Beste Unterhaltung:
Rezension „Kiss me, Kate“ in Stuttgart
An sich eine unmissverständliche Aufforderung: „Kiss me, Kate". Das Käthchen jedoch ist wie gewohnt widerspenstig bis zum Schluss, dann erst darf sich das Publikum im Alten Schauspielhaus in Stuttgart über das Happy-End freuen.
Schon beim Betreten des Theaters fühlt sich der Besucher ins Ford Theatre versetzt. Ein Vorhang kündigt ‚The Taming of the Shrew' mit Lilli Vanessi als Katharina unter der Regie von Fred Graham an, dessen Konterfei verblüffend gut karikiert und als Hauptdarsteller Adrian Becker erkennbar ist. Auch der unvermeidliche Hinweis auf das Fotografierverbot ist ganz auf Baltimore abgestimmt. So wird das Stuttgarter Publikum gleichsam Teil des Stücks im Stück, was in diesem kleinen, fast intimen Theatersaal hervorragend funktioniert.
In der musikalischen Komödie von Samuel und Bella Spewack mit der Musik und den Liedtexten von Cole Porter, führt Fred Grahams Theatergruppe „Der Widerspenstigen Zähmung" auf. Fred übernimmt selbst die Hauptrolle und gibt den Petruchio. Außerdem hat er sowohl Exfrau Lilli als renitentes Käthchen, als auch seine aktuelle Flamme Lois Lane als deren brave Schwester Bianca engagiert. Obwohl inzwischen anderweitig liiert, scheinen da noch Gefühle zu sein.
Warum sonst sollte Lilli sich derart echauffieren, dass sie fast die Premiere sprengt, als sie merkt, dass Freds Blumen gar nicht für sie selbst, sondern für Lois bestimmt waren. Der von Shakespeare vorgeschriebene Wutausbruch reicht da bei weitem nicht aus und dass zudem zwei Ganoven auftauchen, die einen angeblich von Fred unterzeichneten Schuldschein eintreiben wollen, macht die Sache nicht einfacher.
Regisseur Ulf Dietrich schafft das Kunststück, dieses immerhin 64 Jahre alte Stück komplett zu entstauben, ohne es krampfhaft modernisieren zu wollen. Gut herausgearbeitet sind der gewaltige Wortwitz und der teils beissende Sarkasmus der Dialoge, die Musiknummern fügen sich nahtlos ein. Die Verschmelzung von Rahmenhandlung und aufgeführtem Stück gelingt einwandfrei, nicht zuletzt dank der grandiosen Hauptdarsteller. Adrian Becker als Fred Graham/Petruchio und Antje Rietz als Lilli Vanessi/Katharina agieren sowohl gesanglich als auch schauspielerisch auf hohem Niveau und liefern sich in den gemeinsamen Szenen durchaus nicht nur sprachliche Zweikämpfe.
In der Anfangsszene, der Applausprobe, gibt Antje Rietz eine wunderbar affektierte Diva mit Starallüren und entsprechend hochnäsigem, gelangweiltem Gehabe. Mit ihrem Wutausbruch bei „Kampf dem Mann" gelingt Rietz die parallele Darstellung beider Charaktere: Lilli, die ihre reale Wut auf Fred mit auf die Bühne nimmt und sich dadurch als Katharina ein herrlich überzogenes Gefecht mit Petruchio liefert, inklusive Blumentopf-Wurfgeschossen vom Balkon und wildem Kreischen. Ihre Mimik, oft nur das Heben einer Augenbraue oder ein verdrehter Blick, untermalt sehr bildhaft den einwandfreien Gesang. Das Zusammenspiel zwischen Rietz und Becker ist perfekt aufeinander abgestimmt. Als Fred in seiner Garderobe in ziemlich subjektiv gefärbten Erinnerungen an vergangene große Rollen schwelgt, holt Lilli ihn mit „Wir sangen beide im Chor" gnadenlos in die Realität zurück. Dennoch kommt man sich näher – und im Duett „Wunderbar" verschmelzen beide Stimmen zu klangschönen Harmonien.
Adrian Becker überzeugt ebenfalls auf ganzer Linie in seiner Doppelrolle. Herrlich, wie er als Petruchio immer wieder gekonnt aus der Rolle fällt, gleichzeitig improvisiert und ein entschuldigend-verlegenes Grinsen ins Publikum schickt, wenn seine wütende Exfrau gar nicht daran denkt, als Katharina die geforderten Stichworte zu geben, sondern ihre Wut auf ihn derart auslebt, dass nur ein verfrühter Vorhang die Vorstellung rettet. Komödiantisches Talent beweist er in der Szene mit dem ebenfalls fantastisch spielenden Armin Schlagwein als Lillis neuem Partner, dem reichen Harrison Howell. So bildhaft persifliert er als Fred das Leben und die Langeweile als reiche Lady mit sich täglich wiederholenden eintönigen Tagesabläufen, dass sogar Howell selbst dabei einschläft. Als Petruchio macht Becker im engen rot-schwarzen Wams und Federhut auch optisch eine hervorragende Figur. Sein sonorer, warmer Bariton überzeugt in den humorvollen Partien und berührt ganz besonders bei der Reprise von „Ich bin dein für alle Zeit", seinem aufrichtigen Bekenntnis zu Lilli.
Maja Sikora als Lois Lane / Bianca mimt das naive Blondchen, das ihre Attraktivität ausnutzt, um sich möglichst gut betuchte Männer zu angeln, schauspielerisch überzeugend, stimmlich hätte man sich etwas mehr Power gewünscht, was auch für William Danne als Lois' Freund Bill Calhoun gilt, der vor allem im Vergleich zu den sehr schönen Gesangsparts von André Naujoks als Gremio und Sebastian Römer als Hortensio etwas blass bleibt. Die perfekte Besetzung ist Axel Weidemann als Ankleider Paul. Im chaotischen Ablauf der Premiere steht er in seinen karierten Hosen immer wieder zwischen den kostümierten Mimen vor dem Vorhang, statt dahinter. Unschlagbar, wie er jedes Mal peinlich berührt möglichst elegant von der Bühne zu verschwinden sucht.
Als zwielichtig-schmierige aber irgendwie dennoch sympathische Ganoven agieren Michael Gaedt und Michael Schulig, die in der Region aus der „Kleinen Tierschau" bekannt sind. Wenn die beiden recht unbeholfen in Freds Garderobe klettern und später Lilli mit gezogenen Pistolen davon überzeugen, die Vorstellung trotz ihrer Wut auf Fred zu Ende zu spielen – schließlich braucht er die Einnahmen, um den gefälschten Schuldschein auszulösen – wirkt das durchaus überzeugend. Ein bisschen mehr Boshaftigkeit hätte den Charakteren mehr Profil verliehen. Bei „Schlag nach bei Shakespeare" punkten beide auch gesanglich, und die Choreographie nutzt den Größenunterschied der Darsteller für amüsante Bewegungsabläufe.
Generell ist die Choreographie von Alexander Grünwald gelungen. Für „Kiss me, Kate" hat er ideal zur Insenzierung passende, zeitlos-flotte Tanzszenen kreiert. Ohne unnötig komplizierte Schrittfolgen, aber mit effektvollen Bewegungen werden diese vom Ensemble sehr synchron und mit großer Leichtigkeit umgesetzt. Ebenfalls sehr effektvoll ist das Bühnenbild von Beate Zoff. Der Backstage-Bereich wird mit Leitern, nummerierten Türen, „Exit"- und „Stage Right"-Schriftzügen sowie dem rot leuchtenden „Quiet"-Schild dargestellt. Dieser Bereich dreht jeweils zur Hälfte seitlich weg und eröffnet dann den Blick auf die nebeneinander liegenden Garderoben von Fred und Lilli, die mit vielen Details wie Bildern, Perücken und Kleidungsstücken sehr liebevoll ausgestattet sind.
Sehr gut gelöst sind auch die Kulissen für die Shakespeare-Szenen: Ein Vorhang mit Strichzeichnungen und geschickt angebrachten Requisiten wie Lampe oder Balkonkasten vermittelt in Kombination mit pfiffigen Durchlässen räumliche Tiefe. Schade nur, dass der Musikalische Leiter Christoph Wohlleben nicht mit einem Liveorchester arbeiten kann, sondern die Musik als Playback eingespielt wird. Mit Livemusikern wäre der direkte, unverschnörkelte Charakter dieser Inszenierung sicher noch besser zur Geltung gekommen. Aber auch so wird man bei dieser musikalischen Komödie bestens unterhalten.
Text: Sylke Wohlschiess
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