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Eher blutarm:
Rezension „Dracula" in Röttingen

 „In" wie eh und je und jetzt auch draußen angekommen: Graf Dracula und sein Gefolge saugen Blut bei den Frankenfestspielen in Röttingen. Der Künstlerische Leiter Sascha Oliver Bauer inszeniert zum 30-jährigen Bestehen der jüngst umbenannten Spielstätte die erste deutsche Freilichtaufführung des Wildhorn-Musicals „Dracula". Womöglich finden sich die Vampire und ihre Jäger in den ungewohnten Gefilden noch nicht richtig zurecht, denn in Röttingen gerät die Umsetzung trotz guter Einfälle und bekannter Namen in der Darstellerriege in weiten Teilen recht blass und blutarm.

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Die Geschichte um den faszinierenden Untoten, der echte Gefühle für Mina Murray entwickelt und schließlich durch ihre Hand die ersehnte Erlösung findet, verbindet sich mit Frank Wildhorns eingängigen Melodien zu einem Musical voller Spannung und Energie. In Röttingen wird - abgesehen von „Nebel und Nacht" und „Die Einladung" - die poetisch anmutende, neue Übersetzung verwendet, die Herwig Thelen 2007 für die Grazer Aufführung erarbeitet hat. Zusammen mit dem romantischen Ambiente im kleinen Burghof der Burg Brattenstein eigentlich beste Voraussetzungen.

Doch die Aufführung will nicht richtig in Fahrt kommen. Grund dafür könnten Kürzungen sein, die, durchaus achtsam vorgenommen wohl für einen flotteren Ablauf sorgen sollten. Zwar gelingt dies im ersten Teil, beispielsweise bei „Wie wählt man aus", aber insbesondere im späteren Verlauf des Stücks wird die szenische Anbindung holprig. Die Zugsequenz und die Geschehnisse in Draculas Schloss sind so verkürzt, dass ein Großteil der mystischen Atmosphäre auf der Strecke bleibt. Einige Variationen in den Szenenabfolgen dagegen sind durchaus einfallsreich: So wird Draculas Einstiegssolo „Einsamer Mann" geteilt und umschließt gleichsam als Klammer die verschiedenen Bilder der Begrüßungsszene. Auch die Reprise fast aller wichtigen Lieder im Finale hat Charme. Doch der letzte Schwung fehlt, auch musikalisch. Wildhorns orchestrale Kompositionen werden hier von einer nur sechsköpfigen Band umgesetzt. Unter Leitung von Walter Lochmann geben die Musiker alles, können ein großes Orchester aber nicht ersetzen. Eigentlich durchgängig treibende Songs wie „Ich leb' nur, weil es dich gibt", „Zu Ende" oder "Eh' du verloren bist" werden zudem deutlich langsamer gespielt und kommen durch Pausen fast zum Stillstand, statt sich bis zum Ende hin kontinuierlich zu steigern. Auch mit gut gesetzten Akzenten wie zum Beispiel dem „Herzschlag" zu Beginn und zum Schluss lässt sich dies nicht wettmachen.

Es fehlt an Leidenschaft, an Feuer. Und für die Darsteller ist es offensichtlich schwierig, ihre Bühnencharaktere detailliert zu zeichnen. Fast alle Figuren bleiben seltsam konturlos in einem Bühnenbild, das mit verschiebbaren (Zahn)rädern an die Mechanik einer Uhr erinnert. Dahinter erhebt sich eine durch einen schmalen Gang oben bespielbare Wand mit einer scherenschnittartigen Zeichnung, in der mit etwas Fantasie eine Gestalt in einem Umfang erkennbar ist. Seitlich ragt eine stilisierte Hand in die Höhe. Die Bühne umfasst die gesamte Breite des Innenhofs, die Burgfassade ist direkt ins Bühnenbild integriert. Die Treppe dient als ein Bühnenzugang, die Fenster als zusätzliche Spielebene. Durch Klappen im Bühnenboden und im Steg, der die Bühne verlängert, fahren Requisiten herauf und Vampire hinunter in die Gruft. Die Ausstattung von Helmut Mühlbacher wirkt fast wie aus einem Traum und korreliert ideal mit den konsequent in schwarz und weiß gehaltenen Kostümen von Agnes Hamvas, die zwar an das viktorianische Modebild angelehnt, aber ohne Zeitbezug kreativ erdacht sind. Zusammen mit den maskenhaft geschminkten Gesichtern aller Akteure (Tina Brochwitz) entsteht so der perfekte Rahmen für einen grandiosen Effekt: Knallrote Requisiten durchbrechen das Schwarzweiß der Szenerie. So werden roter Wein, rote Fächer, rote Rosen, ein roter Apfel und in der Schlussszene Minas rotes Kleid zu optischen Anziehungspunkten mit fast magischer Wirkung.

DraculaRoettingen05Schade, dass diese vielseitige Bühne nur bedingt für Parallelszenen genutzt wird. Auch die Darstellung der Verjüngung Draculas durch Jonathan Harkers Blut fehlt völlig. So ist es für Rob Fowler wohl nicht ganz einfach, dem Vampirgrafen den richtigen Biss zu verleihen. Vielleicht liegt es auch daran, dass er den Opfern nicht lustvoll-erotisch an die Kehle gehen darf, sondern mit den Pulsadern vorlieb nehmen muss. Fowlers Dracula ist statisch, fast emotionslos, die schauspielerische Darstellung wirkt hölzern. Das rollende R, mit dem der uralte Dracula gerne vom verjüngten Grafen unterschieden wird, macht hier nicht viel Sinn, sondern wirkt unpassend. Stimmlich bringt Fowler eine solide Leistung, mit Power und Volumen in den rockigen Passagen und Wärme bei langsameren Nummern wie „Einsamer Mann".

Nicht ganz so gelungen gerät das Duett „Zu Ende" mit Dennis Kozeluh als Van Helsing; die Stimmen harmonieren nicht optimal und Kozeluhs eher getragene Stimme passt nicht zu diesem rockigen Stück. Bei „Roseanne" und „Nosferatu" dagegen weiß er seine warme, leicht rauhe Stimme sehr gefühlvoll einzusetzen. Dass die Regie Abraham Van Helsing als leicht verwirrten, klapprigen Greis á la Professor Abronsius auftreten lässt, kann nicht dem Darsteller angelastet werden. Man fragt sich aber schon, wie dieser zur Abwechslung nicht morphium- sondern alkoholabhängige Vampirjäger ein ernsthafter Gegner für Dracula sein kann. Auch die Komik – beim energischen Aufstampfen mit dem Gehstock fährt es dem Ärmsten gleich ins Knie – passt nicht richtig ins Rollenbild.

DraculaRoettingen01Absolut passend, ja geradezu perfekt ist dagegen Gernot Kranner als Renfield. Er untermalt sein „Lied vom Meister" mit der verzerrten Mimik einer gequälten Seele, seine Gestik drückt tiefste Verzweiflung und die unerfüllbare Sehnsucht nach Ausbruch aus. Diese Verzweiflung weiß Kranner auch stimmlich zu transportieren, er spielt mit der Stimme, holt schauspielerisch und gesanglich alles aus der Rolle heraus und überzeugt auf ganzer Linie.

Ebenfalls eine beachtliche Leistung zeigt Caroline Frank als Mina Murray. Zwar bleibt auch hier die Entwicklung des Bühnencharakters vom unschuldigen Mädchen zur mutigen Frau, die sich ihren Gefühlen und der Gefahr stellt, etwas unscharf, ist aber erkennbar. „Lass mich dich nicht lieben" ist einer der gesanglichen Höhepunkte, sauber intoniert und auch mit der nötigen schauspielerischen Untermalung. Gefühlvoll und ausdrucksstark klingt ihr lyrischer Sopran, sie meistert die rockigen Töne in der Zugsequenz ebenso mühelos wie sanften Klänge im Duett „Whitby Bay". Ihr Duettpartner Andreas Bieber als Jonathan Harker gefällt mit seiner sehr klangschönen, einschmeichelnden Stimme. Seine Interpretation von „Frost an einem Sommertag" ist einer der berührendsten Momente. Da auch er wie fast alle seine Kollegen in dieser Inszenierung schauspielerisch sehr zurückhaltend agiert, liegt die Vermutung nahe, dies könnte so vorgegeben sein.

DraculaRoettingen03Kathleen Bauer klingt als Lucy Westenra stellenweise ein wenig schrill, was aber vor allem in den Vampirszenen gut zur Rolle passt. In hoch angesetzter Hose und mit Brille wirkt sie streng und unnahbar, nach ihrer Verwandlung zum Vampir trägt sie ein zerfetztes Kleid und Strapse, dafür aber keine Brille mehr. Sie zeichnet auch für die Choreographie verantwortlich. Ihre nicht zu schwierigen aber wirkungsvollen Schrittfolgen und Bewegungsabläufe verbinden harmonisch die professionellen Darsteller und das Extra-Ensemble. Vielleicht wird dieses etwas zu häufig eingesetzt - in der Szene der Verführung Jonathans sollten außer den drei Vampiretten eigentlich keine weiteren Personen die Bühne unnötig füllen - aber die engagierten Laiendarstellerinnen und -darsteller sind eine willkommene Verstärkung. Sehr gut visualisiert das Extra- Ensemble die Insassen des Irrenhauses, das Dr. Seward leitet und in dem Renfield einsitzt. Auch die Lichter, die bei „Eh du verloren bist" auf die Bühne getragen werden, geben vor dem dunklen Nachthimmel einen wunderbaren Effekt. Und der versöhnt dann fast mit den deutlichen Schwachpunkten der Röttinger „Dracula"-Inszenierung.


Text: Sylke Wohlschiess

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