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Aufreger der Woche:
Ärger auf der Clingenburg

Zugegeben, nicht jeder mag Musicals. Und – auch zugegeben – ständiger Lärm kann einem wirklich auf die Nerven gehen. Wenn aber eine einzelne Anwohnerfamilie wegen minimaler Überschreitung der Lärmwerte auf die Barrikaden geht und kurz vor Saisonbeginn versucht, eine über Jahre gewachsene kulturelle Institution ins Wanken zu bringen, dann kann man nur den Kopf schütteln. Zumal es gar keine gesetzliche Handhabe gibt, denn die sogenannte Freizeitlärm-Richtlinie ist, wie die Bezeichnung schon sagt, eine Richtlinie. Kein Gesetz.
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Ort der Handlung: Klingenberg. Ein kleines 6.000-Einwohner-Städtchen, malerisch gelegen am Main, inmitten von Weinbergen.

Nicht gerade der Nabel der Welt, aber ein schöner Fleck Erde, an dem es sich sicher gut leben lässt. Über der Stadt erhebt sich die Ruine einer alten Stauferburg – die Clingenburg, erbaut um das Jahr 1100. Die malerische Burgruine gibt ein beeindruckendes Bild und diente schon zum Ende des 19. Jahrhunderts (!) als Festplatz und Theaterbühne. 1993 wurde der Clingenburg Festspiele e.V. gegründet, der diese historische Tradition wieder aufleben ließ.

Die erste Spielzeit im Jahr 1994 ging mit 20 Vorstellungen und 8.500 Besuchern zu Ende, 1998 folgte das erste Musical. Was man seither auf der Clingenburg mit überschaubaren Etats leistet, ist beachtlich. 2003 gab es die erste Open-Air-Aufführung des Wildhorn-Stücks „The Scarlet Pimpernel“, 2013 die Europäische Erstaufführung von „Z – The Musical of Zorro“, zu der Komponist Robert Cabell persönlich aus Seattle anreiste. 2016 heißt es nun „Let the sunshine in“. „Hair“ steht auf dem Programm, mit 22 Vorstellungen, davon fünf unter der Woche, die übrigen Freitags oder am Wochenende. Hinzu kommen 26 Vorstellungen des Familienmusicals „Peter Pan“, von denen aber nur zwei an einem Sonntagabend stattfinden, die übrigen vor- oder nachmittags.

Doch für eine Anwohnerfamilie ist das schon zu viel des Guten. Oder besser gesagt: zu viel des Unerhörten. Sie möchte per einstweiliger Verfügung musikalische Aufführungen auf der Clingenburg verbieten lassen, weil die Werte der Lärmschutzrichtlinie minimal überschritten werden. Nachts, das bedeutet ab 22 Uhr, liegt die Grenze in Wohngebieten bei 40 dB, im letzten Jahr wurden im betroffenen Wohngebiet bis zu 53 dB gemessen das entspricht in etwa dem Lärmpegel eines leise gestellten Radios. Man möchte den Leuten am liebsten vorschlagen, nur für eine Nacht mit den Anwohnern einer vielbefahrenen Straße, einer Großstadt oder Einflugschneise zu tauschen. Wer auch in lauen Sommernächten wirklich um diese Uhrzeit schon absolute Ruhe wünscht, der könnte ja einfach die Fenster für die eine Stunde schließen, bis die Veranstaltung gegen 23 Uhr zu Ende ist.

Die Festspiele haben bereits um die 40.000 Euro für Messungen und eine verbesserte Lärmschutzwand investiert, der Showbeginn wurde vorverlegt und zumindest an Wochentagen wird „Hair“ ohne Pause durchgespielt. Dies beweist Kompromissbereitschaft seitens des Festspielvereins, die man bei den Klägern jedoch vergeblich sucht. Ein Zusammenleben erfordert aber immer Toleranz von beiden Seiten – zumal das Interesse einzelner hier gegen die Interessen einer ganzen Stadt, ja einer Region, abgewogen werden muss.

clingenburg 02Wir verzeichnen mittlerweile jährlich um die 35.000 Besucher“, so Renate Binsack, die Pressesprecherin des Vereins, „davon kommen etwa 15.000 zu unseren Musical-Aufführungen. Es reisen sogar Gäste aus den Niederlanden und Belgien an, ebenso wie aus vielen deutschen Großstädten“. Die kleine Freilichtbühne ist also ganz offensichtlich zu einer festen Größe unter den deutschen Musical-Sommerproduktionen geworden. Im Kreativteam und auf der Bühne agieren Profis aus der Musical- und Theaterbranche. Sie arbeiten Hand in Hand mit ca. 100 ehrenamtlichen Helfern, die sich während der Spielzeit um einen reibungslosen Ablauf, um Auf- und Abbau, Bewirtung, Ticketverkauf und vieles mehr kümmern. „Auch alle Vorstandsmitglieder und Verwaltungsräte arbeiten ehrenamtlich – und zwar das ganze Jahr über. Sobald wir eine Saison gespielt haben, fangen die Vorbereitungen für die nächste Spielzeit an“, erläutert Renate Binsack.

Jeder, der selbst ehrenamtlich tätig ist, weiß es: Es erfordert Durchhaltevermögen, eine große Portion Enthusiasmus und unerschütterlichen Optimismus, sich neben den alltäglichen Verpflichtungen in Beruf und Familie für ein Projekt einzusetzen. Und zwar nicht, weil man dafür bezahlt wird. Sondern weil man von dem dessen Sinn überzeugt ist. Auch – oder vielleicht sogar gerade - deshalb ist es mehr als bedauerlich, was derzeit in Klingenberg abläuft. Diese Klage ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die ihre Freizeit dem Auf- und Ausbau der Clingenburg-Festspiele widmen und somit nicht nur zur Lebensqualität der Einwohner beitragen, sondern auch den Tourismus der Region unterstützen.

Wir von MusicalSpot hoffen, dass alle, die sich in Klingenberg um Theater und Musical verdient machen, sich vom aktuellen Ärger nicht entmutigen lassen und freuen uns, wenn Sie/Ihr, liebe MusicalSpot-Leserinnen und Leser, als Zeichen der Solidarität der FB-Seite der Clingenburg-Festspiele ein „like“ schenkt. Und wer weiß, vielleicht entschließen sich die Kläger im Sinne eines friedlichen Miteinanders ja doch noch, einfach an den paar Abenden ein Ohr zuzudrücken?

Sylke Wohlschiess
Herausgeberin MusicalSpot.de

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