Samstagnacht im Burghof:
Rezension Musical „Saturday Night Fever“ in Jagsthausen
12.06.2023 – Musical-Rezension „Saturday Night Fever“ - Das Musical mit den Hits der Bee Gees - mit Marc Schöttner und Maja Sikora
Samstagnacht, New York: Die Jugend trifft sich im „2001 Odyssey“. Bei heißen Discorhythmen und blitzenden Lichtern rücken Alltagsprobleme in weite Ferne. Star der Tanzfläche ist Tony Manero. Sexy-elegant wie einst John Travolta in Robert Stigwoods Film aus dem Jahr 1977 tanzt Marc Schöttner bei den Burgfestspielen Jagsthausen in schwarzem Anzug und rotem Satinhemd durch das Musical „Saturday Night Fever“, das Stigwood gemeinsam mit Bill Oakes entwickelt und 1998 in London zur Uraufführung gebracht hat. Die laue Samstagnacht im Juni 2023 und die zeitlos gute Musik der Bee Gees bieten beste Voraussetzungen für einen schönen Musicalabend. So gibt es denn auch wunderbare Momente und energiegeladene Tänze. Jedoch kann die Inszenierung von Alvaro Schoeck trotz guter Hauptdarsteller nicht auf ganzer Linie punkten.
Licht und Schatten
Ein Grund dafür könnte die begrenzte Spielfläche sein. Die an sich schon kleine Bühne wird fast über die ganzen Breite durch ein pinkfarbenes Sitzelement noch weiter limitiert. Den Tänzerinnen und Tänzern bleibt nur wenig Freiraum, um alle Schrittfolgen wirklich auszutanzen. Etwas abseits auf der rechten Seite parkt ein alter Opel Kadett, an der Burgmauer, verziert mit „Saturday Night Fever“ in bunten Riesenbuchstaben, steht ein dreistöckiges Gerüst – beide sind wichtig für die Handlung. Das ist im Prinzip ausreichend, aber mit ein paar wenigen Requisiten hätte Ausstatter Tom Grasshof deutlich mehr 70er-Disco-Feeling in den Burghof zaubern können: Discokugel, ein paar große Lautsprecherboxen oder ähnliches vermisst man schon.
Auch beim Lichtdesign wurde sehr zurückhaltend agiert. Schade, denn gerade zum Ende hin wären ein paar bunte Laser-Lichter unterm Sternenhimmel effektvoll gewesen. So bleibt ein Teil der Atmosphäre auf der Strecke, obwohl die Kostüme genau in die Zeit passen: Schlaghosen, kurze Kleidchen, wilde Muster in Braun, Grün und Orange. Einfach perfekt! Die Tonqualität ist sehr gut, das Orchester spielt sichtlich mit Begeisterung die Musik von Barry, Maurice und Robin Gibb.
Insgesamt will die Samstagnacht in Jagsthausen aber noch nicht so richtig zünden. „Saturday Night Fever“ ist kein reines Tanz-Musical, sondern reißt gerade in der auch in Jagsthausen gezeigten neuen Fassung von Ryan McBryde viele Problemfelder an. Aber zwischen Schwangerschaftsabbruch, Arbeitslosigkeit, Vergewaltigung und Orientierungslosigkeit ist das Tanzen eine Auszeit – nicht nur für die Charaktere im Stück, sondern auch fürs Publikum. Exakt synchron getanzte Schrittfolgen haben eine starke, bildhafte Wirkung, sie erzeugen die positive Grundstimmung, die man trotz der vielen sozialkritischen Themen von „Saturday Night Fever“ kennt und die auch nachwirkt.
Das Laienensemble, das in Jagsthausen immer mit von der Partie ist und auch bei „Saturday Night Fever“ gute Chorgesänge liefert, offenbart leider beim Tanzen deutlich sichtbare Schwächen. Die Choreografie von Selatin Kara hält sich eng an die Filmvorlage und ist in den Ensemble-Szenen nicht über Gebühr schwierig umzusetzen. Vielleicht hätte man die tänzerisch weniger Begabten einfach an den Rand der Tanzfläche stellen sollen – durchaus kein unübliches Bild in den Diskotheken der Siebziger. Aber dank der starken Hauptdarsteller steigt das (Tanz)-Fieber dann doch.
Gute Wahl: Schöttner und Sikora als Manero und Mangano
Tony Manero tanzt nicht nur für sein Leben gern – das Tanzen ist für ihn auch ein Weg aus dem tristen Alltag, bedeutet Hoffnung, Freiheit und die Chance auf ein besseres Leben. Mit dem Preisgeld aus dem Tanzwettbewerb in seiner Lieblingsdisco möchte Tony Brooklyn verlassen und in Manhattan neu durchstarten. Marc Schöttner tanzt scheinbar ohne jegliche Anstrengung, von links nach rechts, ins Publikum und zurück, solo oder mit Partnerin. Seine Bewegungen sind locker, sein Hüftschwung sexy, das Hemd natürlich weit offen.
Stimmlich gefällt er besonders gut in den mittleren Tonlagen, schauspielerisch hat er sich seine Bühnenfigur bis ins Detail erarbeitet. Schon anfangs lässt Schöttner erahnen, dass sich hinter Tonys Machogehabe die Suche nach wahren Werten versteckt. Er zeigt in jeder Phase glaubhaft Tonys charakterliche Weiterentwicklung vom sexistischen Sprücheklopfer zu einem jungen Mann, der seine Handlungen überdenkt und seine Verhaltensweisen korrigiert. Marc Schöttner durchlebt alle Emotionen seiner Bühnenfigur und trägt über weite Strecken die Inszenierung.
Eine wahre Freude ist es, Maja Sikora beim Tanzen zuzuschauen. Natürliche Eleganz, große Ausdruckskraft und Körperspannung bis in die Fingerspitzen zeichnen ihren Tanzstil aus. Hinzu kommt besonders bei „What Kind of Fool“ auch stimmlich gute Energie und Dynamik. Mit ihrem herrlich akzentuierten Schauspiel überzeugt Maja Sikora dann vollends als Stefanie Mangano: Hochgezogene Augenbraue, kühler Blick von oben herab – besser kann man die affektierte New Yorkerin nicht darstellen. In der Streit- und Beinahe-Vergewaltigungs-Szene und später, als Stefanie einen Blick hinter die Fassade der Upper-Class-Zicke gewährt, zeigt Sikora, dass sie auch die ernsten Seiten ihrer Rolle verinnerlicht hat.
Dies gilt auch für Katharina Bakhtari als Annette. Sie himmelt Tony an, der sie jedoch nur als Tanzpartnerin braucht (und das auch nur, bis Stefanie auftaucht) und sie ansonsten rüde abweist. Tänzerisch gibt es an Bakhtaris dynamischem, schwungvollen Ausdruck nichts auszusetzen, auch die stimmliche Leistung ist solide.
Was der Samstagnacht in Jagsthausen aber definitiv fehlt, ist der dreistimmige, hundertprozentig harmonische Falsettgesang, ohne den die Songs der Bee Gees einfach nicht „rund“ sind. Die Stimmen von Maja Sikora, Katharina Bakhtari und Helena Blöcker als Clubsängerin harmonieren im Dreierteam nicht. Vielleicht ist dies der Premierenanspannung geschuldet, aber wenn der Kniff, anstelle von Falsettstimmen drei Sopranistinnen die Bee-Gees-Harmonien interpretieren zu lassen, nicht greift, dann geht viel vom Flair des Stücks verloren.
Dafür tragen Tonys Freunde Joey (Patrick Loose) und Double J (Dominik Velina) viel dazu bei, die Szenerie lebensnah darzustellen: Da wird proletet, geprahlt und sich daneben benommen, als gäbe es kein Morgen. Rouven Honnefs Part als Tonys dritter Kumpel Bobby C. ist anders gelagert: Er hat seine Freundin geschwängert und sucht nun verzweifelt bei allen möglichen Leuten Rat, auch bei seinem Freund Tony. Dieser vergisst aber den versprochenen Anruf, was zur Folge hat, dass Bobby im Beisein seiner Freunde von der Brücke zu Tode stürzt – ob Suizid oder doch Unfall, wird nicht zweifelsfrei aufgelöst. Rouven Honnef spielt eindringlich und überzeugend. Passend zum Rollenbild fällt Rouven Honnef auch die Aufgabe zu, den Welthit „Tragedy“ zu interpretieren.
Wer dem sozialkritischen Ansatz von Regisseur Alvaro Schoeck neben dem Hauptdarsteller hervorragend Geltung verschafft, sind Sebastian Faust als Frank Manero sen. und Bernadette Hug als Tonys Mutter Flo.
Manero sen., selbst arbeits- und antriebslos, lässt kein gutes Haar an Tony und tyrannisiert die ganze Familie. Ausgerechnet als es ums Bierholen geht, begehrt die sich sonst nur bekreuzigende Mutter plötzlich lautstark auf. Das ist zwar Klischee pur und plakativ, aber Faust und Hug überzeichnen bewusst, und zwar so grandios, dass der Verweis auf diese Missstände ohne erhobenen Zeigefinger der Regie gelingt. Aber alles Bekreuzigen hilft nichts - Sohn Frank jr. quittiert den Kirchendienst. Flo Maneros größte Sorge dabei: Wie steht es nun um ihre „Punkte im Himmel“?
Punkte beim Publikum bekommt Fabio Piana, der als Ex-Priester Frank Manero jr. seiner Rolle genau die richtige Tiefe verleiht. Inmitten der noch den richtigen Weg suchenden Jugendlichen hat er seinen gefunden und trifft die für ihn richtigen Entscheidungen, ohne falsche Rücksichtnahme. Seine Interpretation von „Immortality“ ist zweifellos der gesangliche Höhepunkt des Abends: Diese großartige Ballade funktioniert mit Pianas klangschönem Bariton fast noch besser als in der Originalversion. Mit spürbarer Hingabe und viel Gefühl singt Fabio Piana sein Solo und schafft einen sehr bewegenden Moment.
Wenn sich die stimmlichen und tänzerischen Mängel des Jagsthausener Ausflugs in die 1970er im Verlauf der Spielzeit noch verlieren, freut man sich auf weitere Nächte in der Burghof-Disco.
Text: Sylke Wohlschiess
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