Musik und Menschenrechte:
Rezension „Harry Belafonte Story" in Fellbach
Eine unverwechselbare Stimme, eine klare Botschaft - für beides ist Harry Belafonte seit vielen Jahren weltweit bekannt. In Gerold Theobalts Schauspiel mit Musik, das momentan unter dem Titel „Die Harry Belafonte Story" auf Tournee ist, agiert Ron Williams in der Titelrolle so überzeugend, dass man fast vergisst, dass gar nicht der echte Belafonte auf der Bühne steht.
Ort des Geschehens ist ein Café, in dem Steve, ein jugendlicher Rapper in Baggy Pants, gerade vorsingt. Der Besitzer Charly Duke reagiert gelangweilt, Bardame Angel und Pianist Jeff wirken ebenfalls nicht gerade euphorisch. Da tritt Harry Belafonte durch die Tür.
Aufmerksam hört er Steve zu. Als er sich ebenfalls als Sänger zu erkennen gibt und „Try to remember" anstimmt, erkennt Duke, wer da vor ihm steht. Die Freude über den berühmten Gast ist groß. Beim Gespräch an der Bar erzählt Harry aus seinem Leben, das von der Leidenschaft für die Musik und in ebensolchem Maße auch von seinem leidenschaftlichen Einsatz für die Menschenrechte geprägt ist.
Die gesamte Aufführung spielt in diesem Café. Einige halbrunde, flexible Elemente in Holzoptik werden abwechselnd zur Theke, zu Sitzgelegenheiten oder symbolisieren als visuelle Untermalung der Songinhalte Wellen und Boote. Auf einer Leinwand hinter der Theke flimmern Fotos des echten Harry Belafonte, Ausschnitte aus seinen Filmen oder Aufzeichnungen historischer Ereignisse. Teils humorvoll, oft beklemmend und immer szenisch passend werden die Bilder zum Teil der Handlung. Rückblenden werden durch einen Countdown der Jahreszahlen einfach aber wirkungsvoll dargestellt. Der Effekt wird zwar durch ständige Wiederholung abgeschwächt, aber Birgit Simmler, die auch Regie führt, und Gerhard Reihl nutzen die naturgemäß begrenzten technischen Möglichkeiten einer fast täglich den Standort wechselnden Tourproduktion sehr gut aus.
Der Musikalische Leiter, Thomas E. Killinger, sitzt als Pianist Jeff am Keyboard. Die Baratmosphäre mit Livemusik und Livegesang wird so höchst lebendig vermittelt. Ergänzende Orchesterarrangements werden eingespielt und fügen sich sauber und tontechnisch einwandfrei ins Klangbild ein. Der Schwerpunkt liegt auf Belafontes eigenen Songs, auf den karibischen Klängen der Calypso-Musik, mit der er bekannt wurde, auf Swing und Bluesballaden. Auch Lieder der Protestbewegung, patriotische Stücke wie „America the Beautiful" oder spirituelle Lieder wie „Sometimes I feel like a motherless Child" werden in den Plot gelungen eingebaut und von der gesamten Darstellerriege gesanglich wunderbar interpretiert.
Ron Williams' Charisma und seine grandiose Stimme tragen mühelos die gesamte Aufführung. Sein Schauspiel wirkt nicht wie eine Bühnendarbietung, sondern stellt den Künstler Harry Belafonte so real dar, dass beide Charaktere für den Zuschauer zu einer Einheit werden. Egal, ob er im fröhlichen „Island in the Sun" von den Kinderjahren auf Jamaika erzählt, oder sich mit „Jamaika Farewell" an den Abschied von seiner ersten Liebe erinnert: Ron Williams berührt mit samtweichem Timbre. In der Rückblende zur ersten Begegnung mit seiner späteren Ehefrau gibt Williams höchst überzeugend den verlegenen Verliebten. Zurück im Hier und Jetzt beschreibt er dann sehr ernst, wie er die rassistischen Anfeindungen, denen Belafonte sich in seiner Rolle im damals heftig umstrittenen Film „Island in the Sun" ausgesetzt sah, in seinem Leben tatsächlich durchleben musste, als er sich in eine Weiße verliebte. „Wir bekamen Morddrohungen" ergänzt Daniela Kiefer als Julie Robinson-Belafonte. Diese Aussage schockiert umso mehr, weil sie völlig ruhig vorgebracht wird, als Tatsache, nicht als Anklage. Belafontes offenes Eintreten gegen Rassendiskriminierung bringt ihn während der McCarthy-Ära vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und beendet zunächst seine Schauspielkarriere. Hinterlegt mit Videomaterial aus der damaligen Zeit wirkt die Szenerie beklemmend echt und Ron Williams überzeugt mit eindringlicher Darstellung. In höchstem Maße ergreifend auch die Szene, als er Reverend Kyles berühmten, auf die Ermordung von Martin Luther King bezogenen Satz „You can kill the Dreamer, but you can't kill the Dream" zitiert.
Daniela Kiefer liefert als Belafontes Ehefrau eine gelungene Vorstellung ab. Stimmlich beeindruckt sie mit schönem Mezzosopran, der sowohl in den Soloparts, als auch in den Harmoniegesängen und im Duett „ The first Time I ever saw your Face" mit Williams aufhorchen lässt. Maureen Wyse als Angel klingt in den leisen Passagen sehr anmutig, bei den lauteren Tönen verliert sie etwas an Stimmvolumen. Darstellerisch bringt sie den Charakter der äußerlich ruppigen, eigentlich aber empfindsamen und mit Problemen kämpfenden Frau sehr gut auf den Punkt. Karsten Kenzel überzieht regiebedingt in der Darstellung des hippen Rappers, so dass seine Figur stellenweise fast wie eine Karikatur wirkt. Seine schöne, klare Stimme kommt bei „We shall overcome" besonders gut zur Geltung, wenn er sich zur Überraschung der Übrigen in die in seinen Augen ja eigentlich antiquierte Musik voller Hingabe einklinkt.
Die Parallelen zwischen Steves heutigen Problemen als weißer Jugendlicher aus Süd-Harlem und den Anfeindungen, denen Harry Belafonte in den 1950er Jahren ausgesetzt war, werden so ohne Worte thematisiert. Auch wird so verdeutlicht, dass Belafontes politisches und humanitäres Engagement zwar mit dem Kampf gegen die Rassentrennung in den USA begann, sich aber im Lauf seines Lebens auf vielerlei Bereiche ausweitete. Im Stück erzählen Harry und Julie auch von wichtigen Weggefährten, wie beispielsweise Martin Luther King oder Sir Sidney Poitier. In diesem Zusammenhang sei auch das sehr informative Programmheft erwähnt, das gut veranschaulicht, dass die „Harry Belafonte Story" keine erfundene Geschichte ist, sondern die höchst authentisch dargestellte Realität des großen Entertainers. Neben vollständigen Informationen zur Handlung, zu den Liedern, Darstellern und Kreativen werden politische Begriffe wie beispielsweise die Jim-Crow-Gesetze umrissen und die Personen vorgestellt, die während der Handlung in Harry Belafontes Erinnerung lebendig werden.
Als Kontrast zu den ernsten Momenten setzt die Regie humorvolle Szenen, wie beispielsweise die Beschreibung des chaotisch-bunten Ehealltags der Belafontes, dargestellt mit dem Kinderlied „There's a Hole in the Bucket" als parodistisches Streit-Duett zwischen Harry und Julie. Beim „Banana Boat Song" treten Steve, Duke und Angel als Muppets auf, eine Reminiszenz an Belafontes Auftritt in der Puppen-Show im Jahr 1978. Diese Auflockerung tut gut, denn vor allem gegen Ende wirkt der Inhalt doch etwas überfrachtet, als auch noch der Vietnam- und der Irakkrieg thematisiert werden. Den bewegenden Schlusspunkt setzt „We are the World", komponiert von Michael Jackson und Lionel Richie, für die von Belafonte initiierte Organisation „USA for Africa".
Stellenweise zieht sich die „Harry Belafonte Story" der Kempf Theatergastspiele trotz der hervorragenden Liedauswahl und der gelungenen Umsetzung doch etwas in die Länge. Mit einigen Straffungen könnte man deutlich mehr Schwung erzeugen, ohne dass die Botschaft an Intensität verlieren würde. Aber ungeachtet dessen ist alleine schon der großartige Ron Williams den Besuch mehr als wert. Eine Stimme, die nachhallt. Genauso, wie der Ruf nach Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit für alle Menschen.
Text: Sylke Wohlschiess