Am Ambiente kann es also nicht liegen, wenn auf der Clingenburg der Spirit des Wassermann-Zeitalters nicht so richtig ankommen will.
Bühnenbildner Christian Baumgärtel und sein Team ergänzen Bäume und Felsen, die Bühnenzugänge und die natürlichen Spielflächen auf mehreren Ebenen geschickt mit liebevoll ausgestalteten Elementen.
Die unter Musikalischer Leitung von Patrik Pietschmann exzellent aufspielende Band sitzt weit oben am Bühnenhang in einem mit Peace-Symbolen und Blumen bemalten Häuschen, überdimensionale rote Buchstaben – L O V E – werden zur Bar und vier pinkfarbene Stühle symbolisieren den Cadillac, Sheilas Geburtstagsgeschenk.
Eigentlich kein schlechter Einfall, zumal vorher statt eines auf dieser Bühne auch kaum platzierbaren Fahrzeugs symbolisch das Gemälde eines pinkfarbenen Autos enthüllt wird, was die Funktion der vier Stühle optisch anbindet. Nur leider wiederholt Regisseur Peter Rein dieses Bild so oft, dass der Gag sich abnutzt. Die Fahrgeräusche, die Rein die Darsteller dazu imitieren lässt, ziehen die Szenen zu sehr ins Lächerliche für ein Stück, das eine ernste, eine sehr politische und eine nach wie vor aktuelle Botschaft vermittelt.
Situationskomik ist in einigen Szenen durchaus gelungen eingebaut, auf Sheilas Geburtstagsgesellschaft beispielsweise, als sich die Hippies mit den geladenen Gästen der Upperclass mischen und Sheilas weibliche Verwandtschaft mehr oder weniger verstohlen manch‘ begehrlichen Blick auf Berger oder Hud wirft. Wenn das Publikum allerdings noch lacht, als Berger an Claudes Stelle das Flugzeug nach Vietnam besteigt, weil er seinen Freund für eine Party mit den extra angereisten Freunden heimlich aus dem Militärstützpunkt herausgeschleust hat und just in diese Stunden die Mobilmachung fällt – dann fröstelt man trotz sommerlicher Temperaturen.
Auf jeden Fall darf in dieser Szene Lars Schmidt sein ganzes Können zeigen. Beeindruckend realistisch vermittelt sein Minenspiel Bergers Entsetzen, als er sich seiner Situation bewusst wird, eindringlich seine flehenden Gesten. Schmidt gelingt es zu jeder Zeit, neben der natürlichen Lässigkeit und den unkonventionellen Ansichten des Tribe-Anführers auch dessen Wertvorstellungen zu vermitteln. Gesanglich glänzt Lars Schmidt vor allem bei „I got Life“, das er mit sprühender Ausgelassenheit und stimmstark inmitten des eiligst vor seinen wilden Tanzschritten in Sicherheit gebrachten Geschirrs zum Besten gibt.
Auch Marcel Kaiser gefällt als Claude Bukowski, der als unbedarftes Landei zur Musterung nach New York kommt, mit verwirrt verdrehten Augen seine ersten Drogenerfahrungen macht und auch der freien Liebe, der die Hippies huldigen, nicht abgeneigt ist. Marcel Kaiser liefert zudem ein grandioses „Where do I go“ ab, das Stimmpower mit emotionaler Kraft verbindet. Wohl regiebedingt bleibt ein wenig unscharf, wie Claude durch den Kontakt mit der ihm völlig fremden Lebensweise beginnt, seine eigenen Ideale zu überdenken.
Ebenfalls etwas unvermittelt steht Sheila, die Tochter aus gutem Hause, plötzlich bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg als Rednerin auf dem Podium. Julia Hell spielt die gezierte Arroganz der reichen Tochter, die auf eigenem Pferd durch den Central Park galoppiert, ebenso treffend, wie die in Claude verliebte junge Frau, die sich voller Eifer die Lebenseinstellung des Tribe zu eigen macht. Auch hier hätte Regisseur Peter Rein die Entwicklung deutlicher ausgestalten können.
Catherin Joos singt ein wunderschönes „I believe in Love“ und bezaubert als schwangere Jeannie auch schauspielerisch mit fast kindlicher Offenheit. Das Blumenmädchen nimmt man ihr zu jeder Zeit ab. Auch David Krohn als cooler Woof und Quatis Tarkington in der Rolle des für die Gleichberechtigung der Farbigen kämpfenden Hud geben absolut glaubhafte Hippies. Nicht so Georgia Reh, die mit „Aquarius“ eröffnet und leider von der positiven Leichtigkeit des großartigen Songs durch sehr harte Stimmführung und vor allem im Crescendo stark gepresste Tönen nicht mehr viel übrig lässt. Auch bei den tiefen Tönen von „Easy to be hard“ kann sie als Huds Frau gesanglich nicht für sich einnehmen.
Überzeugend dagegen die Ensemblenummern, die mit einem dynamischen „Let the Sunshine in“ auch einen gelungenen Schlusspunkt setzen. Ronny Bartschs Choreographien, die nicht wie einstudierte Abläufe, sondern wirklich wie spontane Huldigungen an Lebensfreude und Freiheit wirken, tragen ebenso zur Authentizität bei, wie die von Isa Mehnert entworfenen schrill-bunten Kostüme. Trotz einiger Schwächen gilt auch in Klingenberg: „Hair“ geht eigentlich immer.
Text: Sylke Wohlschiess