„Für immer 18 und komplett außer Kontrolle“:
Rezension Musical „Bat out of Hell“ in Oberhausen
17.03.2019 - Das Musical „Bat out of Hell“ mit den Songs von Meat Loaf. In den Hauptrollen: Alex Melcher, Willemijn Verkaik, Robin Reitsma und Sarah Kornfeld.
Strats Frage irritiert anfangs nicht nur Raven, sondern auch das Publikum: „Wenn in einer heißen Sommernacht der Wolf mit den roten Rosen sich über dich beugt, gäbest Du ihm alles und wäre es auch dein Leben?“
Während man noch über mögliche Antworten sinniert und in der Symbolik unübersehbare Parallelen zu den roten Stiefeln aus „Tanz der Vampire“ erkennt, erspürt man allmählich die mystische Poesie, die „Bat out of Hell“ durchzieht. Am Schluss möchte man Deep End am liebsten gar nicht mehr verlassen, zumindest jene nicht, die sich in einem Winkel ihres Herzens den Glauben an Peter Pan erhalten haben.
„Bat out of Hell“ ist schräg – aber schlüssig. Dies mag daran liegen, dass Jim Steinman die Songs, die nun im Musical zu hören sind, von Anfang an auch für ein solches konzipiert hat. „Neverland“ war als Rockversion von James Matthew Barries „Peter Pan“ geplant, kam aber aus urheberrechtlichen Gründen nicht zustande. Die Songs jedoch gerieten nicht etwa in Vergessenheit, sondern verhalfen Meat Loaf zu Weltruhm: „Bat out of Hell I“ gehört zu den meistverkauften Alben aller Zeiten.
Kein Wunder, denn die Steinman’schen Kompositionen gehen sofort ins Ohr, ins Herz und in die Beine. Er selbst bezeichnet seine Musik gerne treffend als „Wagnerian Rock“: Opulent orchestrierte Rockkracher und ausladende, geradezu theatralische Balladen, perfekt geeignet für die Theaterbühne. Dort setzt Regisseur Jay Scheib gemeinsam mit Choreografin Emma Portner, Bühnendesigner Jon Bausor und Kostümdesignerin Meentje Nielsen das wilde Treiben meisterhaft in Szene.
Grandioses Bühnenbild bei „Bat out of Hell“
Wir befinden uns im Jahr 2030: Manhattan heißt nun Obsidian und treibt im Meer. Es herrscht Tyrann Falco, der mit seiner Frau Sloane und Tochter Raven im Falco Tower lebt. In den verlassenen U-Bahn-Schächten darunter führt Strat eine Gruppe Jugendlicher namens „The Lost“ an, bei denen die Chemischen Kriege zu einem seltsamen Gen-Defekt geführt haben: Sie altern nicht. Raven entwischt eines Tages verbotenerweise, trifft auf Strat – und es funkt. Als Idee ist „good girl meets bad boy“ nicht gerade innovativ. Auch die Entwicklung der Bühnencharaktere wird nicht herausgearbeitet. Das Buch funktioniert auf ganz andere Weise: Durch die Augen der Protagonisten blicken wir auf deren Beziehungen. Wie war das damals, als Falco und Sloane sich kennenlernten? Warum wehrt Zahara sich gegen ihre Gefühle für Jagwire? Möchte Tink wirklich nur Strats bester Freund sein? Auch Nebenfiguren wie Ledoux und Blake kommen zu Wort. So verweben sich Momentaufnahmen aus Gegenwart und Vergangenheit zu einem Mosaik der Emotionen, angesiedelt irgendwo zwischen den rockenden Achtzigern und Endzeitstimmung. Diese wird in Jon Bausors Bühnenbild perfekt visualisiert.
Achtlos weggeworfene Pepsidosen und alte Monitore setzen in effektvoll ausgeleuchteten U-Bahn-Schächten Patina an. Fluchttunnel führen zum Deep End, wo „The Lost“ Unterschlupf gefunden haben. Räume verbergen sich hinter Schiebetüren und wo eben noch eine Wand schien, springen plötzlich bewaffnete Wachen nach vorne. Immer noch ein versteckter Bühnenzugang tut sich auf. Treppen. Kaum einsehbare Winkel. Wasserbecken. Ein Auto versinkt, eine Harley explodiert. Über allem ragt 17 Meter hoch der futuristische Falco Tower aus Chrom und Glas, auf dessen zweiter Ebene sein Besitzer mit Familie in schierem Luxus residiert.
Ein Novum im Bereich Musical ist die Echtzeit-Projektion des Bühnengeschehens auf riesige Leinwände. Das erinnert an große Rockkonzerte und schlägt den Bogen zur Musik. Auch das Orchester, mit Dirigent und Musikalischem Leiter Martin Gallery, könnte auf jedem Rockfestival bestehen, so krachend authentisch fetzen Gitarrenriffs und Drumbeats, so dröhnend wummern die Bässe.
Dass allerdings ausgerechnet in der Eröffnungsszene „Voll auf Tour’n/Faules Pack“ sehr viel auf einmal passiert, macht es trotz der zeitlos genialen Musik zunächst schwierig, sich auf das Stück einzulassen. Wer Pech hat, verpasst den ersten Blickwechsel zwischen Strat und Raven. Der bald darauf folgende sarkastische Comedy-Dialog „Wer braucht die Jung’n“ zwischen Falco und Sloane gerät sehr lang und ist trotz grandioser darstellerischer Umsetzung sicher nicht jedermanns Sache. Gleiches gilt für „Paradise by the Dashboard-Light“, das im ersten Moment einfach nur wie eine billige Nummer daherkommt, bei der die Kommentare des Fußballreporters zu allzu platten Zweideutigkeiten werden. Dass man die Dinge im Rückblick oft verzerrt sieht, wird erst später thematisiert. Dann erschließt sich im Nachhinein auch diese überzogene Darstellung. Aber sei’s drum: Spätestens, wenn am Ende des ersten Aktes der Titelsong erklingt, Strat mit seinem Motorrad einen fürchterlichen Crash baut und Sanitäter den leblosen Körper von der Bühne tragen, ist man voll im Geschehen und fragt sich im ersten Moment erschrocken, ob mit Robin Reitsma wirklich alles ok ist. Ein klasse Einfall, den Kick-Off der Handlung nicht nur vor Beginn des ersten Aktes, sondern auch in die Pause hinein zu ziehen.
Durchweg überzeugende Darsteller
Robin Reitsma alias Strat wirkt wie ein rockender Peter Pan, der auf Planet e-Bay seine Julia trifft und sie mit geheimnisvoller Poesie betört. Er reißt Shirt und die kajalumrandeten Augen auf und bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch Deep End wie einst Peter durch Neverland. Stimmlich gelingen Rock-Tenor Reitsma die kraftvollen Balladen ebenso überzeugend wie die härteren Songs.
Dasselbe gilt für Sarah Kornfeld, die als Raven eine entscheidende Phase durchlebt: Noch ist sie das folgsame Kind, das brav die vom überfürsorglichen Vater verabreichten Traum-Blocker schluckt und sich im Elfenbeinturm einsperren lässt. Aber mehr und mehr sucht sie sich zu befreien und eigene Wege zu gehen. Diese führen in den gefährlich-verlockenden Untergrund, zu Strat, in den sie sich rettungslos verliebt hat. Genau auf diesem schmalen Grat siedelt Sarah Kornfeld ihre Bühnenfigur an. Zu einem großartigen Moment verbinden sich Schauspiel und Gesang beim Solo „Der Himmel ist weit“, mit dem Raven Strats vermeintlichen Tod betrauert und dabei seinen Namen an die Wand schreibt.
Hier und in vielen anderen Situationen lässt Willemijn Verkaik als Ravens Mutter Sloane immer wieder mehr oder weniger deutlich durchblicken, dass sie den Wunsch nach Selbstbestimmung nachvollziehen kann. „Für immer 18 und komplett außer Kontrolle“ zu sein, ist sehr zu Ravens Erstaunen immer noch eine Vorstellung, die Sloane begeistert. Es kostet sie jedoch viel Entschlusskraft, ihrer Tochter tatsächlich tatkräftig zur Seite zu stehen und sich damit gegen ihren Mann zu wenden. Denn auch wenn von den gemeinsamen Träumen der Jugendzeit nicht mehr viel übrig scheint, liebt Sloane Falco noch immer. Die vielseitige Künstlerin Willemijn Verkaik lotet Sloanes Wesen in aller Tiefe aus und beweist in den Slapstick-artigen Passagen zudem ihr komödiantisches Talent. Durchweg hochklassig ihre gesangliche Leistung, mit starkem Belt und großer Ausdruckskraft. Gemeinsam mit Alex Melcher als Falco macht sie den einzigen speziell für das Musical neu geschriebenen Song „Wo tut mir der Schmerz am meisten weh“ zum unumstrittenen Highlight.
Sensationell: Alex Melcher als Falco
Mit Aussagen wie „Idealbesetzung“ sollte man vorsichtig sein, aber wenn diese Beschreibung auf jemanden passt, dann mit absoluter Sicherheit auf Alex Melcher in der Rolle des Falco. Jeder Ton ein Rockstar, jede Emotion gelebt: Als Falco ist Alex Melcher eine Sensation! Er zeigt nicht nur das aktuelle Bild des unerbittlichen Tyrannen, sondern lässt in den Rückblenden den jungen Falco aufleben, der ungestüm, rebellisch und wild war - also Strat verblüffend ähnlich. Mit einfühlsamem Schauspiel vermittelt Melcher die unausgesprochene Wehmut des scheinbar unbesiegbaren Falco, der selbst nicht richtig versteht, wie aus seinen Jugendträumen die nüchterne Realität des Hier und Heute werden konnte. Wenn Alex Melcher mit „Wo tut mir der Schmerz am meisten weh“ einsetzt, drücken einen die Gefühle förmlich in den Sitz und im Saal herrscht atemlose Stille. Allein dieser Moment ist den Weg ins Metronom Theater nach Oberhausen wert.
Unter den vielen Ohrwürmern, die bei „Bat out of Hell“ erklingen, ist auch einer mit dem radio-untauglich langen Titel „Im Rückspiegel erscheinen die Dinge oft sehr viel größer als sie sind“, den man nicht aus der Meat Loaf Trilogie, sondern von Steinmans Vampirtanz als „Die unstillbare Gier“ kennt. Hier erzählen nacheinander Jagwire, Blake und Ledoux von Ereignissen, die sie aus der Bahn geworfen haben und die bis heute ihre Beziehungen beeinflussen. Benet Monteiro, Lorenzo Di Girolamo und Michael Moore geben in Einklang mit Orchester und Ensemble diesem Titel eine außergewöhnliche emotionale Tiefe. Benet Monteiro überzeugt auch im Duett mit der stimmgewaltigen Aisata Blackman als Zahara, die man sich problemlos mit dem Mikro in der Hand auf der Rockbühne vorstellen kann, so authentisch und schnörkellos rockt sie bei „Immerhin zwei zu eins“. Auch von Di Girolamo und Moore hätte man gerne noch den einen oder anderen Solopart mehr gehört.
Tom van der Veen in der Rolle des Tink hat als „Mutation der Mutation“ keinen leichten Stand bei den verlorenen Jungs. Seine DNA fror vor seinem 18. Geburtstag ein, so fühlt er sich immer betrogen um die „wirklich coolen Dinge“ und nicht ernst genommen. Außerdem ist er unglücklich in Strat verliebt, der davon nichts ahnt. Van der Veens klarer Tenor erklimmt enorme Höhen. „Lieben darf ich nicht“, bislang unveröffentlicht wenn auch nicht speziell fürs Musical sondern schon früher komponiert, ist eine traurige Ballade, die perfekt zu Tom van der Veen passt. Als Strat und die aus dem Falco Tower ausgerissene Raven zueinander finden, ist der immer so schüchtern-zurückhaltende Tink vor Eifersucht außer sich und verrät ihrer aller Aufenthaltsort an Falco. Die Parallelen zu Tinkerbell und Peter Pan sind unübersehbar und zudem mit grünen Federn am Kostüm verdeutlicht.
Sprechen die Kostüme eine eindeutige Sprache – Lack, Leder, Nieten für die Rebellen, Businessanzug und konservative Frisur für Falco und Gattin – so ist selbige bei „Bat out of Hell“ ein eher unstrukturierter Mix aus Deutsch und Englisch. Die Dialoge sind von Roland Schimmelpfennig hervorragend übersetzt. Auch Frank Ramond hat aus den teils sehr eigenwilligen englischen Songtexten ohne jeden Zweifel das Bestmögliche herausgeholt. Da die in den Songs begonnenen Inhalte oft nahtlos in den anschließenden Dialogszenen weitergehen, ist die Entscheidung nachvollziehbar, aus Gründen der Verständlichkeit alles zu übersetzen. Allerdings benötigt die deutsche Sprache mehr Worte als die englische, insofern ist es fast nicht möglich, jede Silbe elegant und exakt auf die Melodiebögen zu zaubern. Bei dem Bekanntheitsgrad von Songs wie „You took the words right out of my mouth“ oder „I would do anything for love (but I won’t do that)“ hätte man mit den englischen Originaltexten sicher nicht weniger vom Geschehen verstanden.
Aber Hauptsache, am Ende verstehen alle die Sprache der Liebe: Sloane und Falco, Jagwire und Zahara und natürlich Raven und Strat. Es gibt kein Happy End, beispielsweise altert Raven ja weiter, während Strat auf ewig 18 bleibt. So ist auch „Ich würd‘ aus Liebe alles tun“ wieder nur eine Momentaufnahme. Aber eine, die zuversichtlich stimmt. Vor allem, weil Raven am Schluss endlich die Antwort auf die Frage des Wolfs weiß.
Text: Sylke Wohlschiess