Zauberhaft:
Rezension "Schikaneder" in Wien
Er führte ein Leben am Theater und fürs Theater. Er war Schauspieler und Sänger, Regisseur und Theaterdirektor. Seine Inszenierungen waren revolutionär, mit spektakulären Bühnenbildern und Effekten. Heute ist der Librettist von Mozarts „Zauberflöte“ den meisten kaum noch bekannt, dabei war Emanuel Schikaneder eine schillernde Persönlichkeit, sein privates Auf und Ab fast noch turbulenter als die Komödien und Tragödien auf der Bühne. Ohne seinen Enthusiasmus und seinen Wagemut wäre Mozarts letzte Oper womöglich niemals aufgeführt worden.
Von dieser Geschichte hinter der Geschichte handelt das Musical "Schikaneder", das die Vereinigten Bühnen Wien als Uraufführung seit September 2016 am Raimund Theater zeigen. Das Buch stammt vom Wiener Intendanten Christian Struppeck, Musik und Liedtexte von Oscarpreisträger Stephen Schwartz und die deutsche Fassung von Michael Kunze.
Das Geschehen nimmt seinen Ausgangspunkt im Theater auf der Wieden, im Jahr 1789: Eleonore Schikaneder steht vor dem Aus. Nach dem Tod ihres Partners Johann Friedel darf sie als Frau das gemeinsame Theater nicht alleine weiterführen. Ein Übernahmeangebot der Konkurrenz schlägt sie aus. Sie fühlt sich an ihr Versprechen Johann gegenüber gebunden, niemals das Theater zu verkaufen. Ebenso kategorisch lehnt sie eine Zusammenarbeit mit ihrem Ex-Gatten ab, der sie durch seine ständigen Affären so lange gedemütigt hat, bis sie ihn schließlich verließ. Damit ihre Angestellten diese Entscheidung verstehen, beginnt Eleonore zu erzählen. Zeitgleich dreht sich das Bühnenbild vom Backstagebereich ihres Theaters direkt zur Probe einer anderen Theatergruppe, 14 Jahre zuvor.
Regisseur Trevor Nunn setzt diese Verzahnung von Handlung und Bühnenbild im Verlauf des Stücks mehrmals so gekonnt ein, dass immer wieder ein Sog entsteht, der das Publikum förmlich mitzieht in die jeweilige Zeitebene der Geschichte. Bühnen- und Kostümdesigner Anthony Ward wählt als zentrales Element die Hinterbühne eines Theaters der damaligen Zeit. Der Schnürboden ist Teil einer großen Holzkonstruktion, Seile sind zu sehen, die die verschiedenen Bühnenprospekte bewegen. Eingerollte und halb aufgezogene Stoffbahnen hängen bei der Ballettprobe im Hintergrund. Paul Pyants ausgeklügeltes Lichtdesign hüllt die Szenerie in diffuses Licht, das tatsächlich nur von den Kronleuchtern und die zahlreichen kleinen Kerzenhaltern an den Wänden auszugehen scheint.
Für die Aufführung der Zauberflöte, das große Finale des Musicals, dreht sich das Bild nur zur Hälfte, so ergibt sich ein zweigeteilter Blick vor und hinter die Kulissen. Zeitungsseiten an der Wand beim Erscheinen der Theaterstars Eleonore und Emanuel vor den wartenden Fans oder die reichlich verwüstete Wohnung nach heftigen Ehekrach im Hause Schikaneder schaffen eine zusätzliche visuelle Anbindung. Ein besonderer Augenschmaus sind die detailreichen, zeitgemäßen Kostüme, insbesondere Eleonores prächtiges Hochzeitskleid und auch die fantasievollen Gewänder in den Theaterszenen. Dies alles bildet den optimalen Rahmen für die durchweg grandiose Cast.
Mit einprägsamer Betonung und Stimme lässt Reinwald Kranner in der Rolle des Schikaneder-Konkurrenten Karl Marinelli sofort aufhorchen. Franziska Schuster gefällt als Eleonores treue Freundin Barbara Gerl ebenso, wie Stefan Poslovski als Emanuels Freund Benedikt Schack. Fernand Delosch blickt als Priester beim langen Hochzeitskuss der Schikaneders gespielt verlegen zur Seite und erntet für seine gelungene Mimik so manchen Lacher. Jon Geoffrey Goldsworthy gibt sehr authentisch den gestrengen Beamten, Ulrich Talle ebenso überzeugend den leicht exaltierten Ballettmeister. Das gesamte Ensemble agiert auf sehr hohem gesanglichen und schauspielerischen Niveau.
In zwei ganz unterschiedlichen Parts brilliert Hardy Rudolz. Als Franz Moser singt er mit eindrucksvollem Bariton die ergreifende Ballade "Ohne sie", die in Moll und melancholischen Worten von der tiefen Liebe zu seiner verstorbenen Frau erzählt. Seine komödiantische Seite zeigt Rudolz dann als Josef von Bauernfeld. Bevor er es so richtig mitbekommt, lässt sich der sympathische, ein wenig tölpelhafte Geldgeber der Schikaneders zu weiteren Zahlungen überreden, dabei wollte er doch eigentlich die Schulden eintreiben. Aber die Leidenschaft für das Projekt Zauberflöte lässt Eleonore und Emanuel zu Hochform auflaufen – ihren Überredungskünsten kann so leicht keiner widerstehen.
In der Titelrolle zeichnet Mark Seibert mit großen Gesten und großer Stimme ein rundum glaubhaftes Bild des ebenso leichtsinnigen wie charismatischen Theatermannes Schikaneder, der zwar seinen Vornamen lautmalerisch dem seiner Gattin angleicht und von Joseph Johann zu Emanuel wird, der es aber mit der Treue auch nach der Hochzeit nicht allzu genau nimmt. Dabei strahlt er eine derart anziehende Unbekümmertheit und Sorglosigkeit aus, dass man fast versteht, warum Eleonore seine Eskapaden so lange duldet. Für Emanuel ist völlig selbstverständlich, dass ihm alles verziehen wird, schließlich sind all' seine Affären ja "nicht wichtig".
So bleibt er fassungslos zurück, als Eleonore ihn schließlich doch verlässt. Macho der er ist, kann er dies natürlich nicht zugeben. "So viele Fische im Meer" besingt Mark Seibert mit locker-fröhlichem Ausdruck und spielt mit umwerfender komödiantischer Theatralik den Untergang und das Zu-Kreuze-Kriechen der Eleonore Schikaneder, so, wie es sich Emanuel ausmalt. Die erneute Zusammenarbeit ist dann "rein geschäftlich". Eleonore darf ihr Theater nur mit einem Mann an ihrer Seite behalten, Schikaneder braucht Eleonore als Zugpferd für seine Stücke. Nach einem heftigen Streit, herrlich überzogen gespielt von Seibert und Marle Martens als seine Ex-und-Wieder-Frau Eleonore, findet man durch die gemeinsamen großen Träume wieder zueinander.
Auch seine einzige durchweg ernste Szene spielt Mark Seibert mit großem Einfühlungsvermögen: Der abgeschmetterte Konkurrent Marinelli hat die Behörden auf den Plan gerufen, weil in Schikaneders neuem Stück mehr Kerzen brennen als erlaubt. Die Strafe kann Emanuel Schikaneder nicht bezahlen. Kurz vor der Premiere der neuen Oper scheint das endgültige Aus gekommen. Das Ensemble und auch Eleonore verlassen das Theater, Schikaneder bleibt allein auf der leeren Bühne zurück. "Letzter Vorhang" ist eine zurückhaltend orchestrierte Ballade, deren tiefe Traurigkeit Mark Seibert mit fast filigraner Stimme zum Ausdruck bringt.
Die folgenden Szenen leiden unter der sehr schnellen Abfolge: Eleonore will Emanuel das wertvolle Collier bringen, das Johann Friedel ihr geschenkt hat, damit er damit die Strafe bezahlen kann. Sie erwischt ihn in inniger Umarmung mit seiner ehemaligen Geliebten, will nun endgültig mit ihm brechen, wird aber von Anna Maria daran gehindert, die ihr erklärt, dass die Affäre beendet sei und es ihr nunmehr nur noch darum gehe, ihren Sohn versorgt zu wissen. Vor dem fulminanten Finale wird die Geschichte ein wenig hektisch, fast so, als müsse man jetzt schnell zum Schluss kommen. Im ersten Akt offenbart sich Eleonores Zuneigung zu Johann Friedel zwar ebenfalls recht plötzlich, aber die Gründe für die Kehrtwende werden im Vorfeld deutlich entwickelt.
Der junge Autor und Schauspieler Johann Friedel ist das genaue Gegenteil von Schikaneder: Zurückhaltend, zaghaft, auf Sicherheit bedacht. Er himmelt Eleonore geradezu an, würde alles für sie tun. Tenor Florian Peters ist eine wunderbare Wahl für diese Rolle. Gleichermaßen schlüssig spielt er zuerst die geradezu fanatische Anbetung "seiner" Eleonore aus der Ferne, dann die schüchterne, freundschaftliche Annäherung an die Kollegin und schließlich den selbstlosen Lebensgefährten, der sehr wohl spürt, dass Eleonore nicht gerade in wilder Leidenschaft entbrennt, sondern in seinen Armen Geborgenheit und Sicherheit zu finden hofft. Seine schöne Klangfarbe kommt im Duett mit Marle Martens ebenso gut zu Geltung wie in der Sterbeszene, als seine Stimme leise wie ein Windhauch verklingt.
Zwischen diesen völlig unterschiedlichen Männern interpretiert Marle Martens mit variablem Spiel und sicher geführter Stimme sehr gut jede Lebensphase der Eleonore Schikaneder. Sprühend vor jugendlichem Überschwang beeindruckt sie als Neuling in Mosers Schauspieltruppe nicht nur den Chef. Auch Schikaneder findet in ihr endlich jemanden, der seine hochfliegenden Pläne versteht. Bedingt durch die Zeitsprünge sind schnelle Wechsel von der verliebten jungen Frau zur resignierten Ehegattin nötig, die Marle Martens elegant und auch stimmlich sicher meistert. Der musikalische Spannungsbogen im Solo "Wegzusehn" geht einher mit einem Text, der mit schnörkellos perfekten Worten Eleonores immer verzweifeltere emotionale Situation verdeutlicht: "Du lernst allmählich wegzusehen" über das Wegsehen aus Vorsicht bis hin zu "du zwingst dich wegzusehen". Marle Martens gibt dieser intelligenten und für damalige Verhältnisse ungewöhnlich emanzipierten Frau eine wunderbare charakterliche Prägung: stark, aber nicht hart, selbstsicher aber nicht rücksichtslos und hingebungsvoll, aber nicht auf Dauer duldsam.
Auffälliger könnte der Kontrast zwischen ihr und Maria Anna kaum sein. Sopranistin Katie Hall spielt und singt Schikaneders schrill-einfältige Geliebte mit ausladenden Gesten, unschuldig aufgerissenen Augen und perlenden Koloraturen, die ebenso wie einige Parts von Katja Reichert als stimmstarke Josepha Hofer Motive aus Mozarts Zauberflöte aufgreifen.
Man muss weder Opernkenner noch Opernfreund sein, um das "Papapapa" des Vogelfängers und die Koloraturen der Königin der Nacht zu erkennen. Erstaunlich, wie sich diese Anleihen aus der Oper mit "operettigen" und musicaltypischen Elementen zu einer stimmigen musikalischen Einheit verbinden. Komponist Stephen Schwartz und Orchestrator David Cullen haben eine großartige, sehr abwechslungsreiche und interessante Partitur erschaffen. Immer wieder werden moderne Gesangslinien ungewöhnlich orchestriert, beispielsweise in "Träum groß" oder in "Liebe siegt": Anfangs singt Mark Seibert mit sanfter Stimme, untermalt von Cembalo-Klängen. Marle Martens setzt mit deutlich klassischer Prägung ein, es ergibt sich eine ganz besondere Harmonie, die in Verbindung mit der traumhaft schönen Melodieführung, den wunderbaren Chorsätzen und den vollen Streicherklängen den Raum auf eine wirklich außergewöhnliche Art und Weise mit Musik füllt. Die 32 Musiker des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien unter Musikalischer Leitung von Koen Schoots, der gemeinsam mit Stephen Schwartz auch die Gesangsstimmen arrangiert hat, begeistern mit einer selten gewordenen Klangfülle.
"Schikaneder" mag für manchen Musicalbesucher zu viel Oper, für typische Operngänger viel zu viel Musical sein. Dabei muss man inhaltlich und musikalisch gelungenes Musiktheater wie "Schikaneder" doch eigentlich gar nicht in eine Schublade einordnen – man kann es einfach genießen.
Text: Sylke Wohlschiess
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Darstellerprofil Milica Jovanović (Erstbesetzung Eleonore Schikaneder)