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Zeitreise in die 1950er:
Rezension „Blue Jeans" in Stuttgart

Aus den rebellischen Teenies der 1950er Jahre sind Großeltern geworden, doch der Liebe zu Blue Jeans tut das keinen Abbruch. Wobei inzwischen weniger das heute salonfähige Kleidungsstück als die spritzige Inszenierung dieser musikalischen 50er-Jahre-Revue von Jürg Burth und Ulf Dietrich im Alten Schauspielhaus Stuttgart für Begeisterung bei Jung und Alt sorgt.

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Frank, Sohn des Baustadtrates Karsuntke und seiner Ehefrau Hannelore, soll Lisa, Tochter des Unternehmerehepaares Neumann zum Altar führen. Jedenfalls ist das Wunsch und Wille der ehrgeizigen Väter, die sich nur zu gerne an den offensichtlichen Vorteilen einer solch standesgemäßen Verbindung erfreuen möchten. Der Plan scheint perfekt – bis der blau behoste Automechaniker Tom der hübschen Lisa den Kopf verdreht. Und dann weicht auch noch Frank vom Pfad der Tugend ab.

„Blue Jeans" ist weniger ein Musical als vielmehr auch laut Programmheft ein Unterhaltungsstück mit Musik. Insofern stört es nicht weiter, dass die Handlung flach bleibt und in der Hauptsache den Rahmen für ein wahres Feuerwerk an Gassenhauern aus jenen Tagen bildet. Von alten Schlagern wie „Geh'n Sie mit der Konjunktur" über die „Capri-Fischer", das „Traumboot der Liebe" und „Mit 17 hat man noch Träume" bis zu Rock'n'Roll-Nummern wie „Shout" und „Rock around the Clock" wird keine Stilrichtung vergessen.

bluejeans03Von der Musik und von unzähligen, mit viel Selbstironie eingebrachten Klischees über die Deutschen lebt das Stück. Da fehlen weder Eisbombe und Eierlikör noch Lockenwickler und Babydoll-Schlafanzug. Ob man allerdings minutenlang ausdehnen muss, wie am Urlaubsziel - selbstverständlich Italien - unter militärischer Anleitung von Kaufhausbesitzer Neumann alle Familienmitglieder ein Zelt exakt ausrichten, bleibt fraglich . Auch der anschließende Auftritt einer italienischen Diva und eine Bestechungsszene, bei der die Herren Neumann und Karsuntke völlig unverständlicherweise plötzlich Pistolen aus ihren 50er-Jahre-Aktentaschen ziehen, verzögern im ersten Akt unnötig die von Ulf Dietrich eigentlich flott und sehr temporeich inszenierte Zeitreise, die zudem durch Dietmar Teßmanns Bühnenbild und Barbara Kesslers Kostüme ideal visualisiert wird.

Dies geschieht ganz ohne viel technischen Aufwand: Ein kleines Schiebeelement fährt Nierentisch, Tütenlampe und Sofa herein, fertig ist Neumanns Wohnzimmer, bei dem auch das Kissen mit exakter Mittelfalte nicht fehlt. Eine gekonnt skiziierte Hauswand schafft zusammen mit einer Gartenbank einen ebenso perfekten Außenschauplatz, wie drei Bäume, die auf schmalen Leinwandbahnen den Campingplatz symbolisieren.

bluejeans01Grandios der Einfall, die Band auf einem Podest das wie ein überdimensionaler Nierentisch gestaltet ist, direkt auf der Bühne zu positionieren. Ist die durchweg fantastisch auf den Punkt spielende Band nur musikalischer Begleiter, verschwindet sie hinter einem weißen Vorhang. Spielt die Handlung jedoch in einem „Musikschuppen", so fehlt der Vorhang und die Musiker fügen sich nahtlos ins Geschehen zwischen „Engtanzschlager" und Flipperautomat ein. Einen besonderen Auftritt hat Moe Jaksch, der über eine in der vorherigen Szene ans Musikerpodest herangefahrene Treppe direkt ins Rampenlicht tritt und in geradezu waghalsiger Manier seinen Kontrabass bearbeitet.

Die Charaktere erfahren im Verlauf der Story keine Weiterentwicklung, sondern sind von Anfang an ironisch überzeichnet. Stephanie Theiß gibt als Hilde Neumann ihren Liedern eine fein dosierte satirische Prägung und begeistert sowohl stimmlich als auch schauspielerisch. Auch bei Christian Fischer als Eberhard Neumann sitzt jede Pointe und jede Geste perfekt.

Geradezu brillant in der Darstellung der neumannschen Haushälterin Frl. Schlösser: Antje Rietz. Mit Spitzenhäubchen und Servierschürze präsentiert sie Käseigel und Hawaiitoast (selbstverständlich mit Kirsche in der Mitte), bevor sie sich buchstäblich am Knigge festklammert, um zunächst doch in die Arme des kaugummikauenden GIs Johnny zu sinken. Letztlich verliert sie ihr Herz aber an Frank Karsunkte, den ihr gekonnter Umgang mit dem Hoover-Staubsauger seine untreue Lisa ganz vergessen lässt.

Herrlich Tobias Fischer als linkisches Muttersöhnchen aus gutem Hause, das ständig über seine eigenen Füße stolpert und weder beim Rock'n'Roll noch in englischer Konversation wirklich punktet. Bei „Ich bin ein Mann", im Original von Ted Herold, zeigt er auch stimmlich Präsenz, was im Duett mit Jessica Kessler als Lisa Neumann eher schwierig ist, da ihre kraftvolle, voluminöse Stimme doch sehr dominiert.

bluejeans02Jessica Kessler, dem Stuttgarter Publikum bekannt als Scaramouche in „We will rock you", gefällt brav in Petticoat mit Söckchen und Ballerinas ebenso wie als rebellierende Lisa in Jeans. Mit „Wenn Teenager träumen" und „Unchained Melody" hat sie im Duett mit Michael Starkl als Tom, der mit Motorrad und dem Traum der Route 66 Lisa unweigerlich in seinen Bann zieht, einige der wenigen emotionalen Momente im ansonsten bissig-komödiantischen Stück, dessen Ende dann doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen wirkt: Lisa und Frank stehen schon vor dem Altar, als Frl. Schlösser verzweifelt zugibt, schwanger von Frank zu sein. Lisa zieht nach und gesteht, dass sie ebenfalls ein Kind erwartet, allerdings nicht von ihrem Verlobten Frank, sondern von ihrem Traummann Tom. Alles löst sich in Wohlgefallen auf, was zwar nicht gerade realistisch aber auf jeden Fall amüsant ist. Und so passt der Schluss letzlich doch ganz gut zu diesem Unterhaltungsstück mit Musik.

Text: Sylke Wohlschiess

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