Eindringlich, ergreifend, empfehlenswert:
Rezension "Jesus Christ Superstar" in Wien
“Hosanna Heysanna Sanna Sanna Ho...” – voller Euphorie wimmeln die Anhänger Jesu‘ in farbenfrohen, kurzen Hosen und bunten Turnschuhen um ihren charismatischen, in strahlendes Weiß gekleideten Anführer. Vom ersten Moment an nimmt das energiegeladen auftretende Ensemble das Publikum im Ronacher mit auf die Reise durch die letzten sieben Tage im Leben Jesu‘ Christi, lassen die brillanten Hauptdarsteller Drew Sarich als Jesus und Sasha Di Capri als Judas das gesamte Konfliktpotential ihrer Beziehung miterleben.
Fast schon traditionell steht in der Osterzeit an den Vereinigten Bühnen Wien "Jesus Christ Superstar" auf dem Spielplan. 45 Jahre liegt die Uraufführung bereits zurück, und doch hat das Rock-Musical von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Text) bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Werner Sobotka inszeniert seine englischsprachige, konzertante Fassung als gekonnte Verschmelzung von traditionellen und modernen Elementen.
So sind die Bühnenoutfits (Nicole Panagl und Mareile von Stritzky) zwar modern geschnitten, behalten aber die typischen Farben bei: weiß für Jesus, schwarz für Judas, rot für Maria Magdalena. Die Priester in gestrengen schwarzen Business-Anzügen überreichen Judas sein Blutgeld in einem Aktenkoffer. Beim Einzug in Jerusalem werden ganz konventionell Palmzweige geschwenkt, ein Video davon landet aber sogleich auf youtube. Den Tempel entweihen außer Prostitution und Handel auch Drogendeals und rohe Gewalt.
Hervorragend gesetzte Lichteffekte (Michael Grundner) und sparsame, aber sehr gezielt gewählte Videoprojektionen (Jan Frankl) intensivieren die Stimmung. Inmitten des Bühnengeschehens leitet Musikdirektor Koen Schoots das 36-köpfige Orchester der Vereinigten Bühnen Wien mit Bravour durch die rockige, durchkomponierte Partitur. Dabei sind sowohl krachende E-Gitarren als auch opulente Streicherpassagen und leise Töne durch den perfekt ausbalancierten, satten Sound (Christian Venghaus) ein echter Hörgenuss.
Marjan Shaki obliegt als Maria Magdalena einer dieser leiseren Parts. Gemeinsam mit Marco Toth als Petrus singt sie das vielleicht schönste Duett "Could We Start Again, Please?", das in seiner Eindringlichkeit zutiefst berührt. Auch beim Solo "I Don’t Know How to Love Him" glänzt Shaki mit wunderbar warmen Mezzosopran und einer schauspielerischen Intensität, die Maria Magdalenas Verwunderung angesichts ihrer tiefen Gefühle für Jesus deutlich zum Ausdruck bringt.
Jesus in der Interpretation von Drew Sarich ist ein Mann, den man bewundern muss: Mit distanzierter Gelassenheit erträgt er Herodes' Sticheleien, einmal entschlossen, sein Schicksal anzunehmen, reagiert er mit keiner Miene auf die verzweifelten Hilfsangebote des Pontius Pilatus. Im Kreis seiner Jünger lässt er keinerlei Zweifel daran, wer das Sagen und das Wissen um die kommenden Ereignisse hat. Auch stimmlich dominiert bei Sarich die wütende Verzweiflung, die sich im grandios gesungenen "Gethsemane" fast bis zur Raserei steigert. Schier unglaubliches Stimmvolumen und vorbildliche Übergänge in die Kopfstimme vereinen sich zu einer Rockperformance von überwältigender Präsenz.
Eine perfekte Wahl ist auch Sasha Di Capri als ewig zweifelnder Skeptiker Judas. Vom Bühnenrand oder von der zweiten Spielebene oberhalb der Bühne beobachtet er mit missbilligender Miene, wie Jesus die Huldigungen seiner Anhänger entgegennimmt und dadurch den Zorn der Hohepriester auf sich zieht. Von Anfang an warnt er vor den Folgen, bleibt ungehört und sieht sich so dazu gezwungen, Jesus auszuliefern.
Sasha Di Capri führt mit differenziertem Spiel und ausdrucksstarker Mimik durch alle emotionalen Facetten seiner Bühnenfigur und liefert eine umfassende Charakterstudie des verzweifelten Verräters, der letztlich an seinem eigenen Entschluss zerbricht. Seine markante Heavy Metal-Stimme gibt Judas ein ganz eigenes Profil, das ihn deutlich von allen anderen Personen abhebt. In den ruhigen Passagen von "Judas' Death", bei denen Judas sich genau wie vorher Maria Magdalena fragt, was um alles in der Welt diesen Jesus so besonders macht, klingt Rocker Di Capris Stimme plötzlich unerwartet sanft, bevor er mit voller Stimmpower die letzten Töne hinausschreit und Judas sich mit der herabfallenden Seilschlinge erhängt.
Marc Clear zeichnet stimmlich und schauspielerisch ein ebenso einprägsames Bild von Pontius Pilatus, der, aufgewühlt durch seinen Alptraum, sich zunächst weigert, Jesus zu kreuzigen und letztlich doch dem Mob nachgibt. Im "Trial Before Pilatus" wechselt Clear zwischen provokanten Aufrufen an die tobende Menge und beschwörenden Worten an den auf dem Boden liegenden Jesus. Als von inneren Qualen fast zerrissener Mann taumelt Pilatus schließlich von der Bühne.
Die anschließende Auspeitschung Jesu' wird choreographisch analog zu "The Temple" umgesetzt, ein gelungener Fingerzeig auf die (vorherbestimmte?) Eskalation der Ereignisse. Natalie Holtom versteht es zudem, die durch das Orchester limitierte Bühnenfläche optimal zu nutzen. Das Ensemble tanzt sich mal fröhlich schwingend, mal wütend stampfend, neben den Musikern durch die Geschichte.
Auch die kleineren Rollen sind hochkarätig besetzt: Andreas Lichtenberger als sarkastisch-fieser Herodes, der im Swimmingpool planscht, während er Judas verhöhnt; David Rodriguez-Yanez, der bei "Simon Zealotes/Poor Jerusalem" mit Stimm- und Tanzpower das Ensemble anführt ebenso wie Mark Sampson, der mit erdigem Bass und langer Lockenmähne aus der Schar der kurzhaarigen, bebrillten Hohepriester hervorsticht und einen erstklassigen Kaiphas gibt. Kurosch Abbasis klarer Tenor kontrastiert eindrucksvoll und verleiht dem hinterhältig hetzenden Annas ein klares Profil.
"Jesus Christ Superstar" lebt nicht zuletzt von der vielschichtigen, komplizierten Beziehung zwischen Jesus und Judas. Ob wütender Blick, bittend ausgestreckte Hand oder hilflose Umarmung: Drew Sarich und Sasha Di Capri bringen den Konflikt der Männer, die Freunde waren und sich durch Jesus' aufkommende Popularität zunehmend entfremden, in atemberaubender Authentizität auf die Bühne. Besonders eindrucksvoll die Schlussszene: Nach Jesu' Tod am Kreuz, hier nur durch ein quergespanntes Seil symbolisiert, wird er von Judas empfangen. Nun ist es Jesus, der Judas folgt – nacheinander verlassen sie ruhigen Schrittes die Bühne.
Und als Zuschauer möchte man den Saal gar nicht ver-, sondern diese bewegende "Jesus Christ Superstar"-Aufführung lieber noch ganz in Ruhe nachwirken lassen.
Text: Sylke Wohlschiess
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