Bildgewaltiges Fugger - Musical:
Rezension „Herz aus Gold“ in Augsburg
20.07.2018 - Gelebt hat er im 15. Jahrhundert, geliebt hat er eine Dame namens Sibylla und gehandelt hat er so erfolgreich wie kaum ein anderer: Jakob Fugger, der nicht von ungefähr den Beinamen „der Reiche“ trug. Anlässlich des 650-jährigen Fugger-Jubiläums gab das Theater Augsburg unter Leitung des Intendanten André Bücker ein Musical über den wohl bekanntesten Sohn der Stadt in Auftrag. Holger Hauer inszeniert auf der Freilichtbühne am Roten Tor die Uraufführung des Musicals „Herz aus Gold“, in dem Komponist Stephan Kanyar und Texter Andreas Hillger Erdachtes und historische Fakten fantasievoll verweben.
Wahrhaft beeindruckend ist das Ambiente am Roten Tor, mit mittelalterlicher Stadtmauer und Aquädukt, und das von Bühnenbildner Karel Spanhak perfekt eingepasste Bühnenbild, das sogar die unterschiedliche Farbgebung der Klinkersteine exakt aufgreift. Rechts dient die historische Brücke als Bühnenzugang auf die obere Ebene, eine Treppe aus riesigen Dukaten führt auf die große, untere Spielfläche. Links in einer Art Anbau, der die Arkaden der Brücke aufgreift, ist das Orchester platziert. Vielleicht ist diese Anordnung mit verantwortlich für die leider mäßige Tonqualität? Das Orchester klingt über weite Strecken verwaschen, die Sänger sind teils so leise, dass man sehr angestrengt lauschen muss, um die Worte zu verstehen. Das ist schade, denn Andreas Hillgers Dialoge und Songtexte lohnen das Hinhören und die Musiker unter Leitung von GMD Domonkos Héja setzen die vielfältige Partitur aus musicaltypischen Nummern, Klängen, die aus Fuggers Zeit stammen könnten und opulenten Chorgesängen hervorragend um.
Zwischen Flaggen mit dem Bayerischen Löwen und dem Wappen der Fugger von der Lilie, zu deren Linie Jakob der Reiche gehörte, zeigt der Aufbau auf der Drehbühne abwechselnd den Blick auf die Außenfront und ins Arbeitszimmer des Fuggerschen Handelshauses.
Dort schaltet und waltet Jakob Fugger alias Chris Murray, der in dieser Rolle alle Register seines stimmlichen und schauspielerischen Könnens zieht. Mit sprühender Energie gibt Murray den jungen Kaufmann, der vor Selbstbewusstsein strotzend und voller neuer Geschäftsideen aus Venedig heim nach Augsburg kommt und unbekümmert Konventionen bricht. Statt sich gemäß seines Standes in den traditionellen Reigen des Geschlechtertanzes einzureihen, schwingt er mit dem gemeinen Volk ausgelassen das Tanzbein und kommt gar nicht erst auf den Gedanken, dass seine große Liebe Sibylla sich während seiner langen Abwesenheit womöglich anderweitig orientiert haben könnte. Als sie ihm ihre ebenfalls Sibylla genannte Tochter präsentiert, nimmt Murray das Publikum durch seine intensive Mimik mit auf die Gefühlsachterbahn Jakob Fuggers, in der es in Sekundenschnelle von Freude über Bestürzung bis hin zu völliger Fassungslosigkeit geht.
Ebenso brillant gelingen Murray die Auseinandersetzungen mit Widersacher Welser, die kühle Distanz zu seiner Frau Sibylla und die Selbstreflektion „Herz aus Gold“. Die ergreifende Ballade und die zahlreichen anderen Songs interpretiert Chris Murray mit seiner unverwechselbaren prägnanten Stimme, die er sicher von ganz leisen Momenten bis hin zu voluminösen, lang gehaltenen Schlusstönen führt.
Auch Roberta Valentini glänzt als ältere Sibylla mit großartigem Spiel und starker Stimme. Als ihr Gatte stirbt, legalisiert sie nicht etwa die jahrelange Affäre mit Fugger, sondern drängt ihre Tochter in eine Ehe mit ihm. Vehement besteht sie ihr gegenüber darauf, dass ihr Plan umgesetzt wird, vehement erklärt sie auch Jakob, dass er Erben braucht, die sie selbst ihm nicht mehr schenken kann. Valentini gibt absolut glaubhaft die starke Frau, die trotz bester Absichten letztlich niemanden glücklich machen kann. Selbstzweifel angesichts ihres Tuns und die Frage nach dem Sinn ihres Opfers lässt Sibylla erst spät zu. Die Powerballade „Wo bin ich geblieben“ wird mit Valentinis ausdrucksstarkem Sopran zu einem der ganz großen Momente, emotional und gesanglich.
Überkochende Gefühle gibt es im Duett von Mutter und Tochter. Katharina Wollmann, Studierende an der Theaterakademie August Everding, bringt die Wut über die Übergriffigkeit ihrer Mutter mit heller, teils fast schneidender Stimme hervorragend zum Ausdruck. Auch die aggressiven Gesten und Blicke sitzen perfekt. Ricardo Fernandos Choreographie und Holger Hauers kreative Regie geben der Szene zusätzlich Drive, indem sie die beiden Kontrahentinnen auf der sich drehenden Bühne immer wieder zwischen der Innen- und der Außenkulisse wechseln lassen.
Auch alle anderen Tänze und Schrittfolgen unterstützen stets die Szene und werden vom Ballett Augsburg und dem Ensemble dynamisch umgesetzt. Im Zusammenspiel mit den einfallsreichen Kostümen ergibt sich ein bildgewaltiger Eindruck. Die roten, grünen und brauen Roben des Ensembles, beispielsweise in der Eröffnungssequenz „Tanzt!“, erinnern stark an Gemälde des Geschlechtertanzes aus dem 15. Jahrhundert, sind von Sven Bindseil aber gelungen ins Moderne stilisiert. Charakterisierende Bekleidung gibt es für die Hauptakteure: Fugger trägt das goldene Barrett, bekannt aus dem Gemälde Albrecht Dürers. Sibylla senior ist in ein goldschimmerndes elegantes Gewand gehüllt und Sibylla juniors blaues Kleid ist reich bestickt mit weißen Blüten und symbolisiert Jugend und Unschuld.
In gedecktem Rot agiert Holger Hauer als Fuggers Gegenspieler Welser. Hauer übernimmt den Part zusätzlich zu seinen Aufgaben als Regisseur und meistert beides mit Bravour. Zur damaligen Zeit waren die Welser ebenso wie die Fugger erfolgreiche Großkaufleute, folgerichtig gibt Hauer seiner Bühnenfigur mit klangvoller Stimme und ehrfurchtgebietendem Auftreten ebenso starke Präsenz, wie Chris Murray der seinen. Die gemeinsamen Szenen bestechen durch große Authentizität, wenn auch das Bild der sich bekämpfenden Schachfiguren u.a. schon aus Hauers „Medicus“-Inszenierung bekannt ist.
Dafür gibt es außer der exzellenten Personenregie, die alle charakterlichen Facetten der handelnden Figuren zum Vorschein bringt, interessante Details, wie zum Beispiel Sibyllas Tod, der symbolisch dargestellt wird, indem sie in schwarz gekleidet die Treppe hinauf schreitet oder die vier Herolde, die ab und an erklärend das Geschehen kommentieren.
Hier kommen ebenfalls wieder Studenten der Theaterakademie August Everding zum Einsatz: Christian Bock, Florian Koller und Edward Roland Serban machen ihre Sache ebenso gut wie Thomas Zigon, der die Riege der Vier vervollständigt. Elke Kottmair gefällt als Jakob Fuggers Mutter Barbara, die sich in geschäftlichen Angelegenheiten hinter die innovativen Ideen ihres Sohnes stellt, aber bedauernd feststellt, dass er ihren größten Wunsch nicht erfüllt hat. Jakobs Brüder Ulrich und Georg werden von Gerhard Werlitz und Stanislav Sergeev gespielt, Eckehard Gerboth gibt Kaiser Max und Oliver Marc Gilfert den Priester. Stimmlich aufhorchen lässt Thaisen Rusch als Martin Luther.
Luthers Anwesenheit in den Augsburger Fuggerhäusern beruht auf historischen Fakten, ebenso die Tatsache, dass Jakob Fugger tatsächlich mit einer sehr viel jüngeren Frau verheiratet war. Die recht konstruiert wirkende Dreiecksbeziehung ist jedoch frei erfunden. Musical ist kein Geschichtsunterricht, aber man hätte sich doch eine stärkere Ausrichtung auf Fuggers Schaffen gewünscht. Was hat ihn angetrieben? Wieso hat er die heute noch als älteste Sozialsiedlung der Welt bestehende Fuggerei gegründet? Was hat sein wirtschaftliches Denken ausgezeichnet? Fuggers Motivation wird angerissen, aber nicht deutlich herausgearbeitet. Auch weist „Herz aus Gold“ im ersten Akt einige Längen auf, während gegen Ende plötzlich gehäuft immer neue Themenkreise aufgemacht werden. Muss immer die Liebesgeschichte im Zentrum der Handlung stehen? Wie sagt Jakob Fugger so treffend: „Wenn man die Schritte immer nur so weit setzt, wie man es von den Alten gelernt hat, wie kommt man dann vom Fleck?“
Aber ohne jeden Zweifel ist es immer etwas Besonderes, wenn ein Musical über eine Person der Weltgeschichte am Originalschauplatz auf die Bühne gebracht wird. „Herz aus Gold“ überzeugt vor allem mit sehr guten Darstellern, hervorragender Regie und farbenprächtiger Bildsprache.
Text: Sylke Wohlschiess
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