Ein Hoch auf die Kaiserin:
Rezension „Elisabeth“ in Essen
03.02.2015 - Musical „Elisabeth“ - Tourproduktion - mit Roberta Valentini in der Titelrolle und Mark Seibert als „Der Tod“
Immerzu ist sie auf Reisen, die schöne Kaiserin. Nach einem längeren Aufenthalt im heimatlichen Wien und einem Zwischenstopp im fernen China führt ihr Weg nun wieder durch Deutschland. Im Essener Colosseum, 2001 Ort der deutschen Erstaufführung, nimmt „Elisabeth“ samt Tod und Hofstaat zuerst Quartier.
1992 feierte das Werk von Sylvester Levay (Musik) und Michael Kunze (Libretto) in Wien Weltpremiere, zunächst kritisch beäugt, ja geschmäht. Inzwischen haben weltweit über 10 Millionen Zuschauer „Elisabeth“ gesehen. Weitab vom süßlichen Sis(s)i-Kitsch zeichnet das Musical ein düster-realistisches Portrait der österreichischen Kaiserin, die dem Frauenbild ihrer Zeit weder als junges Mädchen noch als reife Frau entsprach. Hochintelligent und freiheitsliebend, aber auch zeitlebens unglücklich, rastlos und von Todessehnsucht erfüllt, zeigt das Musical Facetten einer Jahrhundertgestalt, die zum Mythos wurde.
Der Musikalische Leiter Paul Christ führt das 20-köpfige Orchester mit Verve durch die Partitur, die Rocksongs und Balladen mit Anklängen an die Wiener Kaffeehausmusik verbindet. Die Tourproduktion ähnelt stark der Originalinszenierung, was nicht weiter verwundert, sind doch die kreativen Köpfe wieder mit an Bord: Harry Kupfer führt Regie, die zeitgemäßen Kostüme entwarf Yan Tax. Dennis Callahan zeichnet für die oft marionettenhafte Choreographie und Hans Schavernoch für das Bühnenbild verantwortlich.
Da man sich unterwegs nicht gerne mit unnötigem Krimskrams belastet, fällt dieses eher karg aus. Als symbolische Verbindung zwischen der Totenwelt und den Lebenden dient eine überdimensionale Feile, die auf das Mordwerkzeug anspielt, durch das Kaiserin Elisabeth durch Luigi Luchenis Hand zu Tode kommt. Neben den raumfüllenden Elementen – je nach Szene Bett, Gondel, Kaffeehausmobiliar oder Kutsche, herein- und hinausgefahren auf der Drehbühne – kommen nur wenige Requisiten zum Einsatz.
Dafür werden zahlreiche Projektionen eingesetzt, die auf verschiebbare Wandelemente geworfen werden. In Frau Wolfs Edelbordell wirbeln Münzen und Geldscheine, liebliche Berg- und Seenlandschaften zeigen Sisis bayerische Heimat, freundlich und sonnig, aber von dunklen Wolken überschattet, wenn der Tod auftaucht. Postkarten flattern auf Bad Ischls Berge und eine grellbunte gaffende Menge reckt neugierig die Nasen, um ja das Tun und Lassen derer „da oben“ gut beobachten zu können. Im Inneren der Hofburg führen Treppen ins Leere, stehen Säulen schräg im Raum und Wände nicht dort, wo man sie erwartet. Die verwirrend-beklemmenden Abbildungen erinnern an die Werke des niederländischen Malers M.C. Escher. Noch mehr Symbolik findet sich im Habsburger Doppeladler, der im Verlauf der Geschichte – analog zum sich abzeichnenden Untergang der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn – Federn lässt und in Einzelteile zerfällt. Eine gelungene direkte Verbindung zwischen Bühnengeschehen und Projektionsfläche entsteht, als historische Filmaufnahmen des Kaisers zu sehen sind und parallel Lucheni einen alten Filmprojektor mit Handkurbel bedient.
Aus der Sicht von Elisabeths Mörder wird das Geschehen rückblickend erzählt. Kurosch Abbasi gibt einen aggressiven, aufrührerischen Luigi Lucheni, stimmlich herausgearbeitet durch dreckig-rockige Töne, die er immer wieder bewusst einsetzt. Durch sein provokantes Schauspiel kommt Abbasi dem historischen Vorbild sehr nahe. Der italienische Anarchist Lucheni war geprägt durch sein Leben am untersten Rand der Gesellschaft und eine verzehrende Wut auf die Oberschicht. Keiner sollte essen, ohne dafür zu arbeiten, davon war er überzeugt. Um auf das Ungleichgewicht innerhalb der Gesellschaft aufmerksam zu machen, wollte er ganz bewusst ein Mitglied des Hochadels töten - dass Elisabeth das Opfer wurde, war dagegen Zufall - um selbst dafür mit der Todesstrafe zu bezahlen und so als Märtyrer unsterblich zu werden. Kurosch Abbasi bringt Luchenis Hass auf die Gesellschaft durch drohend geschüttelte Fäuste und offene Aggressivität ausgesprochen authentisch zum Ausdruck. Kleinlaut und unterwürfig wird er nur im Angesicht des Todes.
Verständlich, denn als tödlicher Verführer nimmt Mark Seibert mit Charisma und Powerstimme die Bühne in Besitz. Egal, ob er Lucheni in der Anfangsszene mit verächtlichen Blicken durchbohrt oder Rudolf achtlos beiseite wirft, nachdem er sich seiner bemächtigt hat. Mit Seiberts aufrechter, gespannter Körperhaltung und eiskalter Mimik strahlt die gleißende Arroganz dieser Kunstfigur bis in die hintersten Reihen. Beim Solo „Der letzte Tanz“ legt Seibert den Schwerpunkt auf die rockigen Töne.
Dass er seine vielseitige Tenorstimme aber auch samtweich einzusetzen weiß, stellt er im Dialog mit dem kleinen Rudolf unter Beweis. Auch als er sich staunend eingesteht dass „es stimmt, ich habe sie geliebt“, klingt der Tod gar nicht mehr so furchterregend. Das nun erstmals auch in Deutschland eingefügte „Kein Kommen ohne Gehen“ ist eine Liebeserklärung, wie man sie einschmeichelnder wohl kaum singen kann. Durch Seiberts Darstellung wird Elisabeths Todessehnsucht nachvollziehbar.
Roberta Valentini durchschreitet in der Titelrolle den Lebensweg der bayerischen Herzogstochter, die zur österreichischen Kaiserin aufstieg. Fröhlich und ungebunden, voller Bewunderung für den ebenfalls unangepassten Vater (ganz der joviale Landedelmann: Dennis Kozeluh), lacht und scherzt Valentini mit kindlicher Unbekümmertheit, schnappt dem geliebten Vater auch schon mal die Zither unterm Arm weg und kann sich so gar nicht für Familienfeste begeistern. Als Franz Joseph statt der ihm zugedachten Cousine ganz gegen die Pläne der beiden Mütter Sisi zur Braut erwählt, ist sie zuerst überglücklich. Im Duett „Nichts ist schwer“ klingt Valentini weich und lieblich. Sie harmoniert wunderbar mit Maximilian Mann, der den stets zwischen Pflichtbewusstsein und seiner Liebe zu Elisabeth hin- und hergerissenen Franz Joseph mit klangschönem Bariton und würdevoll-zurückhaltendem Spiel treffend charakterisiert.
Angelika Wedekind sorgt als unnachgiebige Erzherzogin Sophie dafür, dass die strengen Regeln des Wiener Hofzeremoniells eingehalten werden, sie setzt der jungen Kaiserin mehr und mehr zu. Roberta Valentini macht „Ich gehör' nur mir“ zu einem wahrhaft atemberaubenden Erlebnis: Gleichzeitig Verzweiflungsschrei und Befreiungsschlag, legt sie alle Emotionen in dieses Bekenntnis zur Selbstbestimmung, sinkt in sich zusammen, um sich sogleich wieder wie ein Phönix aus der Asche zu erheben. Valentini setzt die Belt-Technik nur sehr verhalten ein. So klingt ihre Stimme stets kraftvoll, aber niemals schneidend, was auch für den hohen, präzise gesungenen Schlusston gilt, der klar und leicht im Raum schwebt. Bei der Krönung zur ungarischen Königin zeigt sich Elisabeth voller Selbstbewusstsein und widersetzt sich mit Vehemenz den Verführungskünsten des Todes. „Wenn ich tanzen will“ wird zum schonungslosen Schlagabtausch zweier ebenbürtiger Gegner – eine Glanzleistung von Valentini und Seibert. Auch die schauspielerischen Herausforderungen im zweiten Teil der Geschichte meistert Roberta Valentini, beeindruckt mit verzweifelten Gesten und fast brechender Stimme bei „Nichts, nichts, gar nichts“ ebenso wie später als verbitterte, einsame Frau, die den Hilferuf des Sohnes mit versteinerter Miene abweist.
Der unglückliche Kronprinz Rudolf wird von Thomas Hohler äußerst glaubwürdig dargestellt. In „Die Schatten werden länger“ begehrt Rudolf mit letzter Kraft gegen den Tod auf, gleichsam zeichnet sich schon ab, dass er den Kampf verlieren wird. Ein grandioses Duett von Hohler und Seibert, voller Energie und Dynamik. Thomas Hohler singt noch ein ergreifendes, zutiefst emotionales „Wenn ich dein Spiegel wär“, und hängt dann willenlos wie eine Schlenkerpuppe in den Armen des Todes.
Mit Präzision knallen die Kannen auf den Boden bei „Milch“, das Volk begehrt gegen die sozialen Ungerechtigkeiten auf. „Hass“ drückt das Publikum förmlich in die Sitze, so unmittelbar wird die massive Bedrohung spürbar, die von Schönerers Anhängern ausgeht. Georg Ritter von Schönerer war ein radikaler Antisemit. Mit der von ihm geführten Alldeutschen Vereinigung nahm im ausgehenden 19. Jahrhundert in Österreich der Nationalsozialismus seinen unseligen Anfang, was historisch korrekt thematisiert wird. Dass die „Hass“-Szene regelrecht Beklemmungen verursacht, spricht für die exzellente Ensembleleistung.
Zwar gibt es im Vergleich zur vorherigen Tourversion nur minimale Änderungen und das Bühnenbild ist spartanischer als zuletzt an der festen Spielstätte in Wien, „Elisabeth“ vereint aber nach wie vor alles, was ein gutes Musical braucht: eine fesselnde Geschichte, ein überzeugendes Buch, ins Ohr gehende Lieder und eine stimmige Umsetzung. Was die Tourproduktion zu einem Must-See macht, sind die fantastischen Leistungen der Darsteller, allen voran Roberta Valentini, der es bereits jetzt gelingt, ihrer Interpretation eine eigene Ausrichtung und eine eigene Tiefe zu geben. Chapeau!
Text: Sylke Wohlschiess
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