Schicksalhafte Liebe:
Rezension "Die Brücken am Fluss" in Trier
Ihre Träume sind längst dem eintönigen Alltag einer Farmersfrau im amerikanischen Mittelwesten zum Opfer gefallen. Er dagegen zieht als einsamer Abenteurer mit seiner Kamera um die Welt. An den Brücken im Madison County führt das Schicksal sie zusammen.
Im Theater Trier ist "Die Brücken am Fluss", das 2013 unter dem Originaltitel "The Bridges of Madison County" uraufgeführte Musical von Jason Robert Brown (Musik, Songtexte) und Marsha Norman (Buch), als Deutsche Erstaufführung in der Übersetzung von Wolfgang Adenberg zu sehen. Vorlage ist der erste Roman des Anfang März 2017 verstorbenen Autors Robert James Waller, der die im Jahr 1965 spielende Geschichte in seiner Heimat Iowa ansiedelt.
Fotograf Robert Kincaid soll im Auftrag des National Geographic Magazins die überdachten Brücken im Madison County ablichten. An einem Farmhaus fragt er nach dem Weg zur letzten der sieben Brücken. "An der dritten Scheune links" lautet die Information der dort lebenden Francesca Johnson, deren Familie für drei Tage zu einem Landwirtschaftswettbewerb gefahren ist. Da der Fremde angesichts dieser Erklärung etwas irritiert scheint, bietet Francesca kurzerhand an, ihm den Weg persönlich zu zeigen. Aus dieser Zufallsbegegnung wird in kürzester Zeit eine schicksalhafte Liebe.
Jason Robert Browns Kompositionen bilden die ideale klangliche Illustration dieser großen Gefühle. Es dominieren anspruchsvolle, nicht immer sofort eingängige Balladen. Jeweils passend zur Handlung sind weitere Stilrichtungen vertreten: Countryklänge gibt’s beim Landwirtschaftsfest, Blues erklingt aus dem Radio. Im Opener "Ein Zuhaus" blickt Francesca ganz im Stil einer Opernarie auf ihr bisheriges Leben zurück. Als ihre Erinnerungen in der Gegenwart angekommen sind, geht der Titel in einen Walzer über. Streicher und Schlagwerk des Philharmonischen Orchesters der Stadt Trier, ergänzt durch die Gitarristen Christoph Haupers und Jörg Bracht, meistern unter Musikalischer Leitung von Dean Wilmington aufs Beste die vielschichtige Partitur. Der gut ausgesteuerte Ton ergibt eine Klangfülle, die "Die Brücken am Fluss" in Trier zu einem echten Hörgenuss macht.
Im Gegensatz zum Roman und zur Verfilmung, die mit Meryl Streep und Clint Eastwood in den Hauptrollen in den 1990er Jahren ein großer Kinoerfolg war, erzählt das Musical nicht rückblickend, sondern chronologisch. Durch ungewöhnlich konzipierte und mit exaktem Timing perfekt umgesetzte Parallelszenen führt Regisseur Ulrich Wiggers seine Darsteller aber dennoch in verschiedene Zeitebenen.
Ein Beispiel dafür ist die Ensemblenummer "Du bist nie allein": Robert und Francesca sitzen am Küchentisch. Auf die Frage nach ihrem Leben in Winterset antwortet Francesca "Es ist nicht einfach. Aber alle stehen füreinander ein. Du bist nie allein". Sie beschreibt, wie die Nachbarn beim Einbringen der Ernte geholfen haben, als ihr Mann wegen einer Verletzung nicht arbeiten konnte. Noch während sie spricht, betreten nach und nach alle Ensemblemitglieder die Bühne und spielen im selben Bühnenbild genau den Vorfall, von den Francesca Robert erzählt.
Hauptschauplätze sind das Haus der Johnsons und die Roseman Bridge. Zimmer für Zimmer fahren Kulissenteile vom Schnürboden und verdecken die begehbare Holzkonstruktion, die als zweite Spielebene das obere Stockwerk des Farmhauses bildet. Mit der gleichen Technik entstehen auch Buds Hotelzimmer, eine Bar und ein Countryclub. Die Einzelteile sind teils auch mit Requisiten wie kleinen Schränkchen bestückt. So gelingt Bühnenbildner Matthias Winkler die perfekte Verschmelzung der gemalten Elemente mit den tatsächlichen Bühnenbauten. Besonders effektvoll wirkt dies auch in Verbindung mit der stimmungsvollen Beleuchtung, wenn die Roseman Bridge als originalgetreues Abbild der ja tatsächlich existierenden Brücke entsteht. Dass der preisgekrönte Stier von Francescas Tochter Carolyn und Kincaids blaues Auto nur als einfache Attrappen auf die Bühne kommen, tut der Atmosphäre keinen Abbruch.
Ulrich Wiggers stellt in seiner Inszenierung den ausgesprochen wahrhaftig agierenden Hauptpersonen einige schablonenhaft gezeichnete Nebenfiguren zur Seite. Dieser Kontrast verstärkt zusätzlich die Intensität, mit der die Gefühle von Francesca und Robert vermittelt werden. In erster Linie aber ist die eindringliche Wirkung, die "Die Brücken am Fluss" in Trier entfaltet, der grandiosen Leistung von Carin Filipčić in der Rolle der Francesca Johnson zu verdanken.
Sei es das schüchtern-kokette Zurückstreichen der Haare, als sie in Kittelkleid und Gummistiefeln dem interessanten Fremden erstmals gegenübersteht, sei es das genervte Durchatmen bei den Anrufen ihres Gatten, den sie in ihrer Ungeduld recht kurzangebunden abfertigt: Mit jeder Geste und jedem Blick ermöglicht Carin Filipčić den Einblick in Francescas Gefühlswelt. Sie agiert mit stiller Intensität und vermeidet jegliches Zuviel. Genau wie Meryl Streep spricht auch Carin Filipčić die Rolle mit leichtem italienischen Akzent, was zusätzliche Authentizität bringt. Filipčić bewegt sich exakt auf den schmalen schauspielerischen Grat, den es bei diesem Stoff braucht, um nicht ins Kitschige abzudriften und dennoch das Dilemma der Farmersfrau klar herauszuarbeiten, die ihre verschütt gegangene italienische Leidenschaft wieder erwachen fühlt. Letztlich kann und will sie ihr sicheres Lebensgefüge aber nicht verlassen.
Auch stimmlich darf man mit Fug und Recht von einer Glanzleistung sprechen. Carin Filipčić beweist nicht nur beeindruckendes Stimmvolumen, sondern singt in jeder Tonlage zugleich technisch perfekt und hochemotional. Das anspruchsvolle Duett "Vor dir und danach / Millionen Lichter" mit Hans Neblung als Robert Kincaid wird mit unzähligen weißen Lichtern romantisch ausgeleuchtet und bildet den Höhe- und Wendepunkt der Handlung. Während Robert Francesca bittet, mit ihm zu kommen, erkennt sie, dass eben dies ihr trotz der heftigen Gefühle für ihn unmöglich ist. Den Schmerz darüber machen Filipčić und Neblung sehr deutlich spürbar.
Der erfahrene Schauspieler und Sänger Hans Neblung passt vom gesamten Erscheinungsbild, stimmlich und mit seiner Art der Darstellung hervorragend in die Rolle des Robert Kincaid. Er gibt sich anfangs zurückhaltend, fast distanziert, und kracht doch mit der geballten Anziehungskraft des unkonventionellen Abenteurers in Francescas wohlgeordnetes Leben. "Ein Hippie" munkelt man im Dorf angesichts der langen grauen Haare. Seine Kleidung entspricht den Arbeitshosen und -hemden der Einheimischen und wirkt doch einen Tick eleganter.
Neblung spielt mit enormer Ausdruckskraft den feinsinnigen Weltenbummler, der sich unvermittelt der Liebe seines Lebens gegenübersieht, für sie sogar „seine Stiefel auszieht“, um dann letztlich zu erkennen, dass es keinen Weg in eine gemeinsame Zukunft gibt. Seine sonore Stimme gefällt vor allem in den tiefen und mittleren Tonlagen, in denen er sehr berührend und hundertprozentig glaubhaft Robert Kincaids Gefühle für Francesca zum Ausdruck bringt.
Doch der Mann an Francescas Seite ist und bleibt ihr Ehegatte Richard "Bud" Johnson. Dass er gesanglich etwas blass erscheint, macht Norman Stehr durch seine schlüssige Charakterdarstellung des bodenständigen Farmers wett, der ganz in seinem Leben aufgeht. Mit Bauch und ständig rutschenden Hosenträgern wirkt er zunächst fast einfältig. Erst in seinem Solo "Wie aus einem Traum" wird klar, dass Bud zwar kein Mann großer Worte, aber dennoch starker Gefühle fähig ist. Er weiß genau, dass er für Francesca nicht die Erfüllung ihrer Träume bedeutet, verehrt sie aber wie am ersten Tag und findet sich wohl auch deshalb mit ihrer Gleichgültigkeit ab. Norman Stehr lässt gekonnt durchblicken, dass Bud sehr wohl ahnt, dass sich während seiner Abwesenheit etwas Einschneidendes ereignet haben könnte. Aber nur einmal wird Bud Francesca gegenüber energisch. Dann zieht er sich wieder zurück und lebt lieber bis zum Ende mit der Ungewissheit, als das Risiko einzugehen, sie zu verlieren.
Anders entschieden hat in einer ähnlichen Situation Kincaids Exfrau, die Sängerin Marian. Robert erzählt Francesca, dass Marian ihn verlassen hat. In einer szenischen Überblendung singt dann Sidonie Smith im nachdenklichen Solo "‘Ne and’re Welt" von der Unvereinbarkeit ihrer und seiner Vorstellungen. Ihre fröhliche Seite und ihr Können an der Violine zeigt Smith als Countrymusikerin. In dieser Szene wirkt ihr Kostüm wie ein Faschingsoutfit für Kinder. Da alle übrigen Kostüme, sowohl Francescas Kleider als auch die karierten Hemden, Jeans und Lederwesten der Farmer aber realistisch gewählt sind, liegt der Schluss nahe, dass dadurch der Charakter diese Szene als Auftritt im Stück besonders betont werden soll.
Ebenso lassen die sehr plakativen Streitereien zwischen den Johnson-Kindern Carolyn und Michael - Mariyama Ebels überdeutliche Mimik wirkt aufgesetzt und auch Chadi Yakoub überzieht den rebellischen Teenager bis ins Karikative - vermuten, dass dies als Auflockerung bewusst so inszeniert wurde. Dafür spricht auch, dass beide in ihren ernsten Szenen völlig anders agieren. Als Michael seinen Eltern klarmacht, dass er Medizin studieren will und Carolyn zu verstehen gibt, dass sie auch "als Frau" die Farm führen kann, punkten Ebel und Yakoub mit wohl dosiertem Spiel, ebenso auch bei Buds Beerdigung. Vielleicht wäre eine natürlichere Darstellung der Kabbeleien unter den Geschwistern schon Gegenpol genug gewesen.
Absolut überzeugend ist dagegen die Integration der neugierigen Nachbarin Marge und ihres Ehemanns Charlie ins Geschehen. Wenn Conny Hain als Marge mit dem Fernglas genau beobachtet, was sich in Nachbars Garten so alles tut – vor allem, wohin genau sich der geheimnisvolle Fremde mit ihrer Freundin Francesca bewegt – und dabei von Charlie zurechtgewiesen wird, ist dies eine durch und durch gelungene Parodie dörflichen Klatschs und Tratschs, die durch Christopher Ryans trockenen Humor noch zusätzlich gewinnt. Dass Charlie und Marge aber keine böswilligen Klatschmäuler, sondern Francescas Freunde sind, zeigt sich, ebenso wie Carolyn und Michaels andere Seite, in kleinen Gesten und Worten bei Buds Trauerfeier. Conny Hain gebührt zudem das Überraschungsmoment des Stücks, als sie mit überwältigender Rockstimme als Radiosängerin eine atemberaubende Performance hinlegt und dafür zu Recht spontanen Szenenapplaus erntet.
Ein großes Lob gebührt allen Mitwirkenden für die mit emotionaler Tiefe erzählte Geschichte und größter Respekt allen Verantwortlichen für die Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen und mit der Deutschen Erstaufführung von "Die Brücken am Fluss" die hiesige Musicalszene zu bereichern.
Text: Sylke Wohlschiess
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