Intensiv und authentisch:
Rezension "The last five Years" in Frankfurt
Ein junger Autor, eine junge Schauspielerin – sie lernen sich kennen, verlieben sich, gehen eine Beziehung ein. Doch statt plangemäß für die Ewigkeit hält die Liebe nur fünf Jahre. Im ersten Moment klingt das weder neu noch aufregend. Was „The last five Years“ so außergewöhnlich macht, ist die gegenläufige Erzählweise: Während wir mit Cathy ihre Beziehung im Rückblick erleben, nimmt Jamie uns mit zum Ausgangspunkt und erzählt chronologisch.
Jason Robert Brown schrieb sowohl die Musik als auch die Texte für sein nahezu durchkomponiertes Kammermusical, das 2001 am Northlight Theatre in Chicago uraufgeführt wurde und 2002 am Off-Broadway zu sehen war. Im selben Jahr gewann „The last five Years“ die Kategorien „Beste Musik“ und „Beste Songtexte“ beim New Yorker Drama Desk Award. Wolfgang Adenberg übersetzte das Stück ins Deutsche, die im März 2016 gegründete Produktionsfirma „The Musical Season“ bringt jedoch die englische Originalfassung in die Katakombe Frankfurt.
Doch keine Sorge: Dank des herausragenden Schauspiels und der klaren Aussprache der beiden West-End-Darsteller Hannah Grover und Andy Coxon, die Regisseur Kirk Jameson auf klaren Wegen sicher durch die Zeitlinien führt, kann man dem Auf und Ab der Emotionen auch ohne umfassende Englischkenntnisse problemlos folgen.
Das Geschehen entfaltet sich auf einer sehr kleinen, schwarz ausgekleideten Bühne, auf der außer zwei Holzbänken ringsum auch die Musiker Platz finden. Andreas Leckerts Set Design ist von bestechender Schlichtheit. In Echtzeit tickt eine überdimensionale Wanduhr, von der Decke hängen Gegenstände, die für fünf Jahre Beziehung stehen: Fotos, Bücher und Briefe, Plattenhüllen, Koffer und ein getrockneter (Braut?)-Strauß. Mehr Bühnenbild braucht „The last five Years“ auch gar nicht, dieses Musical wirkt durch eine geradezu unglaubliche atmosphärische Dichte, die durch Tim Schöns und Thomas Giegerichs durchdachte Ausleuchtung visuell verstärkt wird.
Hannah Grover in der Rolle der Cathy und Andy Coxon als Jamie betreten gleichzeitig die Bühne. Während Jamie mit abgewandtem Gesicht im Schatten sitzt, öffnet Cathy im hellen Scheinwerferlicht mit zitternder Hand einen Umschlag – er enthält Jamies Ring und seinen Abschiedsbrief. Die ganze Fassungslosigkeit und der tiefe Schmerz über das Ende der Beziehung spiegelt sich in Hannah Grovers Gesicht. Anfang und Ende der Ballade „Still hurting“ intoniert sie mit zerbrechlich klingender Stimme, zwischendurch wandelt sich untermalt von Streichereinsatz die Trauer zu einer vehementen Anklage.
Der Gegensatz könnte nicht größer sein als bei diesem ersten Sprung in Jamies Erzählperspektive: Mit überschäumender Fröhlichkeit und locker fließender Stimmführung besingt Andy Coxon seine „Shiksa Goddess“ als die Erfüllung seiner Träume, als „the Story I should write“. Zwar beschleicht ihn schon bei „Moving too fast“ das ungute Gefühl, als ginge alles doch etwas zu schnell, aber Jamie ist glücklich und energiegeladene, rockig-melodiöse Songs zeichnen Jamies Part hier aus. Andy Coxon brilliert nicht nur gesanglich, sondern zeigt auch komödiantisches Talent. In rotem Pulli und Nikolausmütze liest er beim gemeinsamen Weihnachtsfest (Cathy vermutet man im Nebenraum, zu sehen ist sie nicht) die von ihm geschriebene Geschichte von Schmuel nicht nur vor, sondern spielt auch gleich die Handlung nach. Kurz hebt er den Deckel von Cathys Weihnachtsgeschenk und der aufmerksame Zuschauer erkennt das Kleid wieder, das Cathy trägt, als Jamie sie in Ohio besucht.
Außer dem Kleid und dem Ehering tauchen auch andere Requisiten in beiden Zeitschienen auf und verbinden dadurch die eigentlich getrennt ablaufende Handlung. So liegt beispielsweise der Brief, den Cathy aus Ohio schickt, neben Jamie auf der Bank. In einer anderen Szene schreibt Cathy auf dem gleichen Block, den Jamie für sein Buchmanuskript verwendet. Durch die vielen Kostümwechsel und Cathys unterschiedliche Frisuren wird die zeitliche Dynamik der einzelnen Beziehungsphasen zusätzlich verstärkt.
„See I’m smiling“ zeigt eine Cathy, die wütend ist, die noch hofft, zeigt eine noch unentschiedene Situation. In dem Maße, wie sich Cathys Gefühlswelt beim Zurückschreiten in die Vergangenheit ins Positive wandelt, dämpfen die ersten Beziehungs-Kabbeleien fast unmerklich Jamies anfängliche Begeisterung. In immer schnelleren Wechseln – jeweils gekonnt in Szene gesetzt mit Spots auf die handelnde Person – laufen nicht nur die Zeitschienen auf ihren einzigen Schnittpunkt zu, sondern durch die entgegengesetzten Startpunkte auch die Emotionen der Protagonisten.
„The last five Years“ steuert nun den dramaturgischen Höhepunkt an, Jamies Heiratsantrag, der einzige Moment, in dem Jamie und Cathy sich in der gleichen Zeit befinden und sich deshalb das erste und einzige Mal im Stück berühren. Dem Duett „The next ten Minutes“ verleihen Hannah Grover und Andy Coxon durch stimmliche Harmonie und das intensive, ehrliche Spiel so viel Authentizität, dass man sich fast nicht mehr wie ein Theaterbesucher, sondern beinahe wie ein Hochzeitsgast fühlt.
In dieser Szene wird die detaillierte und behutsame Regiearbeit von Kirk Jameson besonders deutlich: Nach dem Heiratsantrag liegen Cathy und Jamie wieder halb aufgestützt, Rücken an Rücken, auf einer Bank im Central Park und beschreiben den Blick auf die New Yorker Appartementblocks. Statt Jamie blickt nun aber Cathy nach vorne – eine äußerst gelungene Veranschaulichung der überschrittenen Zeitlinien.
Cathys Songs werden nun zunehmend beschwingt und ausgelassen, mit herrlich treffender Gestik und Mimik durchlebt Hannah Grover in „Climbing Uphill“ die Pein während einer Audition. Jamies Lieder dagegen werden dynamischer und härter, er wirft Cathy zunehmend Egoismus vor – und landet in den Armen einer anderen Frau. Das Ende rückt unaufhaltsam näher und wenn beim letzten Lied „I could never rescue you“ Cathy nach dem ersten Date ein glückseliges „goodbye until tomorrow“ ruft, während auf der anderen Bühnenseite Jamie den Ring abnimmt und ein „goodbye Cathy“ unter den Abschiedsbrief schreibt, erlebt man wahre Theatermagie.
Neben Andy Coxon und Hannah Grover agiert auch die Band unter Musikalischer Leitung von Ellie Verkerk am Piano auf höchstem Niveau. Jonas Wiesner (Gitarre), Sebastian Muhl (Bass), Nicolas Max (Violine) und Elias Schomers (Cello) bringen die vielseitige Partitur perfekt zu Gehör, mit Druck und Power bei den rockigen Nummern, mit viel Einfühlungsvermögen bei den Balladen und mit gekonnter Lässigkeit bei den jazz-inspirierten Klängen. Auch Anleihen an die Klezmer-Musik, die auf Jamies jüdische Abstammung hinweisen, passen sich ins klangliche Gesamtbild nahtlos ein.
Bei „The last five Years“ bilden eine ausgefallen konzipierte Handlung mit emotionaler Tiefe, abwechslungsreiche Kompositionen und ungekünstelte Texte ein stimmiges Ganzes. Kirk Jamesons Inszenierung darf man mit Fug und Recht als kleines Juwel bezeichnen, für „The Musical Seasons“ eine hervorragend gewählte Einstiegsproduktion. Gerne mehr davon.
Text: Sylke Wohlschiess
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