Rock für die Ewigkeit:
Rezension Musical „Rock Of Ages“ in Berlin
23.12.2018 - 1987: Von der Insel und über den großen Teich kommen langmähnige Rockbands, die sich mit melodischen Songs in die Herzen der (überdurchschnittlich vielen weiblichen) Fans spielten: Bon Jovi, Journey, Foreigner, Survivor und viele, viele mehr. 2018: Von der Insel kommt die UK-Tour des Musicals „Rock Of Ages“, das diesen Bands und ihren unsterblichen Rockhymnen ein Denkmal setzt. So heißt es für eine Woche im Dezember 2018 im Admiralspalast Berlin: „I Wanna Rock!“.
Und gerockt wird, dass die Wände wackeln. „Rock Of Ages“ lebt von der Musik und dem Flashback in ein Jahrzehnt, in dem es beinahe täglich neue, richtig gute Rocksongs gab. Chris D’Arienzo strickt die zugegeben dünne Handlung gekonnt um diese Kracher herum: Sherrie haut aus ihrer heimatlichen Landidylle nach L.A. ab und landet direkt zu Drews Füßen, der in Dennis Duprees legendärem „Bourbon Room“ als Hilfskraft jobbt und von einer großen Karriere à la Stacee Jaxx träumt. Dieser selbstverliebte, reichlich abgehalfterte Rocker wirkt auf die Damenwelt immer noch unwiderstehlich. So braucht es einige Irrungen und Wirrungen, bis sich Sherrie und Drew endlich in die Arme sinken.
Die stimmgewaltige Cast und die Band unter Leitung von Barney Ashworth bringen mit den rund 30 Songs Konzertatmosphäre in den Theatersaal. Schade, dass die Band nicht etwas mehr ins Bühnengeschehen eingebunden ist, was in dieser Szenerie gut machbar gewesen wäre. Ansonsten schaffen Lichtdesigner Ben Cracknell und Set- und Kostümdesigner Morgan Large ein realistisches Ambiente.
Das Ensemble wirbelt in Jeans und Lederjacken vor raumhohen Lautsprecherwänden durch Nick Winstons facettenreiche Choreographien. Rechts die Bar, schräg dahinter eine schmale Treppe, alles in diffusem Rockschuppen-Licht. Auf einer Projektionsfläche werden Plakate von AC/DC und Whitesnake, Abrissbirne oder gerahmte Alben von David Bowie und Michael Jackson hinzugespielt. Bei Bedarf rollen das Büro des Bürgermeisters, das Herrenklo oder - gelungener Gag - der deutsche Bauunternehmer Mr. Klineman auf einem Spielzeugbagger herein.
Ethan Pop verbindet in seinen Arrangements oft mehrere Titel zu Medleys, in denen Sherrie, Drew und Co. parallel zu Wort kommen. Das geschieht hier logischerweise durchweg in englischer Sprache, aber die Dialoge und Songs sind gut verständlich. Dass die Ausdrucksweise oft recht derb ist, passt zum Rockschuppen-Milieu und dass Regisseur Nick Winston teils schon reichlich sexistische Szenenumsetzungen konzipiert hat, ist im Rahmen der Selbstironie des Musicals vertretbar.
Nicht nachvollziehbar ist jedoch, warum es immer noch eine Portion Klamauk mehr sein muss. So stört ein Brote-verschlingender Freak, der zwischen Sherrie und Drew herumzappelt, einfach nur die Killerballade „The Search Is Over“. Auch als Lonny unerwartet Dennis seine Liebe gesteht, hätte ein bisschen weniger Clownerie der Szene gut getan. Und ob Lonny auf den Hollywood Hills dermaßen plump als Voyeur agieren muss, sei ebenfalls dahingestellt. Übrigens ist auch nicht klar, warum in der Traumsequenz auf den Hügeln – Sherrie stellt sich durchaus mehr vor, als einen schüchtern neben ihr sitzenden Drew – dieser genauso unbeteiligt bleibt, wie in der Realität. An zahlreichen Stellen wirkt „Rock Of Ages“ in Nick Winstons Regie ziemlich „over the top“, was aber bei der mitreißenden Musik und dem ausgezeichneten Ensemble glücklicherweise in den Hintergrund tritt.
Der charmant-freche Lonny, auf den Punkt glänzend dargestellt von Lucas Rush, ist nicht nur der ausgeflippte Typ, der heimlich auf seinen Boss Dennis steht und immer einen lockeren Spruch auf Lager hat, sondern er führt auch als Erzähler durchs Geschehen, spricht immer wieder das Publikum direkt an und erklärt dem staunenden Drew, dass er sich im Musical „Rock Of Ages“ befindet. Bei Rushs herrlich überzogenem Minenspiel und den anschaulichen Gesten macht das Zusehen Spaß. Außerdem ist es an ihm, die Botschaft des Stücks zu vermitteln: Nicht immer hält das Leben genau das bereit, was man sich erträumt. Wichtig ist, Chancen zu erkennen und zu nutzen. So wie er, Lonny, das Gitarre spielen aufgegeben hat und zum „Soundgott“ wurde.
Lucas Rushs Duett „I Can’t Fight This Feeling“ mit Cameron Blakely, der seinen Bühnencharakter Dennis Dupree mit authentischem Charisma zeichnet, ist eins der Highlights bei „Rock Of Ages“. Blakely versetzt zudem mit Salto und Überschlag nicht nur Lonny ins Staunen. Das hätte man dem lässigen Altrocker Dennis gar nicht zugetraut, der sonst eher relaxt durch seinen „Bourbon Room“ schlurft und Erinnerungen an wilde Eskapaden ebenfalls in die Jahre gekommener Rockstars auch gerne mal als Druckmittel nutzt.
Also taucht Stacee Jaxx alias Sam Ferriday für ein letztes Konzert mit seiner Band Arsenal im „Bourbon Room“ auf. In Weiß mit rotem Stirnband erinnert Ferriday dabei verdächtig an Axl Rose in den Achtzigerjahren. Die selbstverliebte, obercoole Rockstar-Attitude bringt er mit jedem Wort und jeder Bewegung perfekt und gleichzeitig parodistisch auf die Bühne. Damit auch alle kapieren, wie hammergeil (sorry) dieser Stacee doch ist, gibt’s noch den Hinweis „Pure Sex“ auf der Gürtelschnalle. Auch stimmlich ist Sam Ferriday die ideale Wahl: Wenn er Bon Jovis „Wanted – Dead Or Alive“ singt, wähnt man sich fast auf einem Konzert der Jungs aus New Jersey. Und wenn Sherrie ihm im Venus Club beim Strip-Tanz ziemlich zusetzt, wechselt er in der Hitze des Moments auch mal in die Kopfstimme – gesanglich top, schauspielerisch prägnant.
Als Sherrie wirkt Jodie Steele anfangs ein wenig zu abgeklärt, die naive Unschuld vom Lande kauft man ihr nicht ganz ab. Auch das Zusammenspiel mit Luke Walsh als Drew Boley bleibt eher unterkühlt. Den Wandel, den Sherrie durchlebt, arbeitet Steele dann umso überzeugender heraus. Nachdem Sherrie sich anfangs im Venus Club total fehl am Platze fühlt, arrangiert sie sich mit ihrem Schicksal, bis sie erkennt, dass dies nicht ihr Weg zum Glück ist. Großartig gesungen sind im Duett mit Luke Walsh die Powerballaden „High Enough“ und „The Search Is Over“.
Dieser gleicht als Drew Boley mit adrettem Kurzhaarschnitt mehr dem idealen Schwiegermutter-Traum, als einem jungen Rocksänger. Dadurch wird die Diskrepanz zu all‘ den langhaarigen Typen und vor allem zum vollgedröhnten Stacee Jaxx betont und Luke Walsh kann so vor allem Drews Unsicherheiten schauspielerisch zur Geltung zu bringen. Sobald er anfängt zu singen, läuft Walsh zu Topform auf: Ob Ballade oder härtere Klänge wie bei „I Wanna Rock“: Er beweist bei jedem Song Stimmpower, Musikalität und Einfühlungsvermögen.
Exzellenten Gesang liefert auch Tori Allen-Martin in der Rolle der Venus-Club-Chefin Justice „Mama“ Charlier. Sie brilliert nicht nur in den Soloparts, sondern auch in den Ensemblenummern mit ihrer eindrucksvollen Soulstimme. Die ebenfalls stimmstarke Rhiannon Chesterman interpretiert die rock- und protestliebende Stadtplanerin Regina sehr gekonnt als entschlossene junge Dame mit einem Schuss Naivität.
Regina erobert schnell das Herz von Franz Klineman. Andrew Carthy als „nicht schwuler, sondern nur deutscher“ Sohn des bösen Bauspekulanten befreit sich mit ihrer Hilfe aus der tyrannischen Umklammerung seines Vaters. Carthy hält auch den hanebüchenen deutschen Akzent seines Parts perfekt durch, was einen englischen Muttersprachler sicher vor besondere Herausforderungen stellt.
Auch Vas Contanti zieht als Hertz Klineman schauspielerisch alle Register und hat vor allem in der völlig überzogenen Szene seines Sinneswandels – Klineman bereut letztlich doch, dass er Franz in die Wüste geschickt hat – die Lacher zu Recht auf seiner Seite. Dank Reginas Hilfe besinnt sich er auf sein Vaterher(t)z, zieht Sohnemann an die väterliche Brust und zückt das Scheckheft, damit sich Franz den Traum vom Süßwarenladen erfüllen kann. Seltsame deutsche Formulierungen wie „Folgen Sie meinen Befehlen“ (wohl kaum noch die übliche Sprache zwischen Vater und Sohn) hätte es nicht gebraucht, um das Klischee des bösen und zugleich einigermaßen lächerlich wirkenden Deutschen zu vermitteln. Aber sei’s drum…
Die stimmlich hervorragenden Castmitglieder und die Musiker der „Rock Of Ages“-UK-Tour nehmen die Besucher für knappe drei Stunden mit zurück in die verqualmten Rockschuppen der 1980er, zu unsterblich guter Musik und diesem besonderen Lebensgefühl. Rock on!
Text: Sylke Wohlschiess