Hormone hoch vier:
Rezension „Heiße Zeiten" in Stuttgart
Der Flug nach New York hat Verspätung, am Gate kommen vier Damen ins Gespräch. Vom Typus her alle ganz unterschiedlich, eint sie doch eines: Sie befinden sich mitten in oder kurz vor den Wechseljahren. Dass Harndrang, Hormonstörungen und Hitzewallungen am besten mit viel Humor Paroli geboten werden sollte, weiß man(n) und vor allem Frau, wenn die „Heißen Zeiten" durchlacht sind. In Kooperation mit der Konzertdirektion Landgraf zeigen die Schauspielbühnen in Stuttgart Katja Wolffs Inszenierung von Tilmann von Blombergs „musikalischem Hormonical".
Als Ort des Geschehens passt die Flughafen-Szenerie perfekt: ein Ort, an dem kurze, oberflächliche Begegnungen stattfinden. Wenig Tiefgang aber viel Tempo zeichnet dann vor allem auch den ersten Akt aus. Erst mit fortschreitender Verzögerung des Abflugs kratzen die Damen gegenseitig an der Fassade und es entsteht die Art Vertrautheit, die sich aus gemeinsam zu ertragenden Ärgernissen ergibt. Eine wirkliche Handlung darf man jedoch nicht erwarten. „Heiße Zeiten" reiht ganz einfach ein Wechseljahre-Thema ans nächste und lässt dabei kein, aber auch wirklich gar kein Klischee aus. Da kann jeder mitfühlen und mitlachen.
Auch die durchweg bekannten Melodien, denen Bärbel Arenz völlig neue Inhalte getextet hat, sorgen schnell für Stimmung. So wird aus Roy Orbisons „Pretty Woman" von 1964 schnell mal ein „Busy Woman". Tony Christie ist nicht auf dem Weg nach Amarillo, genauso wenig wie Sonny und Cher ihr Babe haben. In neuem Kontext heißt es vielmehr „Ich freu mich auf die Wechseljahre" oder „Ich hab's vergessen". Angereichert wird der musikalische Cocktail mit Eigenkompositionen von Bärbel Arenz und Carsten Gerlitz, der auch für die Arrangements und die Musikalische Einstudierung verantwortlich zeichnet. Schade, dass aufgrund der räumlichen Gegebenheiten in der Komödie im Marquart nur die Tourversion ohne Orchester gezeigt werden kann. Der Ton ist zwar einwandfrei, aber das Zusammenspiel zwischen Musikern und Darstellerinnen, das gerade bei „Heiße Zeiten" oftmals für zusätzlichen Witz sorgt, entfällt dadurch natürlich.
Perfekt dagegen die sehr schön typisierenden Kostüme, die Heike Seidler entworfen hat und das Bühnenbild von Susanne Füller: grellorange, fest miteinander verbundene Plastikstühle lassen sofort die bekannt nüchterne Flughafenatmosphäre aufkommen. Auch der Zeitungsständer und der ebenfalls grellorange Papierkorb fehlen nicht. Der New-York-Flug der vier Damen rückt auf der Abflugtafel Zeile für Zeile nach oben, und bleibt dann mit dem Zusatz „verspätet" dort stehen. Ab und zu flimmert auf der LED-Anzeige aber auch der Text einer SMS an den Geliebten, die nicht verschickt werden konnte, oder „Dietrich" – der Name des letzten One-Night-Stands, den die Männer verschlingende Karrierefrau dann auch gerne mal versehentlich Dieter, Dietmar oder Detlef nennt. Lautsprecherdurchsagen mit perfekt blechernem Hall schaffen kleine künstliche Pausen, die vier Damen verharren regungslos, während Werbung für Potenzpillen oder Einlagen zu hören ist.
Mit verrutschter selbiger hat Eva Brunner als biedere Hausfrau vor ihrem ersten Flug zu kämpfen. Vom verschämten Zurechtzupfen steigert sich der Versuch, die Sache in Ordnung zu bringen, in groteske Verrenkungen, die – regiebedingt - vielleicht etwas zu viel des Guten sind. Klasse dagegen der herrlich überdrehte Tanzstil und dazu auch Brunners rockige, volle Stimme. Dagmar Hurtak-Beckmann überzeugt als mannstolle Karrierefrau mit zynischem Gehabe, stilgerecht in schwarzem Kostüm und weißer Bluse, die sofort zur Wirtschaftswoche greift, auf zwei Handys gleichzeitig telefoniert und dabei schon mal den Lover mit dem Geschäftspartner verwechselt. Als vornehme Dame – selbstverständlich in Chanel gekleidet - lässt Michaela Hanser zwar in den höheren Lagen etwas Stimmvolumen vermissen, bei den tieferen Tönen klingt ihre Stimme dagegen fast chansonesk und sehr charaktervoll. Auch ihre Mimik ist unschlagbar: Pikiert hebt sie die Augenbrauen, hochnäsig rümpft sie die Nase angesichts der Mitreisenden, die offensichtlich so gar nicht ihrem Niveau entsprechen. Erst mit „Ich bleib sein Kind" – im Original „All by myself" von Eric Carmen - erlaubt sie einen Blick hinter die Fassade. Einer der wenigen ruhigen, melancholischen Momente und sicher auch einer der gesanglichen Höhepunkte.
Ebenfalls stimmlich top, gefällt Nicole Rößler als die junge Anfangsvierzigerin im geblümten Sommerkleid, die kurz vor knapp noch ein Kind bekommen und deshalb ohne Wissen ihres zeugungsunfähigen Verlobten in einer New Yorker Klinik eine In-vitro-Fertilisation vornehmen lassen möchte. Auf den fragenden Blick der Hausfrau wird der Fachbegriff dann auch gleich übersetzt: „künstliche Befruchtung. Mensch, Eier im Glas". Auch Wortspiele wie „Dein Verlobter kämpft um Dich, mein Mann kämpft nur mit der Spülmaschine" sorgen immer wieder für Lachsalven im Publikum.
Besonders gut gelingt den vier Darstellerinnen auch der Harmoniegesang beim Doo-Wop-Song „Rama Lama Ding Dong" alias „Telefon Ding Dong". Unglaublich komisch, wie die vier aus ganz unterschiedlichen Gründen regelrecht hysterisch in ihre Handys kreischen – egal, ob es um vermisste Unterlagen, angebrannte Hackfleischsoße oder den aus dem Altersheim ausgebüxten Vater geht. Die Regie lässt aus den vier Telefonaten ein Auf und Ab an Gesprächsfetzen unterschiedlicher Lautstärke entstehen, aus denen knapp zeitversetzt immer wieder einzelne, bei allen Damen gleichen Worte deutlich herauszuhören sind – eine äußerst gelungene Umsetzung. Ob man dagegen wirklich bis an die Grenzen des guten Geschmacks überziehen muss, wenn vier Damen ziemlich zweideutig Eis lutschen, sei dahingestellt. Diese sehr in die Länge gezogene Szene rutscht von lustig doch sehr ins Abgeschmackte ab.
„Heiße Zeiten" wartet mit einem Feuerwerk an Gags, viel (Selbst-)Ironie und mitreißenden Songs auf. Dagmar Hurtak-Beckmann, Michaela Hanser, Eva Brunner und Nicole Rößler sprühen geradezu vor Spielfreude und reißen das Publikum von Anfang bis Ende mit. Echt heiß, die vier. Und die unvermeidliche Zeit der Wechseljahre erscheint plötzlich auch der skeptischsten Dame um die 50 gar nicht mehr so schlimm.
Text: Sylke Wohlschiess